Psychowissenschaftliche Grenzgebiete
 
Thema: Der Einfluss der Trauer auf Verstorbene (2)


   

8. Kinder holen ihre Mutter aus dem Jenseits zurück

Bei dem folgenden Bericht hat man den Eindruck, als ob Kinder ihre sterbende Mutter mit Erfolg aus dem schon fast besiegelten Tode zurückgeholt haben. Der Bericht wurde 1911 von einem Autor namens Schrimpf veröffentlicht. Er lautet (15, S. 103):

"Voriges Jahr - das heißt im Jahre 1910 - starb in Vorbruck eine 95jährige Frau namens André, geborene Vallentin. Noch zwei Tage vor ihrem Tode verrichtete sie ihre ganzen häuslichen Arbeiten, denn sie war noch sehr rührig und rüstig und erfreute sich einer vollkommen geistigen und körperlichen Frische. Trotzdem sah sie dem Tode mit Sehnsucht und Freude entgegen, und seit langen Jahren sprach sie ihren Verdruß darüber aus, daß sie noch immer hierbleiben müsse. Wenn man sie darüber befragte, erzählte sie gerne die Ursache.

Sie war zweimal verheiratet. Als ihr erster Mann starb, zählte sie 28 Jahre und hatte zwei Kinder. Sie heiratete zum zweiten Mal. Dieser Ehe entsprossen vier Kinder. Alle sechs waren noch ziemlich klein, als sie auch den zweiten Mann verlor. Sie brachte sich und ihre Kinder damit durch, daß sie Brot und allerlei kleines Gebäck backte. Sie hatte auf dem Markt einen kleinen Stand, wo man sie stets mit einem Strickstrumpf in der Hand sitzen sah.

So vergingen einige Jahre.

Eines Tages im Herbst regnete es den ganzen Tag in Strömen. Sie fror an ihrem Stand erbärmlich, und als sie nach Hause kam, schüttelte sie das Fieber. Am nächsten Tag konnte sie nicht mehr aufstehen. Eine böse Lungenentzündung hatte sich entwickelt. Ihre zwei Ältesten mußten sich zum Stand setzen, und die vier Kleineren pflegten die kranke Mutter schlecht und recht, wie sie es eben verstanden. Hier und da sah wohl eine Nachbarin nach der Kranken, brachte ihr ein wenig Suppe usw., aber bei ihr sitzen bleiben und die Umschläge machen konnte keine, da die Nachbarsleute auch zumeist arm waren und selbst die Hände voll zu tun hatten.

Den dritten Tag wurde ihr plötzlich schlecht. Die Kinder liefen um Hilfe, doch bis der Armenarzt kam, konnte er nunmehr den Tod der armen Frau André‚ konstatieren. Am nächsten Tag kam der Totenbeschauer und dann eine Frau, welche die Tote wusch und anzog. Als sie fort war, kletterten die kleineren vier Kinder auf das Bett der Mutter. Laut jammernd und weinend schüttelten und rüttelten sie die Tote hin und her, sich über sie werfend und sie immer wieder rufend. Nachdem sie die Mutter etwa zehn Minuten auf diese Art bearbeitet hatten, hob ein schwerer Seufzer die Brust der Entschlafenen, dann noch einer - und sie hob mühsam die Augenlider. Kaum hatten die Kinder dies bemerkt, als sie sich mit lautem Jubel von neuem auf sie warfen, sie in die Höhe zerrten, und es dauerte keine fünf Minuten, so hatten sie ihre Mutter wieder lebend und bei vollem Bewußtsein.

Das ganze Städtchen lief über das Wunder zusammen, man überhäufte die Wiedererstandene mit Lebensmitteln und Geld, und nach zwei bis drei Wochen saß sie wieder munter und tüchtig hinter ihrem Stand.

So lebte sie nach diesem Vorfall noch 58 Jahre lang. Nie hatte sie mehr eine Krankheit heimgesucht. Alle ihre Kinder sind ihr im Tode vorangegangen, und sie war nicht imstande, nur eines von denen dem Tode abzuringen, die sie einmal von dort zurückgerufen hatten, von wo es angeblich keine Wiederkehr gibt. Über 30 Stunden waren es gewesen, die sie als Tote verbracht hatte.

