Psychowissenschaftliche Grenzgebiete
 
Thema: Der Verkehr mit der Geisterwelt Gottes
Christus - sein Leben und sein Werk (2)
   


 

7. 1 Die menschliche Geburt, die Kindheit und die Geschwister Jesu

Zeugung und Geburt vollziehen sich in der Schöpfung Gottes nach unabänderlichen Gesetzen. Die Verbindung männlichen und weiblichen Samens ist zur Zeugung überall erforderlich.

Eine menschliche Zeugung kann daher nur zustande kommen, wenn der Same eines männlichen Menschen mit dem eines weiblichen sich vereinigt. Den Bericht der Bibel von der Zeugung Christi faßt ihr nun so auf, als ob ein Geist des Himmels ohne Benutzung eines männlichen Menschenkörpers und männlichen Samens im Schoße einer menschlichen Jungfrau den Lebenskeim des werdenden Kindeskörpers geschaffen habe.

Diese Auffassung ist unrichtig!

Und sie gibt zahllosen Menschen, gläubigen sowohl als ungläubigen, mit Recht Veranlassung, diese Art der Menschwerdung des Sohnes Gottes zu leugnen oder doch zu bezweifeln. Hier liegt das Wunderbare und Außergewöhnliche, aber doch den Naturgesetzen Entsprechende mit dem Widersinnigen und darum Unglaublichen nahe zusammen.

Ich will dir auch hierin die volle Wahrheit mitteilen, da ich weiß, daß du sie verstehen wirst.
   
 
 

Ist aus einem Tieftrancemedium der eigene Geist ausgetreten und hat ein fremdes Geistwesen von dem Körper des Mediums Besitz ergriffen, so vermag es die Organe des Körpers in derselben Weise zu gebrauchen wie der eigene Geist.

Habe ich dich nicht bei der Schilderung des Götzendienstes der vorsintflutlichen Zeit ausdrücklich auf den Geschlechtsverkehr aufmerksam gemacht, den die bösen Geister durch männliche Medien mit den Töchtern der Menschen unterhielten und mit ihnen nach dem Zeugnis der Bibel Kinder zeugten?

Was nun die bösen Geister durch menschliche Medien vermögen, sollte das den guten Geistern nicht ebenso möglich sein? Wenn die abgefallenen 'Gottessöhne' durch männliche Medien Kindern das Dasein geben konnten zum Verderben der Menschheit, sollten dann treugebliebene Gottessöhne zur Rettung der Menschheit nicht dasselbe tun können?

Jetzt wird dir die menschliche Zeugung Christi ohne weitere Auseinandersetzung klar sein.

Schon oft hatten Geister Gottes durch Josef als Medium zu Maria über die kommende Erlösung gesprochen. Solche Geisterkundgebungen waren ihr also nichts Ungewöhnliches, wie überhaupt das jüdische Volk über den Verkehr mit der Geisterwelt gut Bescheid wußte. Das siehst du aus dem Bericht der Bibel über die Erscheinung des Engels bei Zacharias. Als Zacharias aus dem Heiligtum her-austrat und nicht mehr reden konnte, da merkte das Volk, daß er die Erscheinung eines Boten Gottes gehabt hatte (Lukas 1, 22).

Maria erschrak daher auch nicht, als eines Tages ein Geist in Josef als Medium eintrat und ihr eine Botschaft brachte. Nur über die Anrede, die der Geist an sie richtete, wurde sie bestürzt. Er nannte sie die Gesegnete unter den Frauen. Damit deutete er ihr an, daß sie Mutter werden sollte. Sie konnte nicht begreifen, wie er das meine, da sie ja keinerlei Geschlechtsverkehr gehabt und daher auch nicht Mutter werden konnte. Nun wurde ihr zur Aufklärung mitgeteilt, daß ein heiliger Geist auf sie kommen und die Kraft eines sehr Hohen sie überschatten werde. Darum solle auch das Heilige, das aus ihr geboren würde, ein Sohn Gottes genannt werden.

Der Geist erklärte ihr noch näher, wie das geschehen würde, was jedoch eure Bibel nicht berichtet. Er sagte ihr, daß sofort, nachdem er aus dem Körper des Mediums ausgetreten sei, ein sehr hoher Geist des Himmels in das Medium eintreten werde und daß sie durch ihn nach dem allgemein gültigen Zeugungsgesetz Mutter würde.

Maria erklärte daraufhin ihre Zustimmung.

Und wenige Augenblicke vor der Geburt des Kindes trat der Geist Christi in den Kindeskörper, also um dieselbe Zeit, wo bei allen Müttern durch Eintritt eines Geistes in den kindlichen Organismus die Menschwerdung eines Geistes sich vollzieht.

Diese Art der Zeugung Christi war den ersten Christen bekannt. Sie wurde ihnen auf dieselbe Weise mitgeteilt, wie ich sie dir mitteile. Sie wußten also, daß der menschliche Leib Christi durch Christus selbst als Geist unter Benutzung des Josef als Medium gezeugt worden ist, daß also der Heilige Geist, der nach den Worten Gabriels auf Maria kommen sollte, Christus selbst war. Denn er wollte alles, was er zur Vollbringung der Erlösung für erforderlich hielt, selbst vollbringen. Er hatte die schwere Vorbereitungsarbeit für die Erlösung in der Menschheit vom ersten Tage an selbst in die Hand genommen. Er hatte das Gottesvolk als Träger des Gottesglaubens sich auserwählt, es geführt, belehrt, gemahnt, gewarnt, gestraft. Er hatte hohe Geister des Himmels als Propheten gesandt. Nun war sein letztes Vorbereitungswerk die Zeugung der menschlichen Hülle, in die er nach wenigen Monaten im Mutterschoße eintreten wollte, um durch menschliche Geburt als Mensch unter Menschen zu wandeln.

