Das Buch der Geister

- 52 - daß der Widerstreit mit dieser Lehre nur ein scheinbarer ist. Wir werden später zeigen, daß die Reli- gion davon vielleicht weniger weit entfernt ist, als man meint, auch daß sie davon weniger berührt wird, als einst von der Entdeckung der Erdbewegung und der geologischen Perioden, die auch auf den ersten Blick dem Wortlaut der heiligen Schrift zu widersprechen schienen. Übrigens geht das Prinzip der Reinkarnation aus mehreren Stellen der heiligen Schrift hervor, so aus der Formulierung in Matthäus 17, 9-13: "Da sie vom Berge herabstiegen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt dies Gesicht niemand sagen, bis des Menschen Sohn von den Toten auferstanden ist. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Was sagen denn die Schriftgelehrten, Elias müsse zuvor kom- men? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Elias soll ja zuvor kommen und alles zurecht bringen. Ich aber sage euch, Elias ist schon gekommen und sie haben ihn nicht erkannt, sondern haben an ihm getan, was sie wollten. Also wird auch des Menschen Sohn leiden müssen vor ihnen. Da verstanden die Jünger, daß er von Johannes, dem Täufer, zu ihnen geredet hatte." Da nun Johannes der Täufer Elias gewesen ist, hat also eine Reinkarnation vom Geiste oder der Seele des Elias in den Leib des Johannes stattgefunden. Welcher Ansicht man aber auch über die Reinkarnation sein mag, ob man sie annimmt oder verwirft, anerkennen muß man sie schon, ungeachtet jedes entgegenstehenden Glaubens. Hauptsache ist, daß die Belehrung der Geister vorzugsweise christlich ist. Sie stützt sich auf die Unsterblichkeit der Seele, die künftigen Belohnungen und Strafen, die Gerechtigkeit Gottes, den freien Willen des Menschen und die Moral Christi. Also kann sie nicht irreligiös sein. Wir haben unsere Schlüsse gezogen, unter völliger Ausschaltung jeder spiritistischen Belehrung. Haben wir, wie so viele andere, die Ansicht von der Vielheit der Existenzen angenommen, so geschah es nicht nur, weil sie von Geistern kommt, sondern weil sie uns die vernünftigste scheint und weil sie allein bisher ungelöste Fragen löst. Wir hätten sie ebenfalls angenommen, wäre sie von einem gewöhnlichen Sterblichen gekommen, und ebensowenig gezögert, auf die eigene Ansicht zu verzich- ten. Ist ein Irrtum einmal erwiesen, hat die Eigenliebe mehr zu gewinnen als zu verlieren, wenn sie auf ihre falsche Ansicht verzichtet. Ebenso hätten wir sie verworfen, wenn sie uns vernunftwidrig erschienen wäre, auch wenn sie von Geistern stammt. Wir wissen aus Erfahrung, daß man nicht blind- lings alles, was von ihnen kommt, annehmen darf. Ihr erster Anspruch auf Glaubwürdigkeit ist also in unseren Augen, daß sie logisch ist, und daß sie durch Tatsachen bestätigt wird, die positiv und hand- greiflich sind. Wir anerkennen somit, daß die Lehre von der Vielheit der Existenzen allein das erklärt, was ohne sie unerklärlich bleibt; daß sie tröstlich ist, der strengsten Gerechtigkeit entspricht, und daß sie für den Menschen der Hoffnungsanker ist, den ihm Gott zuwarf. Jesu Worte selbst, die er im Evangelium Johannes Kap. 3, 3-7 spricht, können hier keinerlei Zweifel aufkommen lassen: "Wahrlich, ich sage dir, es sei denn, daß jemand von Neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht darauf: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist, kann er denn wieder in seiner Mutter Leib eingehen und geboren werden? Jesus aber antwortete: 'Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, es sei denn, daß jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleische geboren wird, ist Fleisch, und was vom Geiste geboren wird, das ist Geist. Laß es dich nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: 'Ihr müsset von Neuem geboren werden.'" Allan Kardec

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