Sie erzählte darüber folgendes:

'Als mich plötzlich ein arges Unwohlsein überkam, fühlte ich, wie mir die Sinne schwanden. Dann fühlte ich eine starke, schaukelnde Bewegung, als ob sich das Bett unter mir hob und senkte. Dann war es mir, als ob ich von irgendeiner Höhe hinabstürzte, tiefer und immer tiefer. Ein schreckliches Angstgefühl und furchtbare Beklemmung war alles, was ich wußte. Plötzlich schien es mir, als ob ich Boden unter den Füßen bekommen hätte, und ich stand auf einer Heide. Weit und breit war nur eine öde, steppenartige Gegend sichtbar. Vor mir ein holperiger, ausgetretener Fußweg schien in diese Endlosigkeit hineinzuführen. Eine eigentümliche Dämmerung vervollständigte noch die Trostlosigkeit dieser Gegend. Es erschien alles wie an einem naßkalten Herbstabend, grau und unfreundlich.

Ich stand einen Augenblick ganz ratlos und unschlüssig. Da erhellte sich plötzlich ein kleiner Teil des Firmamentes in der Gegend, wo der Weg hinführte. Ein Lichtschein wurde heller und immer heller, gerade als ob die Sonne an einem recht nebeligen Morgen sich durch Dunst und Wolken kämpft. - Ich weiß nicht, bin ich dem Lichtschein entgegengegangen oder kam er mir entgegen? - Plötzlich ist es um mich herum hellichter Tag geworden, und ich stand zu meiner größten Überraschung unter einer Schar von Bekannten, die mich alle aufs herzlichste begrüßten! Es waren alle meine Lieben, die mir vorangegangen waren; meine Eltern, Geschwister, meine beiden Gatten - ein unendliches Glücksgefühl hatte sich meiner bemächtigt, eine nie gekannte Ruhe und Heiterkeit. Sie umringten mich jubelnd, und in ihrer Mitte schritt ich vorwärts, einem unsichtbaren Ziele zu.

Da erschütterten mich plötzlich heftige Stöße, ich wankte, man fing mich in den Armen auf, und bedauerlich hörte ich einige bekannte Stimmen sagen: 'Also ist sie heute nur auf Besuch zu uns gekommen? Und bleibt noch nicht bei uns? - Wann kommt sie ganz zu uns?' - Dann schwanden mir die Sinne, ich verspürte wieder die schaukelnde, fallende Bewegung; es schlugen verworrene Stimmen an mein Ohr. Man rief mich - mühsam öffnete ich die Augen, ich lag im Bett, meine Kinder schrien durcheinander: 'Sie lebt! Sie lebt wieder!'-

Ich war ja froh, daß ich meinen Kindern wiedergegeben wurde. Aber wenn ich allein war, überkam mich stets eine unendliche Sehnsucht nach jener Gegend, gleichsam, als hätte ich dort meine Heimat. Und in späteren Jahren erst recht, als mich ein Kind nach dem anderen verließ. Und ich warte mit Ungeduld auf den Tag, da ich ihnen folgen darf. Leider läßt er so lange auf sich warten."
 



Wenn nun ein Aug im Tode bricht

Elisabeth Clüver
1842 – 1884

Wenn nun ein Aug im Tode bricht,
der Geist verläßt die Hülle,
ein Mensch hält da den andern nicht,
es ist des Höchsten Wille.

Da fühlt man sich so arm und klein
und weiß, daß dieses Leben,
mag's noch so reich und glücklich sein,
kann keinen Frieden geben.

Da sieht man erst am Himmelsthron
da wohnt der sel'ge Frieden,
und ist ein Leben hier entfloh'n
ist dort ihm Heil beschieden.

Da nimmt es Gott zu sich hinauf
in seine Vaterarme,
daß es nach bitterm Lebenslauf
an Seiner Lieb erwarme.



 

9. Der Selbstmord einer trauernden Mutter

In dem folgenden Fall ist eine trauernde Mutter nicht durch ein gütiges Geschick vor dem Selbstmord bewahrt geblieben. Sie hat ihn sofort nach dem Tode ihres Sohnes vollzogen. Die Begebenheit wird uns von Allan Kardec (1804-1869) geschildert. Er arbeitete ab 1856 mit dem französischen Medium Madame Japhet (Pseudonym für Célina Bequet) und anschließend mit einem Monsieur Roze als Medium zusammen. Mit diesem hatte er 1865 eine Sitzung, in welcher der verstorbene Sohn und seine Mutter sich ihm als Fragesteller F. gegenüber mitteilen.