Nachdem Josef aus der Tieftrance erwacht war, teilte ihm Maria sofort das Geschehene mit. Es war eine sehr schwere Probe, auf die Josef sich gestellt sah. Sollte er den Angaben seiner Verlobten Glauben schenken? Ein furchtbarer innerer Kampf begann. Josef war ja ein Mensch wie alle anderen Menschen.

Das Böse trat jetzt mit den schwersten Angriffen an ihn heran. Die Höllenmächte hatten jetzt nur das eine Ziel im Auge, Josef an Maria irre werden zu lassen, damit er sie verstoße. Denn nach dem jüdischen Gesetze mußte eine Jungfrau, die verlobt war, den Steinigungstod erleiden, sobald sie sich mit einem anderen verging. Das Böse hämmerte nun dem Josef den Gedanken ein, daß Maria sich mit einem andern eingelassen hätte und nun die Ausrede gebrauche, ein Geist Gottes habe Josef in seinem medialen Zustande zur Zeugung benutzt. Alle, was euch Menschen an Mißtrauen, Eifersucht und Bitterkeit über erlittene Enttäuschung eingegeben werden kann, das haben die bösen Mächte dem Josef eingeflößt. Sie setzten ihm in furchtbarer Weise zu. Diese Belastungsprobe schien zu schwer für ihn zu sein. Halb und halb neigte er dazu, seine Verlobte heimlich zu entlassen. Eine heimliche Entlassung sollte es deshalb sein, weil er seiner Sache nicht sicher war und als gerechter Mensch nicht ohne vollen Beweis der Schuld jemand in den Tod bringen wollte. Andererseits konnte er bei diesem nagenden Zweifel an ihrer Treue seine Verlobte auch nicht ehelichen. Maria sagte ihm bloß, daß Gott ihn sicherlich auf irgendeine Weise über die Wahrheit aufklären werde. Auch sie litt unter den Zweifeln ihres Verlobten unsagbar. –

Da, noch in derselben Nacht, stand ein Bote Gottes vor dem mit der Gabe des Hellsehens ausgestatteten Josef und klärte ihn über alles auf.

Damit war der Kampf zu Ende.

Ich weiß, daß euch kleinen Menschen diese Wahrheit – und es ist die Wahrheit – viel zu menschlich erscheint und zu sehr den Naturgesetzen entsprechend. Sie ist euch nicht wunderbar und geheimnisvoll genug. Die menschliche Zeugung erscheint vielen als etwas Niedriges, und sie möchten Gott gewissermaßen einen Vorwurf daraus machen, daß er so etwas überhaupt in seine Schöpfung eingeführt hat. Gott ist euch nicht keusch genug. –

O, ihr elenden Menschen, die ihr die herrlichsten Gesetze der Allmacht und Weisheit Gottes, wie sie bei der Zeugung, dem Werden und der Geburt eines Kindes hervortreten, so minderwertig beurteilt!

Christus, dem höchsten geschaffenen Geist, war es nicht zu minderwertig, nach den ewig gültigen Gesetzen der Zeugung seine menschliche Hülle zu bilden, um unter euch wohnen, leiden und sterben zu können. Wenn euch die Wahrheit seiner menschlichen Zeugung nicht wunderbar genug ist, ihm ist alles das wunderbar, was nach den heiligen Gesetzen seines himmlischen Vaters geschieht, von denen der Prediger sagt:

Prediger 3, 14:
'Ich habe erkannt, daß alles, was Gott bestimmt hat, ewige Geltung besitzt. Man kann da nichts hinzufügen und nichts davon hinwegnehmen. Und das hat Gott so eingerichtet, damit man Ehrfurcht vor ihm habe.'  

Diese Ehrfurcht besitzt ihr leider nicht!

Darum klügelt ihr euch Erklärungen für das Menschwerden Christi aus, die wegen ihrer angeblichen Wunderbarkeit voll von Widersprüchen sind und den Ungläubigen berechtigten Anlaß geben, über diesen ersten Schritt Christi zur Menschwerdung zu höhnen.

Wäre die Menschwerdung Christi nicht nach den Gesetzen der menschlichen Zeugung erfolgt, dann hätte Paulus nicht sagen können: 'Christus ist uns in allem gleich geworden.' Denn dann wäre er in dem Punkte der Zeugung von euch Menschen wesentlich verschieden. Sein Körper wäre nicht aus menschlichem Samen entstanden. Aber Paulus hat Recht. Christus ist euch in allem gleich geworden, auch in der Entstehung seiner menschlichen Hülle aus menschlichem Samen.    
 
 
 

Nun komme ich auf deinen Wunsch auf einige Lehren der katholischen Kirche zu sprechen, die hierher gehören. Du warst ja Priester dieser Kirche. Es ist daher verständlich, daß es dir besonders am Herzen liegt, zu vernehmen, was von ihren Lehren der Wahrheit entspricht und was Irrtum ist.

Die katholische Kirche lehrt, daß die Mutter Jesu ohne 'Erbsünde' gewesen. Das ist richtig. Aber es ist nicht aus dem Grunde richtig, den deine bisherige Kirche dafür angibt. Auch in Maria war, wie in so manchen Menschen der früheren Zeiten, die eine große Aufgabe Gottes zu erfüllen hatten, ein Geist des Himmels verkörpert. So war es bei Henoch, Abraham, Mose, Elia und den anderen, die ich dir bereits genannt habe. So war es bei Johannes, dem Vorläufer Christi, in dem Elia wieder zur Erde gekommen war.

Aber ganz unrichtig ist die Lehre der katholischen Kirche, daß Maria als Mensch frei von jeder, auch der geringsten Sünde gewesen sei. Trotzdem blieb sie ihrem Gott treu, wie ja auch Mose, jener hohe Geist des Himmels, Gott treu blieb, obschon er mehr als einmal als Mensch zum Straucheln kam und zur Strafe dafür nicht in das gelobte Land einziehen durfte.
 
