Das Buch der Medien

- 49 - Spiritist sie um ihr Erscheinen befragt, aber davon hatte die Dame keine Ahnung. Jedesmal verschwand die Erscheinung spurlos, jedesmal ging sie nach dem Verschwinden sich davon zu überzeugen, daß alle Türen fest verschlossen waren. Diese Vorsicht bewies ihr, daß sie vollkommen wach war und nicht Spielball eines Traumes wurde. Eines Tages sah sie ihren Bruder, der in Kalifornien weilte. Er hatte so sehr den Anschein eines wirklichen Menschen, daß sie im ersten Augenblick an seine Rückkehr glaubte und ihn ansprechen wollte. Doch er verschwand, ohne ihr Zeit dazu zu lassen. Ein später erhaltener Brief bewies ihr, daß er nicht tot war, sondern lebte. Diese Dame war ein sogenanntes natürlich sehendes Medium. Eine andere Dame, die auf dem Lande wohnte, sah eines Abends, als sie krank lag, gegen zehn Uhr einen alten Herrn, der in der Stadt wohnte und den sie manchmal beiläufig in fremder Gesellschaft sah. Er saß im Lehnsessel am Fuße ihres Bettes und nahm von Zeit zu Zeit eine Prise Tabak. Er hatte den Anschein eines Wachenden, eine tatsächliche Anwesenheit schien vorzuliegen. Überrascht von solcher Visite zu dieser Zeit wollte sie die Ursache erfragen, doch der Herr gab ihr ein Zeichen, nicht zu reden und zu schlafen. Mehrmals wollte sie ihn anreden, immer erhielt sie dieselbe Warnung. Endlich schlief sie ein. Nach ihrer Genesung bekam sie den Besuch desselben Herrn zu passender Stunde, diesmal war er es wohl selbst. Er trug dieselben Kleider wie damals, besaß dieselbe Dose Tabak und hatte dieselben Manieren. Überzeugt, daß er sie während der Krankheit besucht hatte, bedankte sie sich für die gehabte Mühe. Erstaunt darüber entgegnete der Herr, daß er schon sehr lange nicht mehr das Vergnügen gehabt hatte, sie zu sehen. Die Dame kannte den Spiritismus und begriff sofort. Sie hat wahrscheinlich geträumt, werden die Ungläubigen hierzu sagen, aber es ist erwiesen, daß diese Dame nicht schlief, ebensowenig wie die vorige. Noch ein anderer charakteristischer Fall und wir wären neugierig, wie man ihn durch das Spiel der Fantasie erklären wollte: Ein auf dem Lande lebender Herr wollte sich niemals verheiraten, trotz Bittens seiner Familie. Man hatte besonders zugunsten einer Dame gesprochen, die in einer benachbarten Stadt wohnte, und die er noch nie gesehen hatte. Eines Tages allein im Zimmer, war er ganz erstaunt, ein Mädchen in weißem Kleide, den Kopf mit einer Blumenkrone geschmückt, zu sehen. Sie sagte ihm, sie sei seine Braut, reichte ihm die Hand, auf der er einen Ring sah und die er in die seine nahm. Im Verlaufe einiger Minuten verschwand alles. Durch die Erscheinung überrascht, stellte er sein völliges Wachsein fest und fragte, ob an diesem Tage jemand gekommen sei, aber man hatte niemanden gesehen. Ein ganzes Jahr später gab er dem ständigen Drängen seiner Familie nach und entschloß sich, die auserwählte Dame kennenzulernen. Das Fronleichnamsfest kam, die Prozession war beendet, und eine der ersten Personen, die sich im Hause bei ihm zeigte, war ein junges Mädchen, in dem er die damalige Erscheinung wiedererkannte. Sie war ebenso gekleidet, denn der Tag der Geistererscheinung war auch der Fronleichnamstag. Erstaunt bleibt er stehen, das Mädchen stößt einen Schrei der Überraschung aus und wird ohnmächtig. Als sie wieder zu sich kam, sagte sie, daß sie diesen Herrn schon als Erscheinung gesehen habe, und zwar am gleichen Tage des vorigen Jahres. Die Heirat fand im Jahre 1835 statt. Zu jener Zeit war von Geistern noch keine Rede, und jene beiden Leute waren nicht von überspannter Einbildungskraft. Man könnte wohl sagen, daß beide einen von der Idee der bevorstehenden Vereinigung beseelten Geist hatten, wodurch eine Halluzination eintrat, doch darf man nicht vergessen, daß der Mann so indifferent gewesen ist, daß ein ganzes Jahr bis zur Brautschau verging. Und es bliebe noch die doppelte Geistererscheinung zu erklären, das Zusammentreffen der Kleidung mit dem Fronleichnamsfeste und schließlich noch das physische Wiedererkennen zweier Menschen, die sich im Leben noch nie gesehen hatten, Umstände, die kein Ergebnis von Einbildungskraft sein können. Ehe wir weitergehen, müssen wir noch Antwort auf die Frage geben, wie der Körper in Abwesenheit des Geistes leben kann. Wir sagten wohl, daß der Körper sein organisches Leben tätigen könne, ganz unabhängig von der Anwesenheit des Geistes, wie Pflanzen, die doch keinen Geist haben, aber wir müssen hinzufügen, daß der Geist während des Lebens nie vollständig vom Körper getrennt ist. Geister und sehende Medien erkennen den Geist einer lebenden Person an einem lichten Streifen, der bis zu seinem Körper reicht, eine Tatsache, die nie vorkommt, wenn der Körper tot ist. Dann ist dies Verbindungsband gerissen und die Trennung vollständig. Durch diese Verbindung ist der Geist, mag er auch noch so weit entfernt sein, sofort unterrichtet, was mit seinem Körper geschieht. Er kehrt mit der Schnelligkeit eines Gedankens in ihn zurück. Daraus ersieht man, daß der Körper nie in Abwesenheit

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