Kardec berichtet (4, S. 327):

"Im Monat März 1865 hatte Herr C., Kaufmann in einem Städtchen bei Paris, bei sich zu Hause seinen 21jährigen Sohn, der schwer krank war. Als dieser junge Mann fühlte, daß es bei ihm ans Sterben gehe, rief er seine Mutter und hatte noch so viel Kraft, daß er sie umarmen konnte. Diese sprach unter heftigem Weinen zu ihm: 'Geh mein Sohn mir voran. Ich werde nicht säumen, dir zu folgen!' Anschließend ging sie hinaus, wobei sie den Kopf in den Händen verbarg.

Die, welche bei diesem herzzerreißenden Auftritt zugegen waren, sahen die Worte der Frau C. als einen einfachen Ausbruch ihres Schmerzes an, welchen Zeit und Vernunft stillen mußten. Als indessen der Kranke verschieden war, suchte man sie im ganzen Hause und fand sie schließlich erhängt auf einem Speicher. Die Leichenbestattung der Mutter geschah zugleich mit der ihres Sohnes." –
 

Einige Tage nach dem Tod von Sohn und Mutter fand eine Sitzung mit dem Medium Roze statt, bei der sich der Sohn (A) und seine Mutter (M) medial bei Kardec (F) meldeten und mit ihm folgendes Gespräch führten:

F: Haben Sie Kenntnis vom Tode Ihrer Mutter, die sich ums Leben gebracht hat, da sie der Verzweiflung erlag, in welche sie der Verlust von Ihnen gestürzt hat?

A: Ja, und ohne den Kummer, den mir die Ausführung ihres verhängnisvollen Entschlusses verursacht hat, würde ich vollkommen glücklich sein. Arme und vortreffliche Mutter! Sie hat die Prüfung dieser für Augenblicke geschehenen Trennung nicht ertragen können und hat, um mit ihrem Sohne, den sie so sehr liebte, wieder vereint zu sein, einen Weg gewählt, welcher auf recht lange Zeit sie davon fernhalten muß. So hat sie in unbestimmbarem Maße diese Wiedervereinigung verzögert, welche sich so rasch vollzogen haben würde, wenn die Unterwerfung unter den Willen des Herrn ihre Seele erfüllt hätte und wenn sie in reuiger Demut sich in die Prüfung ergeben hätte, welcher sie sich unterziehen sollte, und in die Sühne, welche sie läutern sollte!

Betet, o betet für sie! Und vor allem ahmet ihr nicht nach, ihr Mütter, die ihr gerührt werdet durch den traurigen Bericht von ihrem Tode! Glaubet nicht, daß sie mehr als andere Mütter diesen Sohn liebte, der ihre Freude und ihr Stolz war! Nein, sie liebte nicht mehr, aber ihr fehlten Mut und Gottergebung. Ihr Mütter, die ihr auf mich hört, wenn ihr den Todeskampf eurer Kinder sehen werdet und wie sich ihre erloschenen Augen verschleiern, dann erinnert euch, daß ihr gleich Christus den Gipfel Golgathas besteigt, von dem ihr euch in die ewige Herrlichkeit erheben sollt!

Benjamin C.
 
 

Anschließend trat die Mutter (M) in das Medium ein, und es wurde mit ihr folgendes Gespräch geführt:

M: Ich will meinen Sohn sehen! Habt ihr die Macht, ihn mir wiederzugeben? Die Grausamen! Sie haben ihn mitgenommen, um ihn einzuführen in das Licht und haben mich in der Nacht gelassen! Ich will ihn haben, er gehört mir! Gilt denn die Mutterliebe nichts? Was? Neun Monate getragen zu haben, genährt mit meiner Milch, Fleisch vom eigenen Fleische, Blut vom eigenen Blute, gelenkt zu haben seine ersten Schritte, ihn gelehrt zu haben, den heiligen Gottesnamen und den süßen Mutternamen zu stammeln, daraus gemacht zu haben einen Mann voll Tätigkeit, Einsicht, Ehrbarkeit, Geradheit, Kindesliebe - und ihn zu verlieren zu der Zeit, wo er die Hoffnungen verwirklichte, die man auf ihn gesetzt hatte, wo eine glänzende Zukunft sich vor ihm auftat! Nein, Gott ist nicht gerecht! Er ist kein Gott der Mütter! Er versteht ihre Verzweiflung und ihren Schmerz nicht. Und wenn ich mir den Tod bereite, um mein Kind nicht zu verlassen, so raubt man es mir von neuem! Mein Sohn, mein Sohn, wo bist du?'

