Psychowissenschaftliche Grenzgebiete
 
Thema: Das Fortleben nach dem Tode (2)


   

4.0 Die physikalische Natur der geistigen Lebensvorgänge

Was bedeutet aber das geistige Leben in der Sicht der Naturwissenschaften, insbesondere der Physik und ihrer Unterwissenschaft der Kybernetik? Was man heute feststellen kann ist, daß das geistige Leben innerhalb unseres materiellen Körpers durch das Zentralnervensystem des Menschen, insbesondere das Gehirn ermöglicht und aufrechterhalten wird, wobei die Verbindung mit der Umwelt vermittels der Sinnesorgane über das periphere Nervensystem erfolgt. Nach den Erkenntnissen der heutigen Physik bzw. Kybernetik besteht das geistige Leben in der Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen, d. h. Signalen.

Über die Art wie diese Vorgänge sich im Zentralnervensystem und im peripheren Nervensystem physikalisch abspielen, geben die Forschungen der letzten Jahrzehnte in zunehmendem Maß Auskunft, wenn auch natürlich viele Einzelheiten noch unaufgeklärt sind. Die Informationsübertragung und Informationsverarbeitung erfolgt im menschlichen wie im tierischen Organismus durch elektrochemische Vorgänge, die man im tierischen Organismus mit einer ausgeklügelten Technik untersuchen kann. So läßt sich durch Untersuchung mit sehr feinen Mikroelektroden feststellen, daß die Informationsübertragung auf den Nervenfasern oder Neuriten und damit von Nervenzelle zu Nervenzelle durch elektrische Impulse, sog. Nervenimpulse, erfolgt, d. h. durch kurzdauernde elektrische Entladungen von etwa 1/1000 Sekunde Dauer. Man nennt die kurzzeitig auftretenden elektrischen Spannungsimpulse auch Nervenaktionsspannungen. Mit einem Kathodenstrahloszilloskop oder einem anderen Registriergerät lassen sich diese Vorgänge sichtbar machen. Bild 1 (38, S. 300) zeigt z.B. die kurzzeitige Entladung (also die Nervenaktionsspannung) einer Nervenzelle aus dem Rückenmark einer Katze.

 

Bild 1: Kurzzeitige elektrische Entladung der Nervenzelle einer Katze. Sie wird ausgelöst durch elektrische Reizung (?) zuführender Nervenfasern. Der erste Reiz ist noch nicht ausreichend. Erst beim zweiten Reiz wird das sog. "Schwellenpotential" erreicht und ein "Aktionspotential" ausgelöst.

   

Diese Entladung wird durch gleichartige Impulse ausgelöst, die über angeschlossene Nervenfasern und ihre Verbindungsstellen, die sog. Synapsen, zugeführt werden. Die Häufigkeit der Impulse je Zeiteinheit spiegelt den Informationsinhalt wider. Man nennt das eine Impulsfrequenzmodulation(1).

Nervenimpulse, die ja körpereigene Botschaften oder Befehle darstellen, werden über die Nervenfasern auch den verschiedensten Muskelgruppen zugeführt. Dort angekommen, lösen sie Zusammenziehungen aus, d. h. Muskelverkürzungen oder sog. Muskelkontraktionen. Diese verursachen z. B. die Bewegungen der Gliedmaßen. Auch die Muskelkontraktionen sind mit elektrischen Vorgängen verknüpft. Es entstehen die Muskelaktionsspannungen. Sie sind ebenfalls meßbar.

Ein besonders großer, starker und ständig beanspruchter Muskel in unserem Körper ist der Herzmuskel. Seine rhythmisch entstehenden Muskelaktionsspannungen breiten sich über den ganzen Körper aus und können sogar noch an den äußeren Gliedmaßen abgenommen, gemessen und aufgezeichnet werden. Eine derartige Aufzeichnung nennt man ein Elektrokardiogramm (EKG). Es ist in Bild 2 dargestellt. Darin ist der Verlauf des Kurvenbereichs Q-R-S besonders auffallend. Die Spannungsspitzen spiegeln den Erregungsablauf in der Herzkammermuskulatur wider und entsprechen der Kammerkontraktion (Zusammenziehung des Herzmuskels). Bei Störungen der Herztätigkeit und Erkrankungen des Herzmuskels treten bezeichnende Abweichungen der Form des Elektrokardiogramms auf. Aus ihnen kann der Arzt auf die vorhandenen Störungen schließen.

 

Bild 2: Vereinfachtes Schaltbild einer Anordnung zur Aufnahme eines Elektrokardiogramms (EKG).