 

Auch darin irrt die katholische Kirche, daß Maria nach der Zeugung und der Geburt Jesu noch Jungfrau gewesen sein soll. Ebensowenig wie jede andere Jungfrau nach der Empfängnis und der Geburt eines Kindes noch Jungfrau ist, ebensowenig war es Maria. Nur bevor sie Christus empfing, war sie Jungfrau. Der Erlöser sollte nicht von einer Mutter geboren werden, die vorher schon einmal geboren oder empfangen hatte. Das ist der Sinn der Worte bei Matthäus: 'Siehe, die 'Jungfrau' wird empfangen und einen Sohn gebären.'
 
 

Es steht auch mit der Wahrheit im Widerspruch, wenn die katholische Kirche behauptet, nach der Geburt Jesu habe Maria keine Kinder mehr geboren. Aus welchem Grunde sollte sie denn nach der Geburt ihres Erstgeborenen auf ihre Mutterrechte und Josef auf seine Vater- und Gattenrechte verzichten? Die nach Christus geborenen Geschwister beeinträchtigten doch in keiner Weise weder die Persönlichkeit Christi noch sein Leben noch seine Lehre oder sein Werk.

Wenn in den Urkunden des Neuen Testamentes an verschiedenen Stellen von Brüdern und Schwestern Jesu die Rede ist, so sind seine leiblichen Brüder und Schwestern damit gemeint und keine 'Verwandten', wie die Katholiken krampfhaft zu beweisen sich bemühen. Wären es 'Verwandte' Christi gewesen, so hieße es nicht 'Brüder' und 'Schwestern', sondern 'Verwandte'. Oder meint ihr, die damalige Sprache habe kein Wort gehabt, mit dem sie die Bezeichnung 'Verwandte' hätte ausdrücken können? Das werdet ihr doch wohl im Ernst nicht behaupten wollen. Denn in der Geschichte des zwölfjährigen Jesus im Tempel wird ja mitgeteilt, daß seine Eltern ihn suchten bei den 'Verwandten' und Bekannten. Also hier, wo es sich um wirkliche 'Verwandte' handelte, gebraucht auch der Evangelist das Wort 'Verwandte'. Wenn derselbe Evangelist nun später schreibt: 'Es trafen seine Mutter und seine Brüder bei ihm ein' (Lukas 8, 9), dann will er sicher nicht sagen, daß diese Brüder bloß 'Verwandte' gewesen seien, die mit seiner Mutter kamen. Und die Leute, die Jesus die Ankunft seiner Mutter und Brüder meldeten, sagten ebenfalls: 'Deine Mutter und deine 'Brüder' stehen draußen und wünschen dich zu sprechen.' Und Matthäus und Markus berichten ebenfalls, daß seine 'Mutter' und 'Brüder' zu ihm kamen. Sollten alle drei Evangelisten das Wort 'Brüder' gebraucht haben, wo es 'Verwandte' heißen soll, wiewohl sie doch das Wort Verwandte hätten gebrauchen können und müssen? Es ist töricht, so etwas anzunehmen.

Ferner berichtet Matthäus über das Auftreten Jesu in seiner Vaterstadt Nazareth: 'Als er in seine Vaterstadt gekommen war, machte er in dem dortigen Betsaale durch seine Lehre solchen Eindruck auf sie, daß sie in Staunen gerieten und fragten:

Matthäus 13, 53 – 57:
'Woher hat dieser solche Weisheit und Wunderkraft? Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermannes? Heißt seine Mutter nicht Maria und seine Brüder nicht Jakobus, Josef, Simon und Judas? Leben nicht auch seine Schwestern alle hier bei uns? Woher hat er denn dies alles?'  

Kann irgendeiner mit gesundem Menschenverstand behaupten, in dieser Aufzählung von Vater, Mutter, Brüdern und Schwestern Jesu handle es sich bloß um Verwandte? So wie hier der wirkliche Vater und die wirkliche Mutter Jesu gemeint ist, so sind auch die wirklichen Brüder und Schwestern Jesu gemeint. Und was könnte die Aufzählung von 'Verwandten' hier überhaupt bezwecken? Die Bewohner von Nazareth staunten über die Lehre und Wunder Jesu. Und da fragten sie, wie auch ihr in ähnlichen Fällen manchmal fragt: Von wem hat er denn das alles? Sein Vater, der Zimmermann, ist doch ein einfacher Mann. Seine Mutter, die Maria, ist eine einfache, schlichte Frau, und auch an seinen Geschwistern ist nichts Auffallendes zu bemerken. Denn seine Brüder, der Jakobus und der Josef und der Simon und der Judas, verkehren doch täglich mit uns. Aber an ihnen haben wir bisher nichts Außergewöhnliches bemerkt. Auch seine Schwestern, die alle hier in unserem Orte sind, unterscheiden sich ebenfalls in nichts von den anderen weiblichen Bewohnern von Nazareth. Wie kommt nun der Jesus als einziger von allen seinen Geschwistern zu der wunderbaren Veranlagung?

Hier sagen zu wollen, mit der Bezeichnung 'Brüder' und 'Schwestern' Jesu seien hier bloß 'Verwandte' gemeint, ist so töricht, daß niemand eine solche Behauptung aufstellen kann, wenn er sich nicht durch andere Gründe dazu gezwungen fühlt.

Aber hier siehst du, wie es geht, wenn man eine Unwahrheit durch eine andere schützen muß.

Die katholische Kirche hat die widersinnige Lehre aufgestellt, daß Maria trotz der Geburt Jesu Jungfrau geblieben sei. Dann durfte sie selbstverständlich erst recht nicht noch andere Kinder haben. Nun berichtet aber die Bibel an vielen Stellen von Brüdern und Schwestern Jesu. Da dies aber mit der Lehre von der immerwährenden Jungfrauschaft Marias in Widerspruch steht, so müssen die tatsächlich vorhandenen Brüder und Schwestern Jesu zu 'Verwandten' gestempelt werden. Denn sonst wäre sowohl das Dogma von der immerwährenden Jungfrauschaft Marias als auch das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papsttums hinfällig.  

