Das große Warum

37 Wenn ein Mensch scheinbar allein ist beim Sterben Jetzt in diesen Zeiten geht ein großes Klagen durchs Land: „Und ich konnte mich noch nicht einmal von meinem Mann verabschieden“. Von meinem Vater, von meiner Mutter. Ich erlebe es, wie Angehörige bitter darunter leiden. „Er ist ganz allein gestorben. Ich durfte nicht hin, weil ich selbst in Quarantäne war…“ „Er war ganz allein, als er gestorben ist, ich durfte ja nicht ins Krankenhaus.“ Die Angehörigen sind so traurig darüber und haben ein schlechtes Gewissen, weil sie den Schwerkranken nicht besuchen durften und ihn im Sterben allein lassen mussten. In einem solchen Fall sage oder denke ich: Lass diese Schuldgefühle! Du konntest ja nichts dafür. Die Situation war nun einmal so. Das war grausam, ich weiß. Aber in Wirklichkeit stirbt niemand allein! Niemand! Unsichtbar werden wir immer begleitet, auch und gerade, wenn wir im Sterben liegen! Denken wir an die Beobachtungen der englischen Krankenschwester! Wir werden mit Liebe und Fürsorglichkeit umgeben. Wir werden das auch spüren und zuletzt ganz ruhig werden. Wenn ein Mensch im Sterben liegt, nimmt er seine Angehörigen sowieso meistens nicht mehr so richtig wahr. Aber die, die dann unsichtbar bei ihm sind, die beginnt er manchmal zu „sehen“, das heißt, er wird an der Grenze zwischen Leben und Tod für Augenblicke hellsichtig. Das habe ich bei einer Sterbenden im Pflegeheim miterlebt. Sie hatte es jahrelang extrem schwer gehabt, wie selten ein Mensch! Aber als sie dann in die Sterbephase kam und nur noch schlief oder döste, da konnte ich immer wieder beobachten, wie sie auf einmal hellwach zu einer Seite schaute, strahlend lächelnd, so strahlend! das war unglaublich! Dann hat sie wieder weitergeschlafen. Das wiederholte sich auch an den beiden nächsten Tagen. Ich werde es nie vergessen. Was hat sie da gesehen? Ich nehme an, es war ihre verstorbene Mutter, die ihr da entgegenkam, ihre einzige wirkliche Bezugsperson in ihrem Leben. Vielleicht hat sie ja auch ihren geliebten Hund Pelle gesehen? Wie dem auch sei – diese Frau hatte ich in den sechs Jahren, die ich sie besuchte, nie lächeln sehen,

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