Das Buch der Geister

- 150 - hoher Stellung sind böse. Die Erkenntnis von Gut und Böse entscheidet den Grad der Verantwortlichkeit. Der Gebildete, der Ungerechtigkeiten begeht, ist in Gottes Augen schuldiger als der unwissende Wilde, der seinen Trieben lebt. Frage: (704) Böses scheint manchmal die Folge der Gewalt der Umstände zu sein. Dahin gehört zum Beispiel wohl auch die manchmal notwendige Vernichtung selbst unseres Nächsten. Kann man dann von einer Verletzung des göttlichen Gesetzes sprechen? Antwort: Böse ist dies nicht minder, auch wenn es notwendig ist. Doch diese Notwendigkeit ver- schwindet in dem Maße, als die Seele sich reinigt, wenn sie von einer zur anderen Existenz übergeht. Frage: (705) Ist das von uns begangene Unrecht nicht oft die Folge der Stellung, die wir inne- haben? Antwort: Das Böse fällt auf den zurück, der es verursachte. So ist der Mensch, der durch die ihm vom Nächsten aufgedrungene Lage zum Bösen verleitet wird, weniger schuldig als der Verursacher. Aber jeder wird seine Strafe tragen, der Veranlasser und der Begeher des Unrechts. Frage: (706) Ist der, der das Böse nicht selbst tut, aber sich das vom anderen begangene Unrecht zunutze macht, gleichermaßen schuldig? Antwort: Es ist, als ob er es selbst täte, denn er nimmt teil daran. Macht er es sich nach der Vollbrin- gung zunutze, billigt er es, und er hätte es auch selbst getan, wenn er es gekonnt oder wenn er es gewagt hätte. Frage: (707) Ist der Wunsch zum Bösen ebenso tadelnswert wie das Böse selbst? Antwort: Je nachdem. Freiwillig bösen Wünschen, die man in sich spürt, zu widerstehen ist eine Tugend. Dies besonders, wenn die Möglichkeit vorliegt, dem Wunsch zu genügen. Fehlt nur die Gelegenheit, so ist man schuldig. Frage: (708) Genügt es, kein Böses zu tun, um Gott zu gefallen und sich seine künftige Stellung zu sichern? Antwort: Nein, man muß auch das Gute innerhalb seiner Grenzen und Kräfte tun. Jeder wird sich für alles Böse, das getan wird, um des von ihm unterlassenen Guten willen zu verantworten haben. Frage: (709) Gibt es Menschen, die durch besondere Umstände nicht Gutes tun können? Antwort: Es gibt niemanden, der nicht Gutes tun könnte. Nur der Egoist findet keine Gelegenheit dazu. Es genügt, mit anderen Menschen in Beziehung zu stehen, um Gutes tun zu können. Frage: (710) Wird nicht die Umgebung gewisser Menschen für sie zur ersten Quelle vieler Laster und Verbrechen? Antwort: Ja, aber auch dies ist eine vom Geist im Stande seiner Freiheit gewählte Prüfung. Er wollte sich der Versuchung aussetzen, um das Verdienst des Widerstehens zu haben. Frage: (711) Wenn sich der Mensch gewissermaßen im Dunstkreis des Lasters bewegen muß, wird dann nicht das ständige Böse für ihn zu einer unwiderstehlichen Versuchung? Antwort: Versuchung ja, aber nicht zu einer unwiderstehlichen. Mitten in diesem Dunstkreis des Lasters findet man zuweilen große Tugenden. Es sind Geister, die die Kraft hatten, zu widerstehen, und die gleichzeitig die Sendung hatten, einen wohltätigen Einfluß auf ihresgleichen auszuüben. Frage: (712) Gibt es verschiedene Grade im Verdienste des Guten?

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