Die Engelbotschaft an die Hirten, deren Begrüßung des erschienenen Retters der Menschen, die Darstellung Jesu im Tempel und das Erscheinen der Magier aus dem Morgenlande verlief so, wie es eure neutestamentliche Bibel berichtet. Die Magier waren Werkzeuge Gottes mit großen medialen Gaben. Sie waren in ihrer Heimat Künder des wahren Gottesglaubens und durch ihren Verkehr mit der guten Geisterwelt in manche Heilswahrheiten eingeweiht worden. Durch dieselbe Geisterwelt, die den Hirten die Geburt des Heilandes verkündet hat, empfingen auch sie die Nachricht von dem freudigen Ereignis.

Schon vorher war es ihnen durch Boten Gottes als nahe bevorstehend angezeigt worden. Sie wurden nun aufgefordert, sich auf den Weg zu machen, um das Kind zu finden, in dem Gottes Sohn Mensch geworden. Der Ort selbst wurde ihnen nicht genannt. Es wurde ihnen bloß gesagt, daß ein Lichtschein vor ihnen hergehen werde, um ihnen den Weg zu zeigen. Nicht bloß die Magier, sondern jeder sah diesen Lichtschein, der wie ein strahlender Stern aussah und vor ihnen herzog. Durch ihn wurden die Magier auf dieselbe Weise geführt wie einst Mose und das israelitische Volk durch die Wolkensäule. Sie kamen zunächst nach Jerusalem, zu Herodes. Das war Fügung Gottes. Dadurch sollte der irdische Fürst die Geburt des Weltenkönigs erfahren, damit das durch den Propheten vorherverkündete Schicksal der bethlehemitischen Kinder seine Erfüllung fand. Auch hier war es das Eingreifen der christusfeindlichen Geistermächte, die durch Einflößung der Furcht um seinen Thron den irdischen Fürsten veranlaßten, den Kindermord zu begehen, um den neugeborenen Lehrer der Wahrheit zu vernichten.

Die Ankunft der Magier in Bethlehem erfolgte nach der Darstellung Jesu im Tempel. Die Eltern des Kindes waren mit dem Kinde von Jerusalem wieder nach Bethlehem gegangen. Dort wollten sie noch einige Zeit bleiben und dann nach Nazareth zurückkehren. Während ihres Aufenthaltes in Bethlehem erschienen die Magier. Nachdem diese ihre Rückreise angetreten hatten, rüsteten sich auch die Eltern des Kindes zur Heimkehr. Da erhielt Josef durch einen Boten Gottes die Weisung, mit Mutter und Kind nach Ägypten zu fliehen. Denn Herodes, der schon auf die erste Nachricht von der Geburt des neuen Königs der Juden den Entschluß gefaßt hatte, ihn aus dem Wege zu räumen, stand unmittelbar vor der Ausführung dieses Vorhabens.

Nachdem das Jesuskind dem Säuglingsalter entwachsen war, gestalteten sich seine Kinderjahre wie die anderer Kinder. Es lernte gehen und sprechen und spielte, wie es auch sonst bei Kindern der Fall ist. Es beging kindliche Fehler in derselben Weise, wie ihr sie bei allen anderen Kindern erlebt.

Der Knabe kam in die Jahre des Erwachens der Vernunft. Da in ihm der höchste der geschaffenen Geister verkörpert war, hatte er auch eine hohe menschliche Begabung. Aber trotzdem mußte er anfangen zu lernen, wie jeder, auch der Begabteste anfangen muß. Er kam als Kind zur Erkenntnis eines Gottes auf dieselbe Weise wie du dazu kamst, nämlich zunächst durch Belehrung von seiten seiner Eltern und Lehrer. Er hörte die Predigten über Gott in dem Betsaal seines Heimatstädtchens. Er besprach sich über das Gehörte mit seinen Eltern und Lehrern und ließ sich von ihnen Aufklärung über das geben, was er nicht verstanden hatte oder was ihm nicht richtig zu sein schien.

Auch die Versuchung zum Bösen trat an den Knaben heran wie an alle Menschenkinder und in der Stärke, wie es der kindlichen Kraft entsprach. Er überwand in einer seinem Alter entsprechenden Erkenntnis des Bösen die Versuchungen zur Sünde. Doch auch er strauchelte und beging Fehler aus menschlicher Schwäche, wie sie auch das beste Kind begeht.

Bei dem Jesusknaben wurde also auch hierin keine Ausnahme gemacht. Denn es ist ein für die Menschheit allgemein gültiges Gesetz, daß ein Mensch mit jedem neuen Sieg über das Böse eine größere Widerstandskraft gegen die Sünde erlangt, daß aber auch dem Bösen gestattet wird, mit entsprechend größerer Gewalt gegen ihn vorzugehen, so daß das ganze Leben eines gottestreuen Menschen ein beständiger Kampf gegen die gottfeindlichen Mächte bedeutet. 'Ein Kriegsleben ist des Menschen Leben auf dieser Erde.'

Einen großen inneren Kampf verursachten dem Jesusknaben bei zunehmendem Alter die vielen Irrtümer in der jüdischen Religion als der Religion seiner Eltern. Es waren alle jene Irrtümer, die im Laufe der Zeit von der jüdischen Kirche als Menschensatzungen und angebliche Ergänzungen des Gesetzes Gottes eingeführt worden waren.

Als er soweit war, daß er selbst die Urkunden des Alten Testamentes lesen und verstehen konnte, empfand er die Auslegungen, die von den jüdischen Gesetzeslehrern über so manche Bibelstelle gegeben wurden, als unrichtig. Und wenn er in seinem kindlichen Freimut seine Überzeugung seinen Eltern oder Lehrern gegenüber zum Ausdruck brachte, erhielt er manch harten Verweis. Diese im Gegensatz zu der jüdischen Kirchenlehre stehende Überzeugung des Knaben war es, die der Zwölfjährige im Tempel zu Jerusalem den Priestern zu deren größtem Erstaunen vortrug, ihnen darüber Fragen vorlegte und deren Fragen nach seiner eigenen Erkenntnis beantwortete.