F: Arme Mutter, wir haben Mitleid mit Ihrem Schmerz. Aber Sie haben ein trauriges Mittel ergriffen, um mit Ihrem Sohn wieder vereinigt zu werden. Der Selbstmord ist in Gottes Augen ein Verbrechen, und Sie hätten daran denken sollen, daß Gott jede Verletzung seiner Gesetze bestraft. Des Anblicks Ihres Kindes beraubt zu sein, das ist Ihre Bestrafung.'

M: Nein, ich glaubte, Gott sei besser als die Menschen. Ich glaubte nicht an seine Hölle, sondern an die ewige Wiedervereinigung der Seelen, die einander geliebt haben, wie wir einander liebten. Ich habe mich getäuscht. Er ist kein gerechter und guter Gott, weil er die Maßlosigkeit meines Schmerzes und meiner Liebe nicht verstanden hat. Oh, wer wird mir meinen Sohn wiedergeben? Habe ich ihn denn für immer verloren? Erbarmen, Erbarmen mein Gott!'

F: 'Lassen Sie sehen, beschwichtigen Sie Ihre Verzweiflung! Bedenken Sie, wenn es ein Mittel für Sie gibt, Ihr Kind wiederzusehen, so liegt das nicht in einer Gotteslästerung, wie Sie sie üben. Statt sich Gott geneigt zu machen, ziehen Sie sich eine größere Strenge herbei.'

M: 'Man hat mir gesagt, daß ich ihn nicht wiedersehen würde. Ich hab's verstanden: Ins Paradies haben sie ihn geführt. Und ich, ich bin also in der Hölle? Der Hölle der Mütter? Sie besteht, nur zu sehr sehe ich es.'

F: 'Ihr Sohn ist gar nicht unwiederbringlich verloren, glauben Sie mir's! Sie werden ihn gewiß wiedersehen. Aber Sie müssen es erst verdienen durch Ihre Unterwerfung unter den Willen Gottes, während Sie durch Ihre Empörung diesen Zeitpunkt in unbestimmbarer Weise verzögern können. Hören Sie auf mich! Gott ist unendlich gut, aber er ist unendlich gerecht. Er straft nie ohne Ursache, und wenn er Ihnen auf Erden großen Schmerz auferlegt hat, so geschah es, weil Sie das verdient hatten.

Der Tod Ihres Sohnes war eine Prüfung für Ihre Ergebung.

Unglücklicherweise sind Sie zu Ihren Lebzeiten da unterlegen, und siehe da, nach Ihrem Tode unterliegen Sie da von neuem. Wie soll nach Ihrem Wunsch und Wollen Gott seine sich auflehnenden Kinder belohnen? Aber unerbittlich ist er nicht. Er nimmt immer die Reue des Schuldigen an. Hätten Sie ohne Murren mit Demut vielmehr die Prüfung hingenommen, die er Ihnen in dieser auf kurze Zeit geschehenden Trennung zusandte und hätten geduldig gewartet, bis es ihm gefiel, Sie von der Erde wegzunehmen, bei Ihrem Eintritt in die Welt, in der Sie jetzt sind, hätten Sie dann Ihren Sohn sofort wiedergesehen, der Sie bewillkommnet und Ihnen die Arme entgegengestreckt hätte. Sie würden die Freude gehabt haben, ihn nach dieser Zeit der Abwesenheit als einen von Glück Strahlenden zu sehen. Was Sie getan haben und was Sie noch tun in diesem Augenblick, setzt zwischen Sie und ihn eine Schranke.

