Nachruhm

- 3 - Der Tote hatte die ganze Zeit dabeigestanden. Ihm war, als habe sich eigentlich nicht viel geändert. Er erinnerte sich nur, einen sehr lichten Glanz gesehen zu haben, dann war alles wieder wie sonst, und er wußte kaum, daß er gestorben war. Nur leichter war alles an ihm, keine Schwere mehr und keine grobe Stofflichkeit. Ein großes Erstaunen faßte ihn – es gab a l s o d o c h ein Fortleben nach dem Tode, die a l t e Wissenschaft h a t t e r e c h t , und die neue hatte unrecht. Aber es war schöner so und es beruhigte ihn sehr, obwohl es anfangs etwas Quälendes hatte, daß er mit niemand mehr sprechen konnte, daß keiner seiner Angehörigen und seiner Kollegen merkte, wie nahe er ihnen war. Immerhin war es tröstlich, zu hören, wie man ihn feierte, und daß man so zuversichtlich von Gottes Thron und von der Asphodeloswiese gesprochen hatte. Freilich – die Titel und die Orden fehlten ihm, sie erschienen nicht mehr greifbar. Aber war er nicht immer noch der große Gelehrte, der berühmte Forscher? Hieß es nicht: Und ihre Werke folgen ihnen nach? ... Er war nun allein. Die Umrisse des Raumes wurden dunkel und verschwammen ins Raumlose. Es war sehr still, nur ganz ferne verklang das alte Lied, kaum noch hörbar: "Wenn wir ziehn in Salem ein – in die Stadt der goldnen Gassen..." Das würde nun erfolgen. Vielleicht gleich? - Eine große Spannung erfüllte ihn, aber in dieser Spannung war etwas von Angst, etwas Unsagbares, eine große bange Frage, die ihn ganz ausfüllte. Es war auch so dunkel geworden, man konnte nichts mehr sehen. Dann wurde es hell, und ein Engel stand vor ihm. Also a u c h d a s gab es! Dann würde es ja auch einen Gott geben und die vielen Toten, die lebendig waren, und das geistige Jerusalem. Wie schön war das alles! - Aber der Engel sah ernst und traurig aus. "Wohin willst du?", fragte der Engel. "Ins Paradies." "Komm", sagte der Engel. Große dunkle Tore öffneten sich lautlos, und sie traten in einen Raum, der grell erleuchtet war. Die Wände waren blutrot, und auf dem Boden hockten unzählige verstümmelte Tiere und wimmerten. Sie streckten die zerschnittenen Glieder nach dem Toten aus und sahen ihn aus geblendeten und erloschenen Augen an. Immer weiter, ins Unabsehbare, dehnte sich ihre Reihe. Der Engel schaute den Toten an und sagte: "Hier sind die Hündinnen, denen du bei lebendigem Leibe die Jungen herausgeschnitten hast. Hattest du keine Kinder, die du liebtest? - Wenn deine Kinder sterben, und sie suchen den Vater im Paradies, so werden sie dich h i e r finden. E s i s t d a s P a r a d i e s , d a s d u d i r g e s c h a f f e n h a s t . Hier sind die Katzen, denen du das Gehör zerstört hast unter gräßlichen Martern. Gott gab ihnen ein so feines Gehör, daß es ein Wunder der Schöpfung ist. Du wirst nichts mehr hören als das. Hier sind die Affen und Kaninchen, denen du das Augenlicht nahmst. Gott gab es ihnen, um die Sonne zu sehen. Sahst du nicht auch die Sonne dein Leben lang? - Du wirst nun nichts mehr sehen als diese geblendeten und erloschenen Augen. Soll ich dich weiterführen? Es ist eine lange, lange Reihe."

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