Gewiß, er war in dieser Beziehung das, was ihr ein 'Wunderkind' nennt. Ihr habt Wunderkinder auf den verschiedenen Gebieten menschlichen Könnens. Dieser Knabe war ein Wunderkind in der Erkenntnis der Heilswahrheiten Gottes. Aber er war Mensch wie alle anderen Menschen.

Aber schon in den ersten Jahren der Vernunft hatten sich große mediale Gaben bei diesem Knaben zu entwickeln begonnen. Es waren die Gaben des Hellsehens und Hellhörens, die, mit kleinen Anfängen beginnend, nach und nach zur höchsten Vollkommenheit sich steigerten. Sie befähigten ihn, mit der Geisterwelt in Verbindung zu treten, die Geister hellsehend zu schauen und ihre Worte hellhörend zu vernehmen. Es war nichts Neues, was dem heranwachsenden Jüngling mit dieser Gabe verliehen wurde. Viele Menschen vor ihm besaßen sie. Nur wurde sie bei diesem Gottgesandten zum höchsten Grade entwickelt, der bei Menschen überhaupt möglich ist.

Durch seine Verbindung mit der Geisterwelt Gottes wurde er während seines Erdenlebens über alles unterrichtet, was zur Erfüllung seiner Aufgabe für ihn zu wissen notwendig war. Denn als Mensch wußte er von alledem ebensowenig wie andere Menschen.

Was also Christus während seines menschlichen Lebens lehrte, hatte er aus diesem Geisterverkehr empfangen, wie auch Mose alles, was er dem Volke mitteilte, vorher im Offenbarungszelte durch Befragen Gottes erfahren hatte.

So wuchs der Knabe zum Jüngling und Manne heran. Mit zunehmendem Alter nahmen auch seine Erkenntnisse zu, nicht bloß die Erkenntnisse, wie sie jeder Mensch mit zunehmendem Alter gewinnt, sondern auch vor allem die Erkenntnisse, die ihm durch die Geister Gottes vermittelt wurden. In demselben Maße ging auch sein Wachstum im Guten voran, was eure Bibel in den Worten ausdrückt:

Lukas 2, 52:
'Er nahm zu an Alter und Weisheit und Wohlgefallen vor Gott und den Menschen.'  

Es war ein wirkliches Zunehmen und nicht bloß ein äußeres 'an den Tag legen', wie deine bisherige Religion behauptet.

Christus war als Mensch nicht von vornherein vollkommen, da kein Geist im Menschenkörper vollkommen sein kann. Denn die Materie ist in sich etwas Unvollkommenes und Niedriges. Auch der Geist, der rein und vollkommen in die materielle Hülle kommt, muß sich als Mensch nach und nach in beständigem Kampfe gegen das ihn niederziehende Böse zur Vollkommenheit durchringen. Mit jedem Menschenleib sind menschliche Schwächen und Unvollkommenheiten des darin verkörperten Geistes verbunden, mit denen auch der vollkommenste Geist zu ringen hat und von denen er sich, so lange er Mensch ist, nie ganz befreien kann. Es gehört dies eben zur Natur des Menschen.

Auch Christus machte darin keine Ausnahme. Er hatte mit diesen Unvollkommenheiten bis zu seinem letzten Atemzuge zu kämpfen und unterlag mehr als einmal der menschlichen Schwäche im Kampfe gegen das Böse. Im Garten Gethsemane wurde dieser große Überwinder des Bösen doch als Mensch schwach und unvollkommen, als er betete, der Vater möge den Kelch des Leidens an ihm vorübergehen lassen; wenn er auch hinzufügte: 'Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!' Er wußte, daß es der Wille des Vaters war, daß er diese Leiden erdulden sollte. Hier spricht also der schwache, unvollkommene Mensch, der infolge seiner Menschennatur vor einem qualvollen Tod erbebt und sich gegen ihn sträubt. Der Vollkommene würde gesagt haben: 'Vater, gib mir soviel Leiden als du willst und für gut findest. Ich nehme sie gern auf mich.' Er würde nicht gesagt haben: 'Nimm sie weg!' – Und der schwache Mensch sprach am Kreuze aus ihm, als er sich bei Gott mit den Worten beklagte: 'Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?' Diese Klage hätte ein in allen Stücken vollkommener Mensch nicht ausgesprochen. Aber ein so vollkommenen Menschen gibt es nicht. Da müßte der Mensch aufhören, Mensch zu sein, und der Leib aufhören, Materie zu sein.

Paulus hat diese Wahrheit in seinem Brief an die Hebräer in Worten wiedergegeben, die denjenigen sehr unangenehm klingen, die Christus als Gott bekennen und daher jede Möglichkeit der Sünde und des Abfalls von Gott bei Christus leugnen. Er schreibt:

Hebräer 5, 7 – 9:
'Christus hat in den Tagen seines Erdenlebens Bitten und Flehen mit lautem Geschrei und Tränen vor den gebracht, der ihn vom 'Tode' zu retten vermochte. Und er hat auch Erhörung gefunden und ist von der Angst befreit worden. Er hat, obwohl er Gottes Sohn war, an seinem Leiden Gehorsam gelernt. Nachdem er dann zur Vollendung gelangt war, ist er allen denen, die ihm gehorsam sind, der Urheber ewigen Heiles geworden.'  

In diesen Worten findest du alles, was ich dir vorhin gesagt habe, bis ins einzelne bestätigt. Ich wies dich bei der Erklärung des Heilsplanes Gottes auf die sehr wichtige Tatsache hin, daß auch der höchste geschaffene Geist sich durch eine Menschwerdung der Gefahr aussetze, vom Bösen besiegt und zum Abfall von Gott verleitet zu werden. Diese Gefahr bedrohte auch Christus. Er erkannte sie in ihrer ganzen Größe. Mehr als einmal war er nahe daran, den Angriffen Satans zu erliegen. Darauf weist Paulus in den vorgenannten Worten seines Briefes hin, wenn er sagt, daß Christus zu Gott unter Tränen geschrien habe, ihn doch von dem Tode zu erretten.

