Reinkarnation - eine urchristliche Lehre

PSYCHOWISSENSCHAFTLICHE GRENZGEBIETE Ausgesuchte Veröffentlichungen aus verschiedenen Bereichen psychowissenschaftlicher Forschung Internet: http://www.psychowissenschaften.de Prof. Dr. phil. Konrad Dröse Oberstudienrat Hermann Bauer Reinkarnation - eine urchristliche Lehre Das beweisen kritisch ausgewertete griechische und lateinische Bibeltexte, Konzildokumente und Schriften von früheren Kirchenvätern. Prof. Dr. phil. Konrad Dröse (1920 - 2011), arbeitete im Hochschuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen an der Fachhochschule Lippe (heute Hochschule Ostwestfalen-Lippe). Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand, im Juli 1985, lehrte er im Fachbereich Architektur und Innenarchitektur das Fach "Kunst- und Baugeschichte". Vorwort Re-Inkarnation - ein Begriff, der heute kein Fremdwort mehr ist. Zu allen Zeiten haben Menschen über ihr Leben und seinen Sinn nachgedacht, aber gerade heute scheint dies so intensiv zu geschehen wie nie zuvor. So wird in einer Zeitschriftenumfrage zum Thema "Das Leben nach dem Tod" folgender Schüleraufsatz zitiert: "Ich glaube, daß nach dem Tod irgendeine Art von Leben weiterbesteht. Eine Art unsichtbares Lichtwesen. Nach einer gewissen Zeit wird man wiedergeboren, wenn man lange genug in geistiger Form gelebt hat."1 Es ist schon erstaunlich, daß Schüler Gedankengänge vertreten, die in schroffem Gegensatz zur Lehre der christlichen Kirchen stehen. So muß es noch mehr verwundern, daß gerade in unserer Zeit der Frage nach der Reinkarnation allgemein größtes Interesse entgegengebracht wird. "Wir haben es mit einer Frage zu tun, die den Menschen in seinem Innersten bewegt, denn es geht um Leben und Tod, um die Entstehung unseres Lebens, um das Schicksal in dieser Welt, um unsere Existenz vor und nach diesem Dasein, um die Deutung von Leid und Schuld, um den Sinn des ganzen Kosmos."2 Über die Wiederverkörperung der Seele, oft auch als "Wiedergeburt" bezeichnet, wird offenbar nicht nur allgemein nachgedacht, weil etliches östliches Gedankengut in den bisher dominant christlichen Raum strömt, sondern das Wissen um die wiederholte Einverleibung der Seele in einen Menschenkörper ist ja eine Erfahrung der inneren Bereiche unseres Seins, unserer Seele. Zwar konnte die Wahrheit dieser Gegebenheit viele Jahrhunderte lang von außen unterdrückt und totgeschwiegen werden, jedoch drängt heute dieses Urwissen wieder herauf: Die Wahrheit läßt sich auf Dauer nicht unterdrücken. 1 Grossenbacher, a.a.O., S. 736 2 Adler, a.a.O., S. 21

- 2 - Das wissenschaftliche Material über die Reinkarnation, das inzwischen zur Verfügung steht, ist sehr umfangreich. (Anmerkung: Nur einige Standardwerke seien hier genannt, in denen sich weiterführende Literatur findet: Besant: Reinkarnation; Cerminara G.: Erregende Zeugnisse von Karma und Wiedergeburt; Curie, Jan: Niemand stirbt für alle Zeit, Bertelsmann 1979; Stearn: Der schlafende Prophet (Grundlegendes Werk zu Edgar Cayce)). Beeindruckend ist das in deutscher Sprache erschienene Buch des amerikanischen Professors und Direktors der parapsychologischen Abteilung der Universität von Virginia, Jan Stevenson "Reinkarnation - der Mensch im Wandel von Tod und Wiedergeburt". Stevenson hat nahezu 600 Fälle registriert, die für ein wiederholtes Erdenleben sprechen; 20 überzeugende und wissenschaftlich bewiesene Fälle aus fünf Ländern und drei Kontinenten, die "über das bloße Nahelegen der Wiederverkörperung weit hinausgehen; sie scheinen sie mir ausreichend zu beweisen."3 Zu Stevensons Werk schreibt Peter Andreas, a.a.O., S. 111: "Dr. Stevensons Erstwerk, 'Reinkarnation - der Mensch im Wandel von Tod und Wiedergeburt', ist inzwischen bereits zu einer Art Klassiker geworden. Auch viele Geistliche, die der