Glauben Sie ja nicht, daß er in den Tiefen des Raumes verloren sei! Nein, er ist Ihnen näher, als Sie glauben. Aber ein undurchdringlicher Schleier entzieht ihn Ihrem Blicke. Er sieht Sie, er liebt Sie allezeit, und er seufzt über die traurige Lage, in welche Sie Ihr Mangel an Gottvertrauen versetzt hat. Er ruft mit allen seinen Wünschen den beglückenden Zeitpunkt herbei, wo es ihm vergönnt sein wird, sich Ihnen zu zeigen. Von Ihnen allein hängt es ab, diesen Zeitpunkt zu beschleunigen oder zu verzögern. Bitten Sie Gott und sprechen Sie mit mir: "Mein Gott, verzeihe mir, daß ich an Deiner Gerechtigkeit und Güte gezweifelt habe! Wenn Du mich gestraft hast, so erkenne ich, daß ich es verdient habe. Nimm gnädig meine Reue und meine Unterwerfung unter Deinen heiligen Willen an!'

M: Welch einen Hoffnungsstrahl haben Sie in meiner Seele jetzt aufleuchten lassen! Das ist ein Blitz hinein in die Nacht, die mich umgibt. Haben Sie Dank! Ich werde beten. Gott befohlen!

C.
 
 

 

10. Die Verzweiflung eines Vaters

Der folgende Bericht stammt von einem englischen Medium Grace Cooke (gest. 1979). Ihre Medialität trat erstmals in Erscheinung, als sie zwölf Jahre alt war. Ihre Fähigkeit des Hellsehens, Hellhörens und zur Tieftrance hielt über 60 Jahre lang an. Sie kam mit einer Vielzahl von Jenseitigen in Verbindung und wurde von ihnen oft um Hilfe gebeten. Ein solches Erlebnis schildert sie mit folgenden Worten (9, S. 12):

"Ein Elternpaar hatte seinen einzigen Sohn verloren, einen Jungen von 14 Jahren, Bruder eines Mädchens von 17. Alle waren einander zugetan und glücklich. Die jungen Menschen waren vielversprechende Schüler und gehörten zu den Besten ihrer Klassen. Eines Tages wurde der Junge ernstlich krank. Trotzdem alles Erdenkliche für ihn getan wurde, ging es immer mehr bergab, und er starb.

Die Familie war untröstlich. Religiös wie sie waren, glaubten sie an ein Leben nach dem Tode. Doch als sich dieser Schicksalsschlag ereignete, wurde ihr Glaube einer bitteren Prüfung unterzogen. Des Vaters eigene Worte, als er mir schrieb, waren: 'Ich suchte und betete und rief inbrünstig meinen Schöpfer an, doch der Himmel blieb verschlossen. Meine Gebete wurden nicht erhört, nur der Schrei meines eigenen Herzens kam zu mir zurück.'

Nach Monaten der schlimmsten geistigen und seelischen Verfassung wurde er durch ein inneres Gefühl in einen Gottesdienst geführt. Er saß auf der hintersten Bank der Kirche - ein gebrochener Mann. Ich war die Referentin bei dieser speziellen Veranstaltung und bemerkte ein geistiges Licht um diesen Mann, der damals noch ein Fremder für mich war. Dann aber zeigte mir mein Zweites Gesicht (gemeint ist ihre Hellsichtigkeit) die geistige Gestalt des Jünglings, der nahe bei seinem Vater stand. Eine telepathische Verbindung entstand zwischen dem Jüngling und mir, doch weiter geschah bei dieser ersten Begegnung nichts.

Als der Gottesdienst zu Ende war, erkundigte ich mich nach dem Mann in der letzten Bankreihe und merkte mir seinen Namen. Auf der Heimfahrt überdachte ich einige Begebenheiten, als ich plötzlich eine unbekannte Stimme flüstern hörte: 'Bitte schreibe meinem Vater.' In Gedanken antwortete ich: 'An wen soll ich schreiben?' Die Antwort kam augenblicklich, und ich erhielt den Namen des Mannes in der Kirche. Es wurde spät an jenem Abend, und müde wie ich war, wischte ich die Angelegenheit beiseite. Am nächsten Tag war sie vergessen.

Ein wenig zu meinem Ärgernis, denn ich war mit häuslichen Angelegenheiten überlastet, erschien er mir erneut und sagte wiederum: 'Bitte schreibe meinem Vater. Sage ihm, daß ich lebe und oft bei ihm zu Hause bin. Bitte schreibe sogleich, denn es ist dringend.' Sein Flehen war so stark und so ergreifend, daß ich mich gezwungen sah, mich hinzusetzen, Papier und Feder zur Hand zu nehmen und zu schreiben.