Daß nicht der leibliche Tod damit gemeint war, geht daraus hervor, daß Paulus ausdrücklich sagt, Gott habe das Gebet Christi erhört. Er hat ihn also vor dem Tode bewahrt, vor dem Christus so große Angst empfand. Hat ihn Gott vor dem irdischen Tode und der irdischen Todesangst bewahrt? Im Gegenteil. Den Kelch der irdischen Todesangst und des irdischen Todes hat Gott ihn bis zur Neige leeren lassen. Es muß also ein anderer Tod gewesen sein, von dem Christus auf sein Flehen errettet wurde. –

Du weißt, daß das Wort 'Tod' an fast allen Stellen der Bibel und vor allem in den Briefen des Paulus den 'geistigen Tod' oder den Abfall von Gott bezeichnet. Vor diesem Abfall zitterte Christus schon zu einer Zeit, wo er von einem Kreuzestod noch nichts wußte. So furchtbar hat ihm Satan zugesetzt. Eure Bibel weiß nichts von dem täglichen Ringen Christi mit den Höllenmächten, die alles aufboten, ihn mürbe zu machen und dadurch zum Abfall von Gott zu bringen. Daß er unter Tränen zu Gott aufschrie und ihn um Hilfe anflehte, wenn Satan mit seiner ganzen Horde an ihm war und er vor Angst zitterte, er möchte der Hölle auf die Dauer nicht wiederstehen können – daran möget ihr erkennen, daß die Möglichkeit eines Abfalles von Gott auch bei Christus gegeben war.

Und Satan, der ja genau wußte, wen er in Christus vor sich hatte, wäre nicht so dumm gewesen, seine ganzen Machtmittel gegen ihn ins Feld zu führen, wenn er keine Aussicht gehabt hätte, ihn zu besiegen. Darum richten sich seine Angriffe nie gegen Gott selbst, sondern nur gegen die Geschöpfe Gottes. Und wenn Luzifer als zweithöchster der geschaffenen Geister von Gott abfiel, warum sollte nicht der erste dieser Geister ebenfalls abfallen können, vor allem jetzt, wo er als schwacher Mensch den Höllenmächten gegenüberstand. Satan weiß genau, was er tut, und er unternimmt nichts Aussichtsloses.

Auch die Wahrheit, daß Christus menschliche Fehler und Schwächen beging, hat Paulus in der angegebenen Stelle zum Ausdruck gebracht. Denn er sagt, Christus habe, wiewohl er Gottes Sohn war, doch aus dem, was er durchzumachen hatte, Gehorsam gelernt. Also auch Christus mußte als Mensch Gehorsam lernen. Auch er hat nicht immer den inneren und äußeren Anregungen zum Guten Folge geleistet. Aber die Strafe, die auch er als Mensch für den kleinsten aus Schwachheit begangenen Ungehorsam bekam, hat ihn nach und nach Gehorsam gelehrt, und so ist er zur Vollendung gekommen, und zwar durch den größten Akt des Gehorsams – seinen Tod am Kreuze.

Das ist ja das Große und Wunderbare an Christus, daß er, obschon er der Sohn Gottes war, doch als Mensch mit denselben Schwachheiten und Unvollkommenheiten zu kämpfen hatte, die auch die anderen Menschen haben, und daß er trotzdem gegen die Macht der Hölle standhielt. Er hat die schlimmsten Angriffe des Bösen an sich erfahren müssen als einer, der besiegt werden konnte und vor Angst, er möchte besiegt werden, zu Gott im Gebet schrie. Darum weiß er auch aus eigener Erfahrung, wie es euch schwachen Menschen zumute ist.

Hebräer 4, 15:
'Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitgefühl mit unseren Schwachheiten haben könnte, sondern einen solchen, der in allen Stücken ebenso versucht worden ist – nur ohne die Sünde.'

Christus gehörte nie zu den von Gott Abgefallenen und ließ sich auch nicht als Mensch von Gott trennen. 'Die Sünde zum Tod', wie der Apostel Johannes sie nennt, beging er nicht. Sonst ist er den Menschen in allem gleich geworden, auch in der menschlichen Schwachheit und im menschlichen Straucheln. Denn die Schwachheit zeigt sich im Straucheln. Wer nie strauchelt, ist auch nie schwach.

Der Zeitpunkt, wo Johannes der Täufer als Bußprediger auftrat, sollte auch für Christus von entscheidender Wichtigkeit werden. Denn bis dahin wußte er noch nicht, daß er der verheißene Messias war. Als er jedoch Johannes aufsuchte und dieser ihn der Volksmenge als das Lamm Gottes vorstellte, das die Sünde der Welt hinwegnehmen solle, da erkannte er, wer er war und erhielt sofort auch von Gott selbst die Bestätigung: 'Du bist mein geliebter Sohn; an dir habe ich mein Wohlgefallen.'

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo auch die Geisterwelt Gottes Christus über seine Lebensaufgabe aufklärte. Es wurde ihm gesagt, daß er der höchste der geschaffenen Geister, der erstgeborene Sohn Gottes sei. Er wurde belehrt, daß er die Wahrheiten Gottes zu verkünden habe, daß er gegenüber den Angriffen Satans standhaft bleiben müsse, daß Satan in seinem Kampfe gegen ihn bis zum Äußersten gehen und ihn in den Kreuzestod hineintreiben werde, wie es von den Propheten vorausgesagt worden.

