Das Buch der Geister

- 4 - Einleitung in die spiritistische Lehre Zur Bezeichnung neuer Dinge bedarf man neuer Worte, will man der Verwirrung und Vieldeutigkeit entgehen. Die Worte spirituell, Spiritualist, Spiritualismus haben bereits eine bestimmt abgegrenzte Bedeutung. Ihnen eine neue für die "Geisterkunde" beizulegen, hieße die schon ohnehin zahlreichen Ursachen für die Mehrdeutigkeit noch vermehren. Spiritualismus ist der Gegensatz zum Materialis- mus. Jede Ansicht, daß der Mensch noch etwas anderes ist als bloße Materie, ist Spiritualismus. Daraus folgt aber noch nicht, daß der Spiritualist an die Existenz von Geistern und die Möglichkeit eines Verkehrs mit der sichtbaren Welt glaubt. Diesen Glauben zu bezeichnen, bedienen wir uns der Ausdrücke Spiritist und Spiritismus, da sie an die etymologischen Formen und ureigene Bedeutungen erinnern. Wir behaupten demnach, daß die spiritistische Lehre, genannt der Spiritismus, die Bezie- hungen der materiellen Welt zu den Geistern oder Wesen der unsichtbaren Welt zur Grundlage hat. Die Anhänger des Spiritismus nennen wir Spiritisten. Das "Buch der Geister" enthält also die spiritistische Lehre, fußt aber auf der spiritualistischen Lehre, die es in bestimmter Erscheinungsform zur Darstellung bringt. Noch einen weiteren Begriff gibt es, der erläutert werden muß, und zwar die Seele. Manche Mei- nungsverschiedenheiten entstanden, da jeder dies Wort für seinen Begriff gebrauchte. Manche meinen, die Seele sei das Prinzip des materiellen Lebens, und ohne Eigenexistenz hört sie mit dem Leben auf. Dies ist der reinste Materialismus. Andere betrachten die Seele als Grundbedingung für Vernunft und Verstand, als universelles Agens, an dem jeder seinen Anteil hat. Nach dieser An- sicht gäbe es für das gesamte Universum nur eine Seele, die sich unter die verschiedenen Lebewesen verteilt. Mit dem Tode des Körpers kehrt jeder Funke zu seinem "Feuerquell" zurück, verliert sich im All wie Flüsse und Ströme im Meere. Nach dieser Ansicht wäre die Universalseele Gott und jedes Wesen ein Teil der Gottheit. Es ist dies eine Abart des Pantheismus. Schließlich ist nach Ansicht Dritter die Seele ein mit Sittlichkeit begabtes, von der Materie unterschie- denes unabhängiges Wesen, das auch nach dem Tode seine Individualität bewahrt. Diese Ansicht ist wohl die verbreitetste, sie findet sich bei allen Völkern vor, ganz gleich, auf welcher Kulturstufe sie sich befinden. Und diese Lehre, nach welcher die Seele Ursache und nicht Wirkung ist, charakterisiert die Spiritualisten. Es ist ein Mangel der Sprache, daß es für diese drei Begriffe nur ein Wort gibt. Wir halten es für das Beste, das Wort Seele in seiner allgemeinsten Bedeutung zu nehmen. Wir verstehen also darunter das immaterielle, individuelle Wesen, das in uns wohnt und unseren Körper überlebt. Selbst wenn dieses Wesen nur ein Produkt unserer Einbildungskraft wäre, müßte man zu seiner Bezeichnung einen bestimmten Ausdruck haben. In Ermanglung eines besonderen Wortes für die beiden anderen Punkte nennen wir Vitalprinzip, Lebensprinzip, das Prinzip des materiellen und organischen Lebens, gleich, was sein Ursprung sein mag, jenes Prinzip, das allen Lebewesen von der Pflanze bis zum Menschen herauf gemeinsam ist. Da in diesem Sinne Leben auch ohne Denkbefähigung vorhanden sein kann, so ist das Vitalprinzip etwas ganz Eigenes, Unabhängiges. Das Wort Vitalität würde nicht die gleiche Vorstellung erwecken. Dem einen gilt das Vitalprinzip für eine Eigenschaft der Materie, nach Ansicht anderer wieder beruht es auf einem speziellen, allgemein verbreiteten Fluidum, von dem jedes Wesen während seines Lebens einen Teil in sich aufnimmt und assimiliert, gleichsam, wie träge Körper Licht in sich aufnehmen. Dies wäre dann das Lebensfluid, das nach Meinung mancher Menschen identisch sein soll mit jenem belebten elektrischen Fluidum, das auch als magnetisches Fluidum oder Nervenfluidum bezeichnet wird. Wie es nun auch sein mag, es ist eine auf Beobachtung beruhende, unbestreitbare Tatsache, daß orga- nische Wesen in sich eine Kraft besitzen, die, solange sie vorhanden ist, das Lebensphänomen hervor- bringt; daß das materielle Leben allen organischen Wesen gemeinsam und unabhängig von der Vernunft und dem Denken ist; daß Intelligenz und Denken Fähigkeiten sind, die gewissen organischen Arten zukommen; endlich, daß unter den mit Intelligenz und Denkfähigkeit begabten Arten eine ist, die ein besonderes Sittlichkeitsgefühl besitzt, das ihr Überlegenheit über alle anderen Arten verleiht. Es ist dies der Mensch. Es ist begreiflich, daß bei Annahme einer mehrfachen Bedeutung die Seele weder den Materialismus noch den Pantheismus ausschließt. Der Spiritualist kann sehr wohl den Begriff Seele nach einer der

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