Seine Worte durchfluteten mich. Dies war der Brief eines Sohnes, der seinem geliebten Vater schrieb, von dem er so lange getrennt war. Nun bewies der Sohn seine Identität klar und eindeutig. Er beschrieb viele Einzelheiten, seine Kindheit, seine Habseligkeiten, seine Uhr, wie auch den schon lang verstorbenen Großvater, den er auf der anderen Seite des Schleiers getroffen hatte, und von dem diese Uhr ein Geschenk war. Er erzählte auch von Schwester und Mutter und erinnerte an häusliche Einzelheiten, welche seit seinem Tod passiert waren, und bei welchen er in seinem Geistkörper tatsächlich anwesend war. Es war in jeder Hinsicht ein Brief der Wiedervereinigung, mit dem der Sohn den Abgrund jener langen Trennung überbrückte, während welcher der 'Himmel verschlossen' schien und keine Antwort auf den Notruf des Vaters gekommen war.

Aus des Vaters Antwortbrief an mich ging hervor, daß ihre Herzen im Begriff waren zu verhärten. In ihrem Kummer hatten sich die Eltern gegen das Schicksal aufgelehnt, als es dem Jungen im letzten Augenblick gelungen war, die Schranke zu durchbrechen. Seine Nachricht hatte ihnen nicht nur Trost, sondern auch eine Offenbarung gebracht. Die Beschreibung des Landes, in welches er gegangen war, hatte den Eltern eine Flut geistiger Erkenntnisse vermittelt. Seither war er für sie nicht mehr 'tot', sondern wie neu geboren, und ein tiefes, segensreiches Glück wurde ihnen allen zuteil. Es schien beinahe so, als wäre er von ihnen weggenommen worden, um als Tröster zu ihnen zurückzukehren. Sein Kommen bedeutete für sie eine geistige Einweihung, eine Offenbarung von etwas, was ewig ist in des Menschen Seele.

Jahrelanges Predigen und Belehren könnte diese Art der Erleuchtung niemals bringen. Sie kommt als Resultat einer tiefgründenden Erfahrung, die das Wirken einer allmächtigen und allweisen Liebe aufzeigt, die sich um jede individuelle Seele kümmert. Sagt Jesus nicht: 'Zwei Sperlinge verkauft man für einen Pfennig, und dennoch fällt keiner vom Dach, ohne daß es euer Vater wüßte. Sogar die Haare auf eurem Haupt sind gezählt.'
 
 
 

Ich entsinne mich einer Frau, die zu mir gekommen war, nachdem sie ihren Mann verloren hatte. Ihr Schmerz und ihre Trauer waren mitleiderregend, denn sie machte sich Vorwürfe, daß sie ihn während ihres gemeinsamen Lebens vernachlässigt hatte. Sie dachte ständig an verschiedene Episoden während seiner letzten Krankheit und konnte es weder glauben noch annehmen, daß die Zeit für ihren Mann gekommen war, eine erweiterte Tätigkeit in einer glücklicheren Lebenssphäre anzutreten.

Während unserer ersten Zusammenkunft war sie untröstlich, und wenig konnte ich tun, so dicht war sie in Schmerz und Selbstmitleid eingehüllt. Ich sagte ihr, daß ihre Gemütsverfassung jeglichen Trost von seiten ihres Mannes verunmöglichen und die subtilen Schwingungen, welche ein Teil der geistigen Welt seien, könnten ihre Dunkelheit nicht durchdringen. Schmerz und Selbstmitleid, die für gewöhnlich bei einem Tod so überhandnehmen, stürzen nicht nur die Trauernden in Verzweiflung, sondern vereiteln jeden Versuch einer Annäherung aus den jenseitigen Sphären, wo ihre Lieben glücklich und gesünder sind, als je zuvor.

Als ich diese Dinge der unglücklichen Witwe erklärte, wurde sie allmählich ruhiger, und der Nebel um sie begann sich aufzulösen.

Dann sah ich nahe bei ihr die geistige Gestalt ihres Mannes.