Reinkarnationsfrage wegen der augenscheinlich fehlenden biblischen Autorität nicht nähertreten möchten, zeigen nach dem Studium der von Stevenson mit äußerster Gründlichkeit recherchierten Fälle jetzt Interesse am Fortgang der Forschungen." Die Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Reinkarnation wendet die heutige Psychologie bereits zu Therapiezwecken an. So führt Thorwald Dethlefsen mit Hilfe der Regression (Rückführung) seine Versuchspersonen in frühere Leben zurück und bringt damit tief in der Seele wurzelnde Erinnerungen an Vorleben zutage, die für die betreffende Person eine permanente psychosomatische Belastung im gegenwärtigen Leben darstellen und auf diese Weise erkannt und die aus ihnen resultierenden Beschwerden geheilt werden können.4 Stevenson und Dethlefsen mögen als Beispiele aus der modernen Psychologie repräsentativ sein, um aufzuzeigen, wie auf zwei verschiedenen Wegen die Existenz der Reinkarnation nachweisbar ist. Für große Dichter und Denker des Abendlandes waren die Fragen der Wiedergeburt ein selbstverständlicher Bestandteil ihres Denkens, z. B. für Goethe, Schiller, Lessing, Grillparzer, Platon, Vergil, Kant, Schleiermacher, Fichte, Kierkegaard, Schopenhauer, Voltaire und viele andere. 5 Ebenso selbstverständlich gehört die Reinkarnation zur buddhistischen und hinduistischen Religion. Um auch nur dem leisesten Verdacht zu begegnen, in dieser Schrift würden asiatische Religionsvorstellungen wiedergegeben, sei ein Zitat des Schweizer Tiefenpsychologen C. G. Jung angeführt: "Wiedergeburt ist eine Aussage, die zu den Uraussagen der Menschheit überhaupt gehört. Diese Uraussagen beruhen auf dem, was ich als 'Archetypus' bezeichne. Alle das Übersinnliche betreffenden Aussagen sind im tiefsten Grunde stets vom Archetypus bestimmt, so daß es kein Wunder ist, wenn Aussagen über die Wiedergeburt bei den verschiedensten Völkern angetroffen werden."6 3 Stevenson, a.a.O., S. 17 4 Dethlefsen, Thorwald: Das Erlebnis der Wiedergeburt - Heilung durch Reinkarnation, 1978, Goldmann-Sachbuch Nr. 11 199 5 Stellen aus ihren Werken, siehe Schmidt, K. O., a.a.O., S. 47ff 6 Jung C. G., a.a.O., S. 405

- 3 - Auch findet sich bei sehr vielen Naturvölkern der Glaube an die Wiederverkörperung des unsterblichen Teiles im Menschen,7 was darauf schließen läßt, daß dieses uralte Wissen im Menschengeschlecht angelegt ist. Das religiöse Empfinden früherer Völker mag mit den Grundwahrheiten des Seins noch enger verknüpft gewesen sein, als die Religionsformen der heutigen Zeit es sind, die mehr unter Mitwirkung des Intellektes gebaut wurden. Ebenso wird der Gedanke der Reinkarnation von großen esoterischen Gruppen vertreten, wie den Anthroposophen, Theosophen, Rosenkreuzern und Lorber-Gruppen. Walter Brugger, SJ., (Societas Jesu, Ordenskürzel: SJ) dessen Aufsatz "Wiederverkörperung" von den Gegnern der Wiedergeburtslehre immer wieder zitiert wird, beklagt darin, daß sich viele Menschen vom Christentum entfernt hätten und - infolge Mangels an Kritik, infolge geringer geistiger Durchbildung und infolge der durch das moderne Leben aufgestachelten Neugier - das alte Wahre wenig anziehend fänden. Im gleichen Atemzug verurteilt er Sektenwesen, populären Okkultismus, Wundersucht, Prophetenmanie und Wiedergeburtslehre. Seine ablehnende und starre Argumentationsweise ist typisch für viele im kirchlichen Dogmatismus verhaftete Theologen, die gegen die Reinkarnation zu Felde ziehen. So leitet er seine Argumentation mit folgenden Worten ein: "Die folgenden Ausführungen über Reinkarnation oder Seelenwanderung haben nicht in erster Linie den Zweck, eingeschworene Anhänger dieser Lehre von deren Unhaltbarkeit zu überzeugen. Diese haben ihre phantastischen Anschauungen meist in ein System gebracht, an dem eine Einzeluntersuchung, die