Das Buch der Geister

- 150 - übrig. Ist einst diese Aufgabe vollendet, wird niemand mehr sagen können, daß es ihm am Nötigsten fehle, es sei denn durch seinen eigenen Fehler. Frage: (780) Kann man nicht in die Lage kommen, zu verhungern, wo die Mittel zum Leben keineswegs vom menschlichen Willen abhängen und wo Mangel selbst des Notwendigsten durch die Macht der Umstände bedingt ist? Antwort: Allerdings, und es ist dies eine sehr harte Prüfung für den Menschen. Er wußte aber, daß er sich ihr zu unterziehen habe. Wenn sein Verstand ihm keinen Weg zeigt, sich aus der Ver- legenheit zu ziehen, dann liegt sein Verdienst in der Ergebung in den Willen Gottes. Ist ihm der Tod verhängt, soll er sich ohne Klagen ergeben in dem Gedanken, daß nun die Stunde der wahren Befreiung gekommen ist und daß die Verzweiflung des letzten Augen- blickes ihn um die Frucht seiner Ergebung bringen kann. Frage: (781) Begingen jene ein Verbrechen, die in gewissen gefahrvollen Lagen genötigt waren, Menschen zu opfern, um sich selbst zu nähren? Und war es ein Verbrechen, wird es durch den Selbsterhaltungstrieb nicht gemildert? Antwort: Die Antwort ist schon gegeben, indem ich sagte, daß es ein größeres Verdienst ist, alle Prüfungen des Lebens mit Mut zu tragen. Jenes ist Menschenmord und ein Verbrechen gegen die Natur und verdient doppelte Strafe. Frage: (782) Bedürfen die Lebewesen auf den höher organisierten Welten noch der Nahrung? Antwort: Ja, aber sie richtet sich nach ihrer Natur. Diese Nahrung wäre für eure groben Mägen nicht fest und stofflich genug, und ebenso wenig könnten sie die eurige verdauen. Frage: (783) Haben alle Menschen ein Recht auf den Genuß der irdischen Güter? Antwort: Dies Recht folgt aus der Notwendigkeit, leben zu müssen. Gott kann nicht Pflichten aufer- legen, ohne die Mittel zu ihrer Erfüllung zu bieten. Frage: (784) Warum verknüpfte Gott einen Reiz mit den Genüssen der irdischen Güter? Antwort: Um den Menschen zur Erfüllung seiner Sendung anzutreiben und gleichzeitig um ihn durch die Versuchung zu erproben. Frage: (785) Und was ist der Zweck der Versuchung? Antwort: Die Entwicklung seiner Vernunft, die ihn vor Ausschreitungen bewahren soll. Frage: (786) Haben Genüsse ihre von der Natur gezogenen Grenzen? Antwort: Ja, damit ihr die Grenze des Notwendigen erkennt. Durch eure Ausschreitungen gelangt ihr schließlich zum Überdruß und straft euch damit selbst. Frage: (787) Was ist von Menschen zu halten, die in Ausschreitungen aller Art eine Verfeinerung und Steigerung ihrer Genüsse suchen? Antwort: Armselige Seelen sind es, die man beklagen muß und nicht beneiden kann, denn sie sind nicht mehr weit vom Tode entfernt. Frage: (788) Nähern sie sich dem leiblichen oder dem moralischen Tode? Antwort: Sie nähern sich beiden. Anmerkung: Der Mensch, der in Ausschreitungen aller Art Verfeinerung und Steigerung des Genusses sucht, stellt sich unter das Tier, denn das Tier hält nach der Befriedigung seines Bedürfnisses inne. Er entläßt die ihm von Gott als Führerin mitgegebene Vernunft, und je größer seine Ausschreitungen, desto mehr Herrschaft räumt er dem Tier ein.

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