Der Prozeß des Schlafens und der Prozeß des Todes sind verwandt

- 4 - interessant für mich. Sie sprach im Grunde über ihr Ego: Welche Forschungen sie macht, welche Therapie sie für möglich hielt usw. Aber wen von den Kranken interessiert das? Was ist jetzt? Menschen, die nach Hilfe suchen, leben in der Zukunft. Aber es geht um die Gegenwart, nicht um das Morgen. Wenn man eine todbringende Krankheit hat, geht es um das Jetzt. Das ist es, was die Betroffenen lernen, die Kostbarkeit des Augenblicks. Darüber erlangen sie ein bestimmtes Verständnis. D. M. : Rinpoche, in welchem Verhältnis stehen das Träumen und der Tod miteinander? Du hast ein Buch darüber geschrieben: "Übung der Nacht" (Diederrichs)? Rinpoche : Der Prozeß des Schlafens und der Prozeß des Sterbens werden als sehr eng verwandt betrachtet. Die Ähnlichkeit besteht in der Art und Weise, wie man den Kontakt zur äußeren Welt verliert und dabei die inneren Prozesse wahrnimmt oder nicht. Wenn man im Außen alles verliert – wie findet man sich dann in der inneren Welt wieder? Es geht nicht nur um die konzeptionelle Beziehung des Egos zur äußeren Welt, sondern ganz direkt um die Sinneswahrnehmungen. Was ist, wenn man die verliert? Wenn man aufhört, die Formen zu sehen, wenn man aufhört zu riechen, wenn man aufhört Klänge zu hören, die man mag oder nicht mag? Wenn man die Verbindung zu diesen äußeren Dingen verliert, verliert man in gewisser Weise sich selbst. In unserem täglichen Leben ist die äußere Welt ständig dabei zu definieren, wer wir sind. Wenn ein Praktizierender die Verbindung zur äußeren Welt verliert, hat er die Möglichkeit, sich innerlich zu finden. Aber andere Menschen, die keine Erfahrung über ihr Inneres gemacht haben, wissen nur über ihre Beziehung zum Außen, wer sie sind. D. M. : Wir Menschen imWesten haben große Angst vor dem Sterben und dem Tod. Inwieweit ist das verbunden mit der Angst vor dem Leben? Rinpoche : Ich denke, das ist genau dasselbe. Die Angst vor dem Tod ist im Grunde die Angst, sich zu verlieren. Wie definieren wir uns denn üblicherweise selbst? Alles was ich bin, ist, was ich in meinem Leben getan habe und was ich besitze. Wer ich bin, das liegt im Außen und nicht in einem Wissen oder einer Wahrnehmung des inneren Selbst. Also verliere ich alles, und das ist natürlich angsteinflößend. Aber wenn man die Erfahrung oder das Vertrauen in das innere Selbst besitzt, das nicht abhängig vom Außen ist, dann ist der Tod weniger beängstigend. Philosophisch gesprochen: • Wenn man eine stärkere Verbindung zur Basis hat, hat man weniger Angst. Wenn man eine stärkere Verbindung zur Klarheit hat, dann ist man jenseits von Hoffnung. Wenn man sich jenseits von Angst und Hoffnung befindet, gibt es keinen Grund mehr, den Tod zu fürchten. D. M. : Wie können wir Lebenden Sterbende unterstützen? Die Frage bezieht sich zum einen auf die Zeit bis zum letzten äußeren Atemzug, aber auch darauf, was wir tun können, nachdem das äußere Atmen aufgehört hat? Rinpoche : Ich denke, die beste Art der Unterstützung liegt darin, das Individuum, das stirbt, und seine Bedingungen gut zu kennen. Hat diese Person einen spirituellen Hintergrund? Hat sie Vertrauen zu sich selbst? Hat sie die Fähigkeit zu arbeiten in Bezug auf das, was gebraucht wird? Wenn Menschen sterben, heißt das für uns, nicht zu versuchen, sie zu retten, sondern zu helfen, daß sie gut sterben können. Das sollte man nicht vergessen. In solchen Sterbesituationen einfach da zu sein, ist genug. Manchmal ist es besser, nicht so viel zu sprechen, manchmal ist es gut zu sprechen. Das hängt immer von dem Sterbenden ab. Ich kenne Situationen, in denen ein Sterbender in Frieden mit sich ist, aber die Person, die ihn begleiten will, ist nervös. Dann ist diese Person keine Hilfe, sondern eine Störung. Es ist wichtig wahrzunehmen, was der

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