ihnen nicht auf all den vielverschlungenen Nebenwegen nachgehen kann, wirkungslos abgleitet. Sie sind von ihren vermeintlichen höheren Einsichten so erfüllt, daß sie darüber nur schwer zu klarem Denken und Urteilen kommen."8 Wie gering und oberflächlich das Wissen dieses Kirchenmannes über den Gegenstand seiner Ablehnung ist, zeigt schon die Tatsache, daß er Reinkarnation und Seelenwanderung in einem Atemzug nennt, obwohl beide Begriffe Grundverschiedenes aussagen. Heute nehmen sich auch die Massenmedien des Themas Reinkarnation an und unterbreiten es einem Millionenpublikum. In den Interviews tauchen jedoch immer wieder die gleichen Argumente gegen die Wiederverkörperung auf, die schon Brugger vor Jahrzehnten anführte. Sie kommt demnach für Katholiken und bibelgläubige Christen nicht in Frage. Um dem unvoreingenommenen Leser ein eigenes Urteil zu ermöglichen, sei zunächst die Glaubenslehre der christlichen Kirchen, vornehmlich der römisch-katholischen Kirche dargestellt. Ein Vergleich mit der Wiedergeburtslehre soll zeigen, daß die Möglichkeit wiederholter Erdenleben mit der christlichen Erlösungslehre durchaus vereinbar ist, vorausgesetzt, daß die Theologen von der "Unfehlbarkeit" mancher Dogmen und Konzilsbeschlüsse abrücken. Die Darlegungen untersuchen u. a. die Fragen: • Was sagen die kirchlichen Dogmen vom Ursprung des Menschen und seiner Seele? • Was ist Sinn und Ziel des Lebens in der materiellen Welt? • Was kommt nach dem Tod? • Worin ist die Erlösung zu sehen? • Wie schlüssig ist das System der christlichen Dogmen überhaupt? 7 vergl. Glasenapp "Seelenwanderung" in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart V. Band, S. 1637ff., (Hrsg. Kurt Galling), Mohr, Tübingen, 1972, 3. Aufl. 8 Brugger SJ, a.a.O., S. 252

- 4 - Zum Begriff des Dogmas sei hier kurz folgendes ausgeführt: "Unter Dogma im strengen Sinn versteht man eine von Gott unmittelbar geoffenbarte Wahrheit, die vom kirchlichen Lehramt als solche zu glauben vorgelegt wird. (vergl. I. Vatikan. Konzil. DS 3011) Zum Begriff des Dogmas gehören folgende Momente: a) die unmittelbare göttliche Offenbarung. Die betreffende Wahrheit muß unmittelbar, sei es ausdrücklich oder einschlußweise von Gott geoffenbart und darum in den Offenbarungsquellen, in der Heiligen Schrift oder in der Tradition enthalten sein. b) die Vorlage durch das kirchliche Lehramt. Dieses schließt nicht bloß die Bekanntgabe der Glaubenslehre in sich, sondern auch die Verpflichtung, die vorgelegte Wahrheit zu glauben. Sie kann erfolgen entweder auf außerordentliche Weise durch eine feierliche Glaubensentscheidung des Papstes oder eines allgemeinen Konzils oder durch das ordentliche und allgemeine Lehramt der Kirche. . . Wenn ein Getaufter ein eigentliches Dogma vorsätzlich leugnet oder bezweifelt, macht er sich der Sünde der Häresie schuldig (CIC 1325 § 2) und verfällt der Strafe der von selbst eintretenden Exkommunikation (CIC 2314 § 1). Gegenüber dem Modernismus betont die katholische Kirche, daß das Dogma seinem Inhalt nach göttlichen Ursprungs ist, daß es Ausdruck einer objektiven Wahrheit ist und daß sein Inhalt unveränderlich ist." (Ott, a.a.O., S. 5f.) Die folgenden Untersuchungen sollen diejenigen Hindernisse des christlichen Kirchenglaubens aufzeigen, die die Anerkennung der Wiedergeburtslehre unmöglich machen. Es soll nicht der christliche Glaube als solcher herabgewürdigt werden. Das Ziel ist einzig dies: • Verschüttetes freizulegen, • Verschwiegenes wieder ins Bewußtsein zu heben, • Falsches als solches erkennbar zu machen Kurz: dem Wissen um die wahren Zusammenhänge ans Licht zu verhelfen. Denn: Unwissenheit bindet, wahres Wissen macht frei. Als erstes soll dargelegt werden, wie die Lehre der christlichen Kirchen den Menschen in seinen religiösen Zusammenhängen sieht.

