Der Prozeß des Schlafens und der Prozeß des Todes sind verwandt

- 3 - ganze Universum zu kontrollieren. Aber wenn der Tod kommt, verlieren sie die Macht. Und das ist nicht alles: Manchmal leiden sie dann sehr stark. Ich kenne einige Leute aus der Geschäftswelt, die alles mögliche kontrollieren und die sich einbilden, sie könnten alles, auch den Tod kontrollieren. Aber dann begreifen sie: Wenn der Tod kommt, kann man einfach nichts tun. Ich glaube, es ist sehr schwer für diese Leute, dem ins Auge zu schauen, daß das nicht ihrer Kontrolle unterliegt. Menschen, die an irgendeine Religion glauben und eine spirituelle Praxis durchführen, haben die Möglichkeit, auch auf eine nicht-materielle Welt jenseits des Materiellen zu vertrauen. D. M. : Rinpoche, Du sagst, man kann sich auf den Tod vorbereiten. Kannst Du uns, die wir nicht viel über die tibetischen Lehren wissen, ein wenig erklären, wie man sich vorbereiten kann? Rinpoche : Ich denke, als erstes ist es wichtig, Vergänglichkeit zu begreifen. Man muß wissen, wie man Wandel akzeptieren und sich an Veränderungen anpassen kann. Ich meine nicht so sehr äußere Situationen, sondern eher das eigene Leben: Krankheit, Alter. Du kannst ein professioneller Rennläufer sein, und eines Tages stellst Du fest, daß Du nicht mal mehr laufen kannst. Man sollte in der Lage sein, über all diese Lebensrealitäten zu reflektieren, bevor man ihnen ausgesetzt ist. Im Osten bereiten sich die Menschen darauf vor, indem sie schon früh mit der grundlegenden Praxis beginnen und über Vergänglichkeit und Veränderungen kontemplieren und meditieren. Dann ist ein tiefes Vertrauen in sich selbst wichtig, unabhängig davon, was man hat oder tun kann. Sondern es geht einfach um das tiefe Vertrauen in den, der Du bist. Das ist sehr machtvoll im Moment des Todes. Man kann es in den Augen der Sterbenden und an ihrer Geisteshaltung sehen, wenn sie vollständig vertrauen. Sie sind nicht besonders stark davon abhängig, wen oder was sie verlieren, sie sind nicht abhängig von ihrem Körper. Sie können nicht mehr die Hand heben, aber man kann das Lächeln in ihrem Gesicht sehen. Da ist viel Vertrauen. Und das lernt man, lange Zeit vor dem Tod durch die Vorbereitungen. Ich glaube, in der Psyche des Menschen gibt es kein echtes Akzeptieren des Todes. Im Gegenteil, dort ist viel Widerstand, der es dann so schwer macht, wenn der Tod kommt. D. M. : Wie einfach oder schwierig ist es, im Bardo der Dharmata in den Zustand der Erleuchtung einzutreten? Rinpoche : Oh, das ist sehr schwer (lacht). Ein guter Test ist: Wie einfach oder schwer ist es, in den Zustand des Erkennens zu treten, wenn man schläft und die Träume kommen. Das gibt uns einen Anhaltspunkt. Es ist wichtig, nicht nach großen Dingen Ausschau zu halten. Es geht darum, den Tod einfach zu akzeptieren, das ist schon sehr gut. Man kann jeden Moment dazu nutzen zu reflektieren. Gerade jetzt sitzen wir hier, trinken ein Glas Wein, reden, und vielleicht sterben wir morgen schon. Wir haben große Pläne, aber niemand wartet darauf, wenn die Zeit kommt. Ich denke, es geht nicht nur um die Frage zu sterben, sondern es geht auch darum zu leben. Natürlich ist es für viele Menschen schwer zu sterben. Aber für sie ist es auch schwer zu leben. Menschen, die zum Tode führende Krankheiten haben, sind oft verblüffend, weil sie ganz anders im Augenblick leben. Sie leben im Moment und wissen nicht, ob sie morgen noch leben werden. Ich habe das bei einigen gefühlt. Für sie mag so ein Interview nicht langweilig oder erschöpfend sein, sondern eine wundervolle Erfahrung, Freude am Leben. Da ist diese Dringlichkeit. Ich habe erlebt, wie eine Frau, die chinesische Akupunktur erforschte, einen Vortrag vor todkranken Menschen hielt. Das war sehr

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