Die Hölle erkannte Christus als den Sohn und Gesandten Gottes, der die Menschheit durch seine Lehre zu Gott führen und für die Wahrheit zu sterben bereit sein solle. So aber wollte er Christus, den er bloß als einen Künder der Wahrheit erkannte, möglichst bald unschädlich machen. Sofern es ihm nicht gelang, Christus zum Abfall von Gott zu bringen, hoffte er seiner Wirksamkeit als Wahrheitskünder dadurch ein Ende machen zu können, daß er ihm das schimpfliche Los eines Kreuzestodes bereitete. Satan rechnete damit, daß die Lehre eines Gehängten bei den Menschen schnell abgetan sei. Denn diese mußten erwarten, daß ein Gottessohn, als den sich Christus ausgab, soviel Macht von Gott erhalten werde, daß er einen schmählichen Tod von seiten seiner Feinde verhindern könne. War er dazu nicht imstande, dann war mit seinem Tode auch seine Lehre gerichtet. Das war die Berechnung, die Satan sich gemacht hatte.

Christus wußte jetzt also, wer er war und welche große Aufgabe er zu vollbringen hatte. Doch ehe er mit der Ausführung begann, hatte auch er die Belastungsprobe zu bestehen, wie alle bisherigen Werkzeuge Gottes sie hatten bestehen müssen. Er mußte zeigen, ob er seiner wichtigen und folgenschweren Aufgabe gewachsen war.

Darum führte ihn der Geist Gottes in die Wüste.

Hier hatte er einen furchtbaren Ansturm der Höllenmächte auszuhalten. Niemand stand ihm dabei helfend und stützend zur Seite. Kein Wort menschlichen Trostes von seiten einer Mutter oder der Geschwister oder eines Freundes erreichte ihn hier. Und doch sehnt sich der Mensch gerade in schweren Seelenkämpfen nach einem mitfühlenden, mittragenden und stützenden Menschenherzen. Das alles war ihm in der Wüste versagt. Wilde Tiere umheulten ihn, und die Geister der Hölle standen vor seinem hellsehenden Auge. Unaufhaltsam kamen und gingen sie. Er hörte ihre Lockungen, Versprechungen, Drohungen. Zu allem, wozu Menschen versucht werden können, wurde dieser Menschensohn bis zum äußersten versucht. Satan hat ja seine Spezialisten auf allen Gebieten des Bösen:  

Diese Verführungsspezialisten hatten ihre Rollen gut verteilt. Die Geister des Zweifels waren die mächtigsten und erschienen immer wieder auf dem Plan. Wie konnte denn ein Gott seinen erstgeborenen Sohn in eine solche Wüste schicken, dem Hunger preisgeben und diesen Seelenqualen aussetzen? - War am Ende doch alles, was er von vermeintlichen guten Geistern gehört, war der Ausspruch des Täufers, war die Gottesstimme am Jordan nicht eine einzige große Täuschung oder eine Kundgebung des Bösen? - War die Gottessohnschaft infolgedessen nicht ein großer Wahn, dem er zum Opfer gefallen war? Um diesen Punkt drehte sich der Hauptangriff der Hölle.

Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte das Kesseltreiben der Hölle. Und ihr Opfer war ihr schutz- und hilflos preisgegeben, zitternd an allen Gliedern vor seelischen Aufregungen und vor körperlichem Elend infolge Hungers und Schlaflosigkeit. Es fehlte hier ja jede Nahrung. Er fastete, aber nicht freiwillig, sondern weil nichts Eßbares vorhanden war. Nichts als Sand und Steine, soweit man schaute.

Aber alle Spezialisten der Hölle mühten sich vergeblich ab , diesen fiebernden Jesus von Nazareth zu Fall zu bringen, obschon er sich vor körperlicher Schwäche, Hunger und Durst nicht mehr aufrechthalten konnte. Immer wieder schrie er unter Tränen zu seinem Vater um Hilfe, damit er ihn vor dem Tode des Abfalls bewahren und ihm die Kraft geben möge, dem Ansturm des Bösen bis zum siegreichen Ende standzuhalten.

Da, am letzten Tage, als alle Höllenmächte mit ihren Verführungskünsten dem gequälten Opfer gegenüber versagt hatten, kam er selbst – er, der Fürst der Finsternis. In manchen Dingen ist er Spezialist. Vor allem ist er der Geist höllischer Wundertaten. Als solcher steht er vor dem vor Hunger zitternden Jesus und spricht:

'Du meinst, du seiest ein Sohn Gottes? Wenn du das bist, dann brauchst du keinen Hunger zu leiden, sondern du kannst diese Steine zu Brot machen. Aber du kannst es nicht, du Irregeführter, und mußt hier wegen dieses Wahns des Hungertodes sterben. Wunder kannst du nicht wirken und hast noch keine gewirkt und wirst auch keine wirken. Und doch bildest du dir ein, du seiest ein Sohn Gottes. Sieh mich an, ich bin ein Sohn Gottes, aber von jenem Gott weggegangen, der in seiner Grausamkeit dich hier so elend werden läßt. Ich kann Wunder wirken. Diese Kraft kann mir jener Gott nicht nehmen. Ich kann aus diesen Steinen Brot machen. Ich will dir zu essen geben. Du wirst sehen, ich kann es. Sag dich los von dem, der dich hier verhungern läßt! Tritt zu mir, und die schönsten Speisen der Erde stehen dir zur Verfügung.'

'Weiche, Satan, ich mag dein Brot nicht und möchte auch keins, wenn ich es aus diesen Steinen bereiten könnte. Ich warte auf das Wunderwort, das aus dem Munde Gottes kommt. Das Wort wird kommen zur rechten Stunde und mir Speise verschaffen, und ich werde am Leben bleiben.'  