 
 
 
 
 
 
 
 

Im Gehirn, der Befehlszentrale des menschlichen Körpers, haben wir es mit einer besonders großen Ansammlung von Nervenzellen zu tun. Ihre Anzahl wird heute auf etwa 1010 (10 Milliarden) geschätzt. Das physikalische Zusammenspiel dieser großen Vielzahl von Nervenzellen mit ihren umfangreichen Verknüpfungen ergibt das, was wir das geistige Leben nennen. Dabei arbeitet jede einzelne Nervenzelle aber nur mit kurzzeitigen elektrischen Entladungen, wie es in Bild 1 wiedergegeben ist. Die Summation all der vielen ständig entstehenden Nervenaktionsspannungen hat nicht eine völlig unregelmäßige Form, sondern ergibt einen gewissen Rhythmus. Es entsteht so etwas wie eine nicht ganz regelmäßige elektrische Schwingung. Sie durchdringt sogar die Schädeldecke und kann auf der Kopfhaut durch aufgelegte Elektroden elektrisch abgenommen, verstärkt und mit Hilfe eines Elektronenstrahloszilloskops sichtbar gemacht werden. Bild 3 zeigt solch eine Versuchsanordnung. Die entstandene Aufzeichnung nennt man ein Elektroenzephalogramm (EEG)(-6-). Die Frequenz der Schwingung, d. h. die Anzahl der Schwingungen je Sekunde, hängt von der Bewußtseinslage des untersuchten Menschen ab. Die Mediziner sprechen hier etwas ungenau von Gehirnwellen (-7-) und unterscheiden:

  1. Delta-Wellen mit einer Frequenz von 0,5 - 3 Hz (-8-), vorkommend im Tiefschlaf.

  2. Theta-Wellen mit einer Frequenz von 4 - 7 Hz, vorkommend beim Einschlafen und leichten Schlaf.

  3. Alpha-Wellen mit einer Frequenz von 8 - 13 Hz, überwiegende Gehirnaktivitätsform beim Wachsein.

  4. Beta-Wellen mit einer Frequenz von 14 - 30 Hz, vorkommend bei Spannungs- und chronischen Angstzuständen und als sog. "Spindeln" (wegen der "äußeren Form ihres Auftretens) im leichten Schlaf.
     

Das EEG, wie man es vom Gesunden her kennt, ändert sich bei Erkrankungen des Gehirns, z. B. Epilepsie, Gehirntumor, Vergiftungen, Drogenmißbrauch u. a. Der Mediziner kann also anhand eines veränderten EEG in gewissen Grenzen eine Krankheitsdiagnose stellen.

 

Bild 3: Vereinfachtes Schaltbild einer Anordnung zur Aufnahme eines Elektroenzephalogramms (EEG).

Auch im Gehirn selbst lassen sich mit Hilfe von Mikroelektroden Informationsverarbeitungsvorgänge verfolgen, beispielsweise die elektrischen Signale, die auf einen Sehvorgang hin entstehen. Wie die logischen Vorgänge im Innern des Gehirns und die Speicherung der Informationen im Langzeitgedächtnis im einzelnen ablaufen, ist noch nicht bekannt. Jedoch lassen sich aus der Rechenmaschinentechnik Möglichkeiten dafür und gewisse Modellvorstellungen herleiten (21; 36; 58; 59; 63).

Zerstörungen größerer Bereiche von Nervenzellen im Gehirn (durch Unfall, Verwundung, Tumor, Schlaganfall, Sauerstoffmangel im Gehirn über acht Minuten hinaus) führen zu ganz charakteristischen Ausfallserscheinungen, je nach der betroffenen Stelle im Gehirn. Es kann zu Lähmungen der Gliedmaßen, zu Gedächtnisstörungen, zu Sprachstörungen bis zur Sprachlosigkeit, zu Denkstörungen und zum dauernden Verlust des Bewußtseins (sog. Gehirntod) kommen. Das Gehirn und der von ihm gesteuerte menschliche Körper reagieren, so hat es den Anschein, wie eine technische Maschine, bei der wichtige Steuerungsteile zerstört oder gestört sind.

Selbst Gemütsleiden werden heute schon auf einen gestörten Gehirnstoffwechsel zurückgeführt (33), also auf rein materielle Ursachen. Auch die Gemütsbewegungen des Menschen und der Tiere lassen sich in die heutigen physikalischen Vorstellungen einordnen.

Die Gemütsbewegungen wie Freude, Furcht, Zorn, Ekel usw. bestehen nicht nur in subjektiven inneren Vorstellungen und Gefühlen, die durch Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung (geistige Erlebnisse) hervorgerufen werden, sondern auch in klar umrissenen und meßbaren Reaktionen des Organismus, d. h. chemischen Veränderungen im Körperhaushalt, mit dem Ziel, das Individuum einer besonderen Umweltsituation möglichst gut anzupassen, ihm eine größere Überlebens-chance im Kampf mit der Umwelt zu geben. Für die Furcht hat diese Zusammenhänge zuerst der amerikanische Physiologe Cannon vor dem ersten Weltkrieg nachgewiesen (15).