- 5 - I. Das Welt- und Menschenbild der christlichen Kirchen 1. Der Ursprung des Menschen In Anlehnung an den Satz im Glaubensbekenntnis von Nicaea (325 n. Chr.) "Wir glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer von allem Sichtbaren und Unsichtbaren . . ." (DS 125)119 lehrt das IV. Laterankonzil (1215): Wir glauben und bekennen, daß Gott . . . "Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, der geistigen und der körperlichen ist, der . . . beide Schöpfungen aus dem Nichts geschaffen hat, die geistige und köperliche, die engelhafte und weltliche und dann die menschliche, gleichsam aus Geist und Körper zusammen-gesetzt hat . ." (DS 800) Nach diesem Dogma wurde "die Seele des ersten Menschen von Gott unmittelbar aus nichts erschaffen. Bezüglich des Leibes läßt sich die unmittelbare Bildung desselben aus organischem Stoff durch Gott nicht mit Sicherheit behaupten." (Ott, S. 114)10 Dieses Dogma vom Ursprung des Menschen gründet die Kirche auf zwei Stellen aus dem Alten Testament: Gen. 1, 27: "So schuf Gott den Menschen nach seinem Abbild, nach Gottes Bild schuf er ihn, als Mann und Frau erschuf er sie." und Gen. 2, 7: "Da bildete Gott, der Herr, den Menschen aus dem Staub der Ackerscholle und blies in seine Nase den Odem des Lebens; so ward der Mensch zu einem lebendigen Wesen." Für die Erschaffung des weiblichen Wesens, Eva, zieht der Dogmenkommentar von Ludwig Ott, der im folgenden als Grundlage der Dogmendiskussion herangezogen wurde und von der Kirche genehmigt ist, neben zwei alttestamentlichen Stellen (Gen. 2, 21ff. und 2, 22: "Rippentheorie") vor allem das Zeugnis der Tradition heran: "Die Väter lehren übereinstimmend, daß Gott den ganzen Menschen, nach Leib und Seele, unmittelbar erschaffen hat. In der Schöpfungsweise Evas sehen sie die wesentliche Gleichstellung der Frau mit dem Manne (!), die göttliche Einsetzung der Ehe und den Ursprung der Kirche und der Sakramente aus der Seitenwunde Christi, des zweiten Adams, versinnbildlicht." (Ott, S. 115) Daß die Berufung auf den biblischen Schöpfungsbericht nicht immer sinnvoll ist, zeigt auch die folgende Diskrepanz zwischen Naturwissenschaft und Glaube: Entgegen einer wissenschaftlichen Theorie "wonach die verschiedenen Rassen sich von mehreren getrennten Stämmen herleiten (Polygenismus)", lehrt die Kirche, daß die ersten Menschen, Adam und Eva, die Stammeltern des ganzen Menschengeschlechts sind (Monogenismus). "Die Lehre von der Einheit des Menschengeschlechtes ist zwar nicht Dogma, aber die notwendige Voraussetzung für die Dogmen von der Erbsünde und der Erlösung. Nach einer Entscheidung der Bibelkommission11 ist die Einheit des Menschengeschlechtes zu den Tatsachen zu rechnen, die die Grundlagen der christlichen Religion berühren und deswegen im buchstäblichen, geschichtlichen Sinn aufzufassen sind." (DS 3514) (Ott, S. 115f.) 9 DS wird im ff. als Abkürzung verwendet für Denzinger-Schönmetzer (a.a.O.); die jeweilige Nummernangabe entspricht dem dort niedergeschriebenen Dogmensatz der Kirche. 10 Ott, wird im ff. verwendet als Abkürzung für Ott, Ludwig: Grundriß der katholischen Dogmatik, a.a.O.; dieses präzise, allgemein verständliche Werk, das in 10. Auflage erschienen ist, bietet die Grundlage zur Untersuchung der kirchlichen Lehre 11 Bibelkommission vom 30.6.1909 (DS 3512-3519), deren "Entscheidung nicht unfehlbar ist, aber als Norm kirchlicher Lehre gewertet werden muß" (Neuner-Roos, a.a.O., S. 90.)