Aber so leicht läßt Satan sich nicht abweisen. 'Gut!' spricht er, 'wenn du kein Wunder in meinem Beisein wirken und von mir kein Brot haben willst, das ich dir bloß aus Mitleid angeboten habe, dann kannst du ja einen anderen Weg wählen, um dich zu überzeugen, ob du ein Sohn Gottes bist. Denn daß du kein Sohn Gottes bist, dafür möchte ich dir den Beweis erbringen. Von dieser Selbsttäuschung möchte ich dich befreien. Siehe, hier ist die Zinne des Tempels. Ich will dich dorthin bringen, damit du dich hinabstürzest. Denn den Gottessöhnen ist ja versprochen worden, daß sie in solchen Fällen von Engelshänden getragen werden. Also mache den Versuch! Daß ich dir dabei nicht helfen werde, weißt du. Denn ich will dir ja gerade beweisen, daß du nicht zu den Gottessöhnen gehörst. Und ich bin sicher, daß du bei diesem Sturz zerschmettert liegenbleiben wirst. Aber versuchen sollst du es. Auch Gott kann nicht verlangen, daß du blindlings an deine Gottessohnschaft glauben sollst. Auf eine Probe muß du doch wohl deine angebliche Gottessohnschaft stellen, wenn du nicht jedes vernünftige Denken preisgeben willst. Kommst du heil unten an, so will auch ich an dich glauben. Findest du aber den Tod dabei, dann kannst du froh sein, lieber sofort von dem ganzen Trug, den man dir vorgegaukelt, durch den Tod befreit zu werden, als daß du dein ganzes Leben einem solchen Irrwahn opferst, um zum Schluß enttäuscht und von den Menschen verflucht zugrunde zu gehen.'   Alle Kraft zusammennehmend, gibt ihm das schon seit vielen Wochen gequälte Opfer die Antwort: 'Meinen Gott versuche ich nicht. Nicht auf diese Art will ich mich als den Sohn Gottes erweisen. Meinem Vater überlasse ich es, wie er mich als seinen Sohn bezeugt. Er wird den Beweis erbringen, und du wirst den Beweis an dir selbst erfahren.'  
Vor dieser Sprache wich Luzifer, der zweite, aber gefallene Sohn Gottes, vor seinem ältesten, aber gottestreuen Bruder für einige Augenblicke zurück. Mit der Kunst seiner Wunderkraft konnte er nichts ausrichten, weil sein Opfer von ihm kein Wunder annahm und auch nicht zur Vermessenheit bestimmt werden konnte, selbst ein Wunder wirken zu wollen.

Aber Satan gab seine Hoffnung noch nicht auf. Er hatte noch ein anderes Lockmittel, mit dem er bisher stets glänzende Erfolge erzielte: Die Welt war sein. Alles Materielle untersteht seiner Herrschaft. Er konnte die Reiche der Erde geben, wem er wollte. Ob er ein Reich dem Babylonier Nebukadnezar gab oder dem Römer Tiberius oder dem Nazarener Jesus – er hatte zu bestimmen. Alle, denen er sie bisher gegeben hatte, waren seine Vasallen gewesen und hatten getan, was er ihnen befahl... Und wie in einem Film zogen die irdischen Reiche in all ihrer verlockenden Pracht vor dem fieberglühenden Auge des Menschensohnes vorüber...

'Siehe, das alles will ich dir geben. Willst du alles haben, es ist dein. Willst du nur das eine oder andere davon haben, wähle es dir aus; du sollst es besitzen. Aber mich mußt du als Oberherrn über dich anerkennen. In diesen Reichen, die du gesehen, bin ich der erste und will der erste bleiben. Aber du sollst der zweite sein.'

'Weiche, Satan! – Ich erkenne nur einen als meinen Oberherrn an – meinen Gott.'  

Satan hatte den Kampf verloren. Er glaubte sicher, ihn gewinnen zu können, als er sein Opfer in den verflossenen Tagen so oft zum Vater schreien hörte und seine Angst sah. Und da waren doch nur Luzifers Untergebene an der Arbeit. Jetzt war er selbst gekommen, um die, wie er glaubte, sturmreife Festung zu nehmen, in der sich der Hunger als starker Bundesgenosse eingestellt hatte. Doch er hatte sich getäuscht. Mit geistigen Waffen und menschlichen Lockungen war diesem Menschensohn nicht beizukommen. – Doch ein Kampfmittel blieb ihm noch, vor dem alle Menschen erbeben und willfährig werden. Es war das Kampfmittel irdischer Leibesqualen. Die schärfsten wollte er hervorholen. Menschliche Henkersknechte hatte er ja genug in seinem Dienst: Gelehrte und Ungelehrte, Könige und Landpfleger, geistliche und weltliche Machthaber. Es mußte gelingen. Die beste Gelegenheit zur Ausführung würde er schon finden. Darum sagt eure Bibel:

Lukas 4, 13:
'Als der Teufel so mit allen Versuchungen zu Ende war, ließ er von ihm ab bis zu einer gelegenen Zeit.'  

Die furchtbaren Anstürme des Bösen auf Jesus in der Wüste hatte Paulus vor allem im Auge, als er schrieb, daß Christus unter lautem Schrei und unter Tränen den um Hilfe angefleht habe, der ihn vom Tode des Abfalls erretten konnte.

Du siehst, Gott verschenkt seine wertvollen Gaben nicht. Sie müssen unter harten Proben errungen werden. Auch Christus mußte sich als Mensch die Kraft bitter verdienen, die er für seine gewaltige Aufgabe nötig hatte. Ihm wurde nichts in den Schoß geworfen. Aber jedesmal, wenn er siegreich mit dem Bösen gerungen, kam die Gotteskraft als Lohn über ihn. Der Himmel tat sich auf und Gottes Geister umgaben ihn. So geschah es auch nach dem Kampfe in der Wüste.

Matthäus 4, 11:
'Engel kamen und leisteten ihm Dienste.'  

Sie verschafften ihm auch das irdische Brot, das er vierzig Tage hatte entbehren müssen. Jetzt, wo die Steine durch die Geister Gottes in Brot verwandelt wurden, nahm er es mit Dank gegenüber Gott an. Er hatte es zurückweisen müssen, als es ihm unter Satans Einfluß gereicht werden sollte.

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