Langsam überzeugte er sie durch meine Vermittlung von seiner Existenz, durch seine Art des Redens, seiner Gedanken und Gebärden, indem er ihr viele Einzelheiten aus ihrem gemeinsamen Leben in Erinnerung rief. So bewies er ihr seine Identität, und allmählich glaubte sie, daß er noch immer lebe, und war sehr getröstet. Seine Beweise sind zu persönlich, um hier wiedergegeben zu werden, doch schrieb sie mir: 'Heute nacht träumte ich von meinem Mann. Er nahm meine Hand und drückte sie. Ich fühlte es ganz deutlich, ehe ich erwachte. Das war ein außerordentlich tröstlicher Traum, er preßte meine Hand so warm und liebevoll. Ein anderes Mal schlief ich ein, während ich einen Brief schrieb, und träumte von ihm. Er sagte, er hätte mir sechs Botschaften gesandt, von denen ich aber nur zwei erhielt.'

Später schrieb sie mir: 'Ich hatte wieder das Glück, mehrere Male von meinem Mann zu träumen, und jedesmal sah ich ihn ganz deutlich. Ich sehne mich jetzt mehr denn je nach einer neuen Gelegenheit, ihm vermehrte Sympathie und Liebe zu zeigen.'

Der Kontakt zwischen den Lebenden und den Toten wird, so glaube ich, zuerst auf einer höheren Ebene vorbereitet. Ferner bin ich davon überzeugt, daß in der geistigen Welt eine exakt genau arbeitende Organisation besteht, mit deren Hilfe in Sympathie verbundene Freunde auf beiden Seiten des Schleiers miteinander in Verbindung gebracht werden können. Das will besagen, daß im Jenseits Wesen vorhanden sind, die für diesen speziellen Dienst bereitstehen, um Freunde, die der Tod getrennt hat, zusammenzubringen, wenn die Bereitschaft hierfür existiert und sie die Möglichkeit zu einer solchen Kommunikation anerkennen. Dann kann die Verbindung durch die Kenntnisse dieser Helfer hergestellt werden. Es handelt sich hierbei um die Geistigen Gesetze des 'In-Einklang-Bringens', die von Uneingeweihten nicht voll verstanden und gewürdigt werden. Es ist nicht so, daß hier Geister zitiert werden. Vielmehr suchen sie uns, wenn dies zum Wohl aller beiträgt, und sie geben sich unendliche Mühe, die Kluft zu überbrücken.

Diejenigen, die uns vorangegangen sind, kommen von den Reichen des Lichtes zu uns zurück, weil sie uns lieben.

Es muß aber zugleich gesagt sein, daß es andere Geister gibt, die von dieser Welt in einem Zustand der Finsternis, der Schwere und ohne Liebe weggegangen sind, weil ihre Herzen in Selbstsucht, Habsucht und Begierden verstrickt waren. Diese können nicht in ein Reich von Harmonie und Schönheit eingehen. Trotzdem finden sie Verständnis und Freundlichkeit, sobald sie Hilfe suchen.

Diejenigen hingegen, die auf Erden einfach lebten und ihre Mitmenschen liebten, werden in einer Welt von großer Schönheit bald Gefährten finden. Sodann werden sie mit Wesen größerer geistiger Macht und Erleuchtung in Kontakt gebracht, die sie über die neuen Wege des Lebens belehren.

Ich habe diese Beispiele aus vielen Tausenden von Fällen ausgesucht. Alle waren trauernde Hinterbliebene, die von der geistigen Welt her aufgesucht wurden, um Beweise zu erhalten, daß ihre Lieben nach dem Tode weiterleben. Mein eigenes Wirken dauert nunmehr 60 Jahre, doch ich arbeite nicht allein. Mein innig geliebter geistiger Führer, der unter dem Pseudonym 'White Eagle' bekannt ist, hilft mir und leitet mich. In sehr vielen Fällen hat er nicht nur praktische Beweise über das Leben nach dem Tode gebracht, sondern zeigte auch außerordentliche Kenntnisse, wie jene in der geistigen Welt zu finden sind, die durch den Tod von ihren Freunden getrennt wurden und mit ihnen wieder zusammengebracht werden können."
 