- 6 - Auch Pius XII. (1950) verwirft den Polygenismus (DS 3897), da er "mit der Offenbarungslehre von der Erbsünde" (Ott S. 116) unvereinbar ist. Die Kirche ist also an ihre Dogmen gebunden, selbst wenn, wie im Falle Galilei, die Naturwissenschaft unter Umständen den Gegenbeweis erbringen könnte. Mit dem Dogma vom IV. Laterankonzil, wonach der Mensch aus Leib und Seele besteht, legt sich die Kirche auch auf eine Zweiteilung der Wesensnatur des Menschen fest, während eine Dreiteilung in Leib, Seele und Geist sowohl bei den griechischen Kirchenvätern (z. B. Origines) als auch bei Paulus eindeutig belegt ist: 1. Thess. 5, 23: "Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch voll und ganz, und euer Geist (= pneuma) und eure Seele (= Psyche) und euer Leib (= soma) werde unversehrt und untadelig bewahrt für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus." Demnach besteht der Mensch aus einem physischen Körper als der materiellen Hülle für die Seele, in die der Geist eingeschlossen ist, der unsterbliche "Geist, der zu Gott zurückkehrt, der ihn gab." (vergl. Pred. 12, 7). Diese genaue Unterscheidung der Begriffe Geist (spiritus, pneuma) und Seele (anima, psyche), wie sie aus der Heiligen Schrift und den heutigen prophetischen Offenbarungen klar getroffen wird, ist den Verfassern der diesbezüglichen Dogmen nicht gelungen. Die Begriffsverwirrung lieferte auch den Stoff für die Streitfrage, ob die Seele sterblich oder unsterblich sei. Die neuere Theologie hat eine "Ganz-Tod-Theorie" entworfen, d. h. Leib und Seele sterben beim physischen Tod. Näheres hierzu siehe unter Abschnitt "Die Lehre von den Letzten Dingen." Nach einer sententia certa (gesicherte Lehrmeinung) behauptet die Kirche, daß die Seele von Gott unmittelbar bei der Zeugung des physischen Körpers aus dem Nichts erschaffen und mit ihm vereinigt wird, obwohl für diese Theorie kein biblisch eindeutiger Schriftbeweis zu finden ist (Ott S. 121). Selbst der heilige Augustinus, der die Erbsündentheorie "erst wirklich zur Entfaltung" brachte12, vermochte sich zeitlebens nicht mit dem Gedanken anzufreunden, daß die Seele bei der Zeugung eines menschlichen Körpers unmittelbar von Gott aus nichts geschaffen wird, da er sie nicht mit der Fortplanzung der Erbsünde vereinbaren konnte. Erst im Mittelalter wurde diese "gesicherte Lehrmeinung" unter dem Einfluß von Thomas von Aquin zu einer Voraus-setzung für das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Marias und damit indirekt zu einem dogmatischen Lehrsatz erhoben (vergl. Ott S. 121). Karl Rahner (1904-1984), ein führender Theologe unserer Zeit, führt zusammenfassend dazu aus: "Grundsätzlich wird unterstrichen, daß die Seele unmittelbar aus nichts von Gott geschaffen ist, daß sie daher nicht zur göttlichen Substanz gehört, auch nie ein vorkörperliches Leben führt, daß sie aber umgekehrt als solche auch keinen materiellen Ursprung hat. Sie ist das menschliche Vitalprinzip und steht höher als der Leib. Ihre Geistigkeit kann bewiesen werden. Er (= der Mensch, d. Verf.) besteht aus Geist und Körper, Seele und Leib. Die Grunderkenntnis: Der Geist des Menschen ist von Gott geschaffen und bildet in seinem (augustinisch oder thomistisch verstanden) Wesensbezug zum Körper dessen eine Seele."13 12 Rahner, Herders Theologisches Taschenlexikon, Bd. 2, S. 156 13 Rahner, Herders Theologisches Taschenlexikon, Bd. 6, S. 396f.

- 7 - 2. Die Erbsünde oder der Abfall des Menschen von der Übernatur Obwohl die Kirche über den Ursprung des Menschen aussagt, daß die Seele von Gott bei der Zeugung aus dem Nichts geschaffen wird, so lehrt sie dessen ungeachtet, daß jedes neugeborene Kind bereits sündhaft ist durch die Belastung der Erbsünde. Die ersten dogmatischen Aussagen zur Theorie der Erbsünde lassen sich in den Canones 1-3 (DS 222/224) der Synode von Carthago 418 n. Chr. nachlesen, die unter dem Einfluß des heiligen Augustinus in die Lehre der Kirche eingebracht wurden. Ihre umfassende Ausformung erfuhr jene Doktrin auf dem Konzil von Trient (1546). Das "Decretum de peccato originali" legt unmißverständlich fest: "Wenn einer erklärt, daß die Pflichtverletzung des Adam nur ihm allein und nicht dessen Nachkommenschaft geschadet habe, daß er die von Gott erhaltene Heiligkeit und Gerechtigkeit, die er verloren hat, nur für sich allein, nicht auch für uns verloren hat, oder daß jener Beschmutzte durch die Sünde des Ungehorsams den Tod und die Strafen des Körpers auf das ganze Menschengeschlecht übertragen (wörtlich ausgegossen) hat, nicht aber die Sünde, die der Tod der Seele ist, der sei verflucht." (DS 1512) Mit diesem Dogma wird lehramtlich festgelegt, daß alle Seelen durch die Sünde Adams automatisch sündig sind, da Adam als Stammvater der Menschheit gesündigt hat. Verflucht - Verfluchung, Bannfluch, auch Anathem(a) genannt, oder Exkommunikation bedeutet: "Ausstoßung eines Kirchengliedes aus der Gemeinschaft der Gläubigen mit näher bestimmten Wirkungen, die gesetzlich festgelegt sind." (Reallexikon für Antike und Christentum, Hrsg. Theodor Klauser, Bd. 7, S. 1, Stuttgart, 1969.) Der Exkommunizierte wird vom Abendmahl ausgeschlossen und verliert das Recht auf ein kirchliches Begräbnis. Im Todesfall zog der Bannfluch nach Auffassung der Kirche auch die ewige Höllenstrafe nach sich. "Seit dem Ende des 4. Jahrhunderts wird deutlich, daß die Exkommunikation ein Ausschluß von den kirchlichen Rechten, nicht eine Entlassung aus den kirchlichen Pflichten ist. Kaiser Friedrich II. knüpfte auf Drängen des Papstes 1220 an die Exkommunikation die Reichsmacht." (d. h. dem Exkommunizierten ging auch jeder Schutz der staatlichen Macht verloren, was ein nicht vollstrecktes Todesurteil bedeutete, d. Verf.). Im Hoch- und Spätmittelalter artete die Exkommunikation schließlich völlig aus (z. B.: Exkommunikation zur Erzwingung kirchlicher Geldforderungen, Exkommunikation von Toten und Tieren)." (H. Barion "Exkommunikation" in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Hrsg. K. Galling, Bd. II, S. 829, Siebeck, Tübingen, 1958). Verständlicherweise wird heute der Bannfluch, wie aus Neuner-Roos, a.a.O. hervorgeht, meist übersetzt mit "der sei im Banne", "der sei ausgeschlossen", "der sei anathema". Man sollte aber wissen, daß der griechische Begriff "anathemtizein" verfluchen bedeutet. Daß der Bannfluch der Kirche heute nicht mehr die gravierenden Konsequenzen zur Folge hat wie im Mittelalter, liegt nicht am verstärkten Eindringen der göttlichen Liebe in die Herzen der Theologen, sondern ausschließlich an der Veränderung der äußeren Gegebenheiten seit der Epoche des Rationalismus und der Aufklärung.)

- 8 - Das Dogma (DS 1512 s. o.) braucht jedoch die Glaubensstütze, daß die Menschheit auch tatsächlich im naturwissenschaftlichen Hinblick von Adam und Eva abstammt. Dazu schreibt Ott (S. 129): "Der biblische Bericht über den Sündenfall der Stammeltern ist in der Genesis (2, 17 und 3, 1ff.) enthalten. Da die Sünde Adams die Grundlage der Dogmen von der Erbsünde und von der Erlösung ist, so ist in den wesentlichen Punkten an der Geschichtlichkeit der Erzählung festzuhalten. Nach einer Entscheidung der Bibelkommission im Jahre 1909 darf der buchstäbliche, geschichtliche Sinn . . . nicht in Zweifel gezogen werden." (Ott S. 129). Nicht in Zweifel gezogen werden darf: a) daß dem ersten Menschen von Gott ein Gebot gegeben wurde, um seinen Gehorsam zu prüfen, b) daß er das göttliche Gebot durch Verführung, des unter dem Bild der Schlange dargestellten Teufels, übertrat, c) daß die Stammeltern aus dem ursprünglichen Zustand der Unschuld ausgeschlossen wurden. Die gleiche Bibelkommission erklärte aber am 30. 6. 1909 auch: "Es ist nicht notwendig, alle einzelnen Wörter und Sätze im eigentlichen Sinne zu verstehen. Stellen, die von den Vätern und Theologen verschieden gedeutet werden, darf man nach eigenem klugen Ermessen auslegen, freilich mit dem Vorbehalt, daß man sich dem Urteil der Kirche unterwirft und die Analogie des Glaubens wahrt." (DS 3515) (Ott S. 112) Als Schriftbeweis für die Richtigkeit dieses Dogmas sagt Ott (S. 132): "Das Alte Testament enthält nur Andeutungen der Erbsünde." Psalm 51, 7: Siehe in Schuld bin ich geboren, und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen. Job 14, 4: Wer kann den rein machen, der aus unreinem Samen empfangen ist? Diese nach der lateinischen Vulgata-Bibel zitierte Stelle übersetzt die deutsche Pattloch-Bibel so: "O könnt vom Befleckten doch ein Reiner stammen." Hier liegt ein klassisches Beispiel vor, wie durch eine Textübersetzung in eine andere Sprache der Sinn einer ursprünglich eindeutigen Stelle völlig verändert werden kann, obwohl dem Übersetzer sicherlich keinen Vorwurf der bewußten Veränderung gemacht werden soll. Als klassische Beweisstelle des Neuen Testaments führt der Dogmenkommentar dann an: Römer 5, 12: "Wie daher durch einen einzigen Menschen die Sünde in die Welt eintrat und durch die Sünde der Tod und so auf alle Menschen der Tod überging, weil alle sündigten." Nach einer fast halbseitigen philologischen Erklärung gibt Ott dann aber selbst zu, daß nach Meinung der neueren Auslegung diese Stelle "kein Zeugnis für die Erbsünde ist." (Ott S. 132) Diese drei vorgelegten Stellen sagen aber kein Wort von der Erbsünde. Die einzige gemeinsame Aussage, die sich entnehmen läßt, ist, daß Schuld und Sünde bei der Geburt eines Menschen vorhanden sind. Es wird aber auch an anderen Stellen nicht bestätigt, daß diese Erbsünde von den Stammeltern herrührt. Eher beweisen zwei Stellen das Gegenteil: Ezechiel 18, 4: "Nur die Person, die sündigt, die soll sterben." Weisheit 8, 19: "Ich war ein wohlveranlagter junger Mann und hatte eine gute Seele empfangen."

- 9 - Da keine einzige Aussage von Christus selbst zum Faktum der Erbsünde im kirchlichen Sinne vorliegt und man sogar weiß, daß "manche Äußerungen griechischer Väter, welche die Sünde sehr stark als persönliche Verschuldung hinstellen und von der Erbsünde ganz abzusehen scheinen" vorliegen, argumentiert man mit dem "unwiderlegbaren Realbeweis für die Überzeugung der alten Kirche von der Wirklichkeit der Erbsünde . . . (mit der) altchristlichen Praxis der Kindertaufe zur Vergebung der Sünden." (Ott S. 133) Demaskierend wirkt in dieser Beziehung folgende Passage: "Die natürliche Vernunft kann die Existenz der Erbsünde nicht stringent (= zwingend) beweisen, sondern nur mit Wahrscheinlichkeit aus gewissen Anzeichen erschließen: Solche Anzeichen sind die furchtbaren sittlichen Verirrungen der Menschheit und der Abfall vom wahren Gottesglauben (Polytheismus, Atheismus)." (Ott S. 133) Die Theologie bleibt also die Frage schuldig, warum Christus kein einziges Wort über die Erbsünde gesagt hat, obwohl er doch in diese Welt kam, "um zu suchen und zu retten, was verloren war" (Lk. 19, 10) "und um die Menschheit zu erlösen." (vergl. Isaias 35, 4) Zur Frage, wie die Erbsünde auf den Menschen übertragen wird, sagt das Dogma: "Wer behauptet, diese Sünde Adams, die in ihrem Ursprung eine einzige ist und durch Abstammung (d. h. Zeugung des Körpers, d. Verf.), nicht durch Nachahmung, übertragen, allen innewohnt und jedem einzelnen zu eigen ist, . . . der sei verflucht." (DS 1513) Diese Aussage bedeutet also, daß die Erbsünde durch den natürlichen Zeugungsakt, ebenso wie der menschliche Körper, fortgepflanzt wird. Obwohl die Sünde eine geistige Sache ist, wird sie über die physische Natur des gezeugten Kindes an dessen Seele weitergegeben: die körperliche Schaffung eines Menschen bewirkt demnach die Sündhaftigkeit der Seele, die laut dogmatischer Feststellung von Gott unmittelbar aus nichts geschaffen wird und daher selbst nicht eine Verfehlung begangen haben kann. "Bei jeder Zeugung wird die menschliche Natur im gnadenentblößten Zustand mitgeteilt." (Ott S. 136) Unbeirrt davon, daß selbst menschliche Rechtssatzungen derartige Handlungsweisen als ungerecht ansehen würden, lastet die Kirche eine solche Praxis Gott an, von dem sie in einem anderen Dogmensatz erklärt: "Die Welt wurde zur Verherrlichung Gottes geschaffen." (DS 3025). Darf man die Welt (als) das Werk göttlicher Weisheit (Psalm 104, 24), und die geschaffene Welt als die Realisierung göttlicher Ideen bezeichnen (vergl. Gen. 1, 26), wenn man den ewigen Schöpfer gleichzeitig eine Verhaltensweise unterstellt, die selbst dem vergleichsweise groben menschlichen Rechtsempfinden völlig widerspricht? - Kann Gott, der absolute Geist, etwas Geistiges, also die Seele, neu ins Leben rufen und sie dann dadurch sündig machen, daß sie an einen materiellen Körper gebunden wird, der ihr die Sünde überträgt? Stellt man mit einer solchen Denkart nicht den Körper über die Seele, das Materielle über das Geistige?

- 10 - Die logische Fortführung der Theorie der Erbsünde kann man in folgendem Dogma lesen: "Die Seelen jener, die in einer Todsünde oder im Stand der Erbsünde aus dem Leben scheiden, steigen dann in die Hölle hinab, um dort mit ungleichen Strafen belegt zu werden." (DS 858, vom 2. allgem. Konzil von Lyon 1274). Einziger Schriftbeweis für die Erbsünde ist die Stelle: Joh. 3, 5: "Wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus Wasser und Geist, kann er nicht eingehen in das Reich Gottes." (Anmerkung: Diese Interpretation verdanke ich Pastor Dr. Günther Schwarz, Diepholz, einem Experten des Aramäischen, der Muttersprache Jesu.) Auch Klemens von Alexandria sagt in der Mahnrede an die Heiden (IX,82): "Denn wenn ihr nicht wieder wie die Kinder werdet und wiedergeboren werdet, wie die Schrift sagt (Mt. 18, 3; Joh. 3, 5), dann werdet ihr euren wahren Vater nicht erlangen und niemals in das Himmelreich eingehen." Mit dieser Lehre ist jeder Mensch zur Höllenstrafe bestimmt, der stirbt, ohne eine christliche Taufe erhalten zu haben. Das gilt sowohl für Säuglinge, Kleinkinder, aber auch die sogenannten "Heiden", die das Christentum nicht kennen. Um diese gnadenlose Härte Gottes doch etwas abzumildern, erfanden die Theologen "einen besonderen Strafort für die ohne Taufe sterbenden Kinder . . ., den sie als limbus puerorum (Vorhölle der Kinder) bezeichnen." (Ott, S. 139) Allein diese hier aufgezeigten Beispiele liefern schon ein selbstredendes Zeugnis vom verpflichtenden Glaubensgut einer "unfehlbaren" Amtskirche und es wird so recht verständlich, daß man den vollen Wortlaut aller Dogmensätze bei Denzinger-Schönmetzer im lateinisch-griechischen Originaltext niedergeschrieben hat, so daß der ganze Inhalt nur wenigen Sprachkundigen bekannt wird.14 3. Sinn und Zweck der Welt und des Menschen Der Zweck der Weltschöpfung wird vom I. Vatikanischen Konzil (1870) bestimmt: ". . . Wer leugnet, die Welt sei zur Verherrlichung Gottes geschaffen, der sei verflucht." (DS 3025) Der Schöpfungszweck der Welt ist nach Aussagen des I. Vatikanums zweifacher Art: "Die Offenbarung der göttlichen Vollkommenheiten und die daraus