Gemütsbewegungen treten aber nicht nur nach geistigen Erlebnissen, d. h. als Folge von Informationsverarbeitung auf, sondern lassen sich auch durch direkte elektrische Reizung der entsprechenden Gehirnbezirke oder durch Zuführung von Chemikalien (Drogen) erzeugen, ohne daß entsprechende geistige Erlebnisse vorliegen.

Aufschlußreiche Untersuchungen in dieser Richtung an Hühnern, Affen und anderen Tieren, denen Drahtelektroden in das Gehirn eingeführt wurden, sind in den Arbeiten (16) und (30) dargestellt. Die Tiere konnten allein durch elektrische Reize zu den verschiedensten Verhaltensweisen angeregt werden, denen Gemütsbewegungen zugrunde lagen, die wir beim Menschen mit den Worten Furcht, Ekel, Geltungsdrang, Wut usw. kennzeichnen. In allen diesen Fällen lagen keine äußeren Erlebnisse vor, die die Verhaltensweisen der Tiere hätten auslösen können. Es liegt bislang kein Grund zu der Annahme vor, daß der Mensch, falls man bei ihm ähnliche Versuche durchführen könnte und würde, etwa ein anderes Verhalten an den Tag legte.

 

 

5. Die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung des Lebens

Diese bislang gewonnenen Erkenntnisse lassen den Schluß zu, daß für die Fortführung unseres geistigen Lebens auf dieser Erde die Funktionstüchtigkeit unseres Zentralnervensystems erforderlich ist, oder noch einschränkender gesagt, es muß die Möglichkeit zur Informationsaufnahme, Informationsspeicherung, Informationsverarbeitung und Informationsabgabe bestehen. Die Unversehrtheit des ganzen materiellen Körpers ist zum Fortleben in diesem Sinne nicht unbedingt notwendig. Einen Menschen, dem Arme und Beine amputiert wurden, werden wir immer noch als lebend ansehen. Selbst wenn wir nur den Kopf eines Lebewesens ohne den eigenen Körper funktionsfähig erhalten, so daß es noch denken und sprechen kann und sein Gedächtnis behält, und wir es an seiner spezifischen Ausdrucksweise und an seinen Kenntnissen erkennen können, werden wir sagen müssen, daß das Lebewesen lebt.

Das sind heute nicht nur reine Denkmöglichkeiten, sondern es bestehen bereits Möglichkeiten zur Durchführung. Die Mediziner Kolff und Kralios sagen (34, S. 47): "Der Gedanke mag uns gefallen oder nicht, aber wir besitzen jetzt die Möglichkeit, einen abgetrennten Kopf durch eine Batterie von Pumpoxygeneratoren, Ernährungsröhren, Luftschläuchen usw. am Leben zu erhalten. Ob freilich das Leben eines Kopfes ohne Körper ein erstrebenswertes Ziel ist, dazu möchte ich mich nicht äußern."

Auch Versuche zur praktischen Durchführung wurden bereits unternommen. Der Neurochirug Prof. Robert Josef White am Metropolitan General Hospital in Cleveland (USA) präpariert Affengehirne aus dem Schädel heraus und erhält sie am Leben. Das erkennt man daran, daß das Elektroenzephalogramm des Gehirns normal bleibt. Weiter verpflanzt White Affenköpfe von einem Körper auf einen anderen. Die Operationsdauer beträgt etwa 10 Stunden. Am 7. 12. 1977 wurde vom Ersten Deutschen Fernsehen um 22.50 Uhr eine solche Verpflanzung in einer Sendung unter dem Titel "Grenzen der Forschung" ausgestrahlt.

Die Überlebensdauer der transplantierten Köpfe beträgt bislang zwar nur maximal sieben Tage. Aber White hofft, diese Zeit in Zukunft bedeutend verlängern zu können. White sieht seine Affenexperimente als Vorstufe für Operationen am Menschen an, um z. B. aus zwei halben Menschen (einer mit unversehrtem Kopf, der andere mit unversehrtem Leib) einen ganzen zu machen. White behauptet, das sei bereits heute möglich. Man müsse allerdings eine hohe Sterblichkeitsquote in Kauf nehmen. Aber es gehe dabei um die Frage, ob man lieber leben oder lieber tot sein wolle.

Man kann hier erkennen, welche Konsequenzen in Gedanken und in Taten gezogen werden, wenn man davon ausgeht, daß unser menschliches Leben mit dem Tode seinen endgültigen Abschluß findet. Und dabei ist White nicht etwa ein Atheist, sondern wird als gläubiger Katholik geschildert.

Es ist übrigens beachtenswert, daß es auch in der Natur Lebewesen (Wirbeltiere, sogar Menschen) gibt, die nur aus dem Kopf bestehen und über keinen eigenen Leib verfügen, sondern sich einen solchen mit einem anderen Kopf teilen müssen. Beim Menschen gelangen solche Individuen in sehr seltenen Fällen sogar bis in das Erwachsenenalter.

Bei der Definition des Lebens und Fortlebens müssen wir sogar noch einen Schritt weitergehen: Wenn es durchführbar wäre oder wenn wir feststellen, daß es möglich ist, die gespeicherten Informationen eines Menschen aus seinem Gedächtnis in ein anderes Gedächtnis, d. h. einen anderen Informationsspeicher zu übertragen, und wenn dieser neue Informationsspeicher mit der Fähigkeit der Informationsaufnahme, Informationsverarbeitung und der Informationsabgabe versehen ist, und wenn bei der Informationsübertragung die spezifischen Eigenschaften und das Ichbewußtsein, d. h. die Persönlichkeitsstruktur, erhalten bleiben, müssen wir von einem Fortleben sprechen, auch wenn der alte Körper und das bisherige Gehirn materiell vernichtet sind. Von einem Tod, d. h. von einem Auslöschen der geistigen, der persönlichen Existenz können wir erst dann sprechen, wenn die wesentlichen, im Lauf des Lebens gespeicherten Informationen, die Erinnerung unwiderruflich gelöscht, d. h. aus der Welt geschafft sind. Sind die Informationen noch vorhanden, und ist nur die Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung unterbunden, so wird man von einem Schlafzustand des Individuums sprechen.

Hier treten übrigens bereits die ersten Schwierigkeiten bei der Frage auf, wie man denn die Fortexistenz oder das Fortleben eines Menschen sowohl auf dieser Erde als auch nach seinem Tode feststellen kann, insbesondere dann, wenn man ihn längere Zeit nicht gesehen hat. Als Erkennungszeichen kann man ja nur seine Persönlichkeitsstruktur, seine Fähigkeiten und sein Wissen, d. h. seine Speicherinhalte, verwenden. Alles wandelt sich aber ständig, wenn der Mensch lebt, da er ja immer wieder neue Informationen aufnimmt, d. h. neue Erfahrungen sammelt, die seine Persönlichkeitsstruktur wandeln. Das mag vielleicht in Tagen und Wochen kaum in Erscheinung treten, kann innerhalb von Jahrzehnten jedoch sehr stark sein, so stark, daß es einem Menschen, der nach 30 Jahren aus einer Gefangenschaft heimkommt, schwerfällt, seine Identität nachzuweisen. Es gibt in dieser Beziehung tragische Beispiele.

Wenn es nun schon auf dieser Erde schwer sein kann, die menschliche Fortexistenz nachzuweisen, um wieviel schwerer ist es erst, nach dem Ereignis des biologischen Todes ein Fortleben der menschlichen Persönlichkeit nachzuweisen. Man ist da weitgehend auf Indizien angewiesen, auf die man auch im täglichen Leben und in der Rechtsprechung ständig zurückgreift. Auch im Alltag ist es unmöglich, das Fortleben eines Menschen ständig zu überwachen. Kaum einer wird aber an der Fortexistenz eines Verwandten oder Freundes ernsthaft zweifeln, nur weil er ihn drei Jahre nicht mehr gesehen hat, beim Wiedersehen aber "einwandfrei" wiedererkennt. Dieses Wiedererkennen ist aber bestimmt kein zwingender und unumstößlicher Beweis. Es gibt ja schließlich zum Verwechseln ähnlich aussehende Doppelgänger, Ausweise können gefälscht sein usw. Wenn man aber in jedem Fall absolut sichergehen und unumstößliche Beweise verlangen wollte, müßte man erkennen, daß solches nicht möglich ist und bei Beharren auf diesem Standpunkt ein menschliches Zusammenleben nicht möglich wäre.

Wir werden daher bei dem Suchen nach "Beweisen" für das Fortleben nach dem irdischen Tode auch nicht strengere Maßstäbe anlegen dürfen, als wir es im täglichen Leben tun. Wir müssen uns also mit Indizien zufriedengeben und nach einer möglichst großen Anzahl dieser Indizien suchen, die sich gegenseitig stützen sollten. Daraus läßt sich dann ein "Beweis" konstruieren, den man in der Rechtsprechung "Indizienbeweis" und in der Physik "Erfahrungsbeweis" nennt.


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