 
 
 

11. Der verstorbene Sohn tröstet seine Mutter

In dem folgenden Beispiel kommt ein verstorbener Sohn mit seiner untröstlichen Mutter ohne Vermittlung eines Mediums in direkte Verbindung und kann ihr dadurch aus ihrem großen Kummer heraushelfen. Die betroffene Frau W. hat mir ihren Fall mit eigenen Worten im Januar 1987 folgendermaßen beschrieben:

"Am 13. Juli 1985 starb mein Sohn Markus an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Ich erfuhr es am Telefon durch die Mutter seines Freundes, mit dessen Motorrad der Unfall geschah. Es war furchtbar! Ich durfte ihn nicht mehr sehen, weil seine Kopfverletzungen zu schwer waren.

Am Tage der Beerdigung wollte ich alleine ins Leichenhaus. Ich wollte Abschied nehmen von ihm. Alle hatten Angst, daß ich zusammenbrechen würde, deshalb ging meine älteste Tochter Christine mit. Als ich am Sarge stand, war ich auf einmal ganz ruhig. Es war, als ob mein Sohn neben mir stand und mich beruhigte. Er streichelte mich und sagte immer wieder: 'Sei doch ruhig, Mutterle, rege dich nicht auf!' Er war ganz nahe bei mir. Ich spürte seine Gegenwart. Ich war so ruhig, wie die ganzen Tage zuvor nicht. Meine Tochter war ganz erstaunt darüber und erzählte es zu Hause meinen Angehörigen. Ich muß dazu sagen, daß ich die Stimme von Markus nicht laut hörte, sondern nur ahnte und irgendwie spürte, daß er mit mir sprach.

Es kamen furchtbare Tage und Wochen.

Trotz allem hatte ich immer das Gefühl, als ob mein Sohn ganz nahe bei mir war. Ich 'spürte' einfach seine Gegenwart. Ein paarmal war ich völlig verzweifelt. Dann kam es vor, daß mich plötzlich Freunde von ihm besuchten. Wir sprachen dann über Markus, über die Streiche, die sie zusammen gemacht hatten. Danach wurde ich wieder ruhiger. Es kam mir dabei immer so vor, als ob Markus sie geschickt hätte. Ich machte mich selbst ganz kaputt, weil ich ununterbrochen Schuldgefühle hatte. Jedes böse Wort und jede kleine Meinungsverschiedenheit, die es wahrscheinlich bei jedem heranwachsenden Jungen ab und zu gibt, waren für mich auf einmal ein Drama. Ich suchte immer nach Fehlern, die ich meiner Ansicht nach gemacht hatte. Ich glaubte, ich hätte noch viel mehr für ihn tun sollen. Alle aus meiner Umgebung sagten zwar, daß ich mich nur selber kaputtmache, und noch dazu ohne Grund, denn wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander.

Dann ereignete sich ein Vorfall, den ich niemals vergessen werde.

Es war ein dreiviertel Jahr nach seinem Tod. Ich war an dem Tag wieder total am Boden. Ich lief in der Wohnung umher und weinte und sprach laut vor mich hin. Immer wieder machte ich mir Vorwürfe, daß ich manchmal vielleicht nicht gerecht zu ihm gewesen sei oder daß ich ihm noch mehr hätte geben müssen. Auf jeden Fall war ich mal wieder völlig verzweifelt. Ich ging dann ins Bad und fing an, die Waschbecken zu putzen. Dabei redete und weinte ich laut vor mich hin. Auf einmal, es war, wie wenn er ganz nahe bei mir stünde, fiel er mir laut und sehr ärgerlich ins Wort. Er sagte: 'Jetzt hör endlich mal auf damit. Glaubst du, daß ich dir nach einem dreiviertel Jahr nicht schon längst alles verziehen hätte? Es wird alles gut.'

Dann war er still.

Ich stand da wie gelähmt und starrte in den Spiegel. Ich weiß noch genau, daß die Stimme in oder neben meinem Körper auf der linken Seite sprach. Auf jeden Fall ganz nahe, fast so, als wenn er in meiner linken Körperhälfte gesprochen hätte.

Ich war ganz ruhig geworden. Mir wurde auf einmal bewußt, daß er noch genauso traurig und ärgerlich wird wie zu Lebzeiten, wenn ich um ihn weinte und mir Vorwürfe machte, die überhaupt nicht gerechtfertigt waren. Als er noch lebte, wollte ich ja auch nur sein Bestes. Ich denke immer daran, wenn ich wieder anfange zu trauern und hoffe, daß er jetzt mit mir zufrieden ist. Ich werde ihn trotzdem nie vergessen."

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