Nachruhm

- 4 - "Das ist ja entsetzlich", sagte der Tote. "Das ist es", sagte der Engel. "Leben denn alle diese Tiere weiter?" fragte der Tote. "Alle diese Tiere leben bei Gott", sagte der Engel. "Du kannst n i c h t dorthin, denn sie stehen davor und klagen dich an, sie lassen dich nicht durch. Was du hier siehst, sind ihre einstigen Spiegelbilder, es sind d e i n e W e r k e , und sie bleiben bei dir. Du wirst alle i h r e Qualen a n d i r erfahren, bis du wieder zur Erde geboren wirst, um zu sühnen. Es ist ein langer und trauriger Weg. Aber sie werden nicht deine einzigen Gefährten sein, du hast noch einen anderen, sieh her, wer vor dir steht inmitten all deiner Werke." Der Tote sah auf und erblickte ein scheußliches Geistwesen mit einer menschlichen Fratze, in einem Gewand voll Schmutz und Blut und mit einem Messer in der Hand. "Das ist das Scheußlichste, was ich jemals sah", sagte der Tote, und es packte ihn ein Grauen, wie er es noch nie erlebte. "Wer ist dieses Scheusal? Muß ich das immer ansehen?" " D a s b i s t d u ", sagte der Engel. "Aber die Wissenschaft," fragte der Tote angstvoll, "habe ich ihr n i c h t gedient? - Gehöre ich n i c h t zu den großen Geistern, auch wenn ich diese Taten beging?" "Die g r o ß e n Geister waren den Tieren B r ü d e r und nicht Henker", sagte der Engel, "sie würden dir den Rücken kehren, wenn du es wagen könntest, zu ihnen hinaufzugelangen. Aber du gelangst gar nicht in ihre Nähe. Du warst eine Null und k e i n großer Geist. Du wußtest es auch, daß du eine Null warst, du wußtest, daß dir nichts einfallen würde, darum hast du aus Eitelkeit alle diese Greuel begangen, in der Hoffnung, der Zufall könnte dir etwas von den Geheimnissen der Natur enträtseln, wenn du die Tiere folterst. Nachher kam die Mordlust, die Herrscherwut kleiner Seelen dazu. Siehst du das alles? - Du kannst es deutlich sehen an deinem Spiegelbild, es hat getreulich alle deine Züge aufgezeichnet. Bleibe bei ihm, wasche sein blutiges und schmutziges Kleid, bis es weiß wird wie Schnee. Es kann t a u s e n d J a h r e dauern, vielleicht auch länger. Bleibe bei ihm, denn du kannst ihm nicht entrinnen. Er ist d e i n G e f ä h r t e , und diese verstümmelten Geschöpfe Gottes sind d e i n P a r a d i e s . " "Das alles ist wahr", sagte der Tote, "aber auch wenn ich so dachte und tat, habe ich nicht doch eine Erkenntnis gefördert? Tritt nicht doch die Wissenschaft für mich ein?" "Eine Erkenntnis durch Verbrechen?" fragte der Engel. "Erkenntnisse hatte die Wissenschaft einst, als sie noch ein T e m p e l war. Ich will dir zeigen, wie eure Wissenschaft h e u t e aussieht." Ein häßliches gelbes Licht zuckte auf, und der Tote sah einen Narren sitzen, der mit blutigen Händen Kartenhäuser baute. Ein Luftstoß fegte sie um, aber der Narr baute immer weiter. "Ist das alles?" fragte der Tote und klammerte sich hilfesuchend an das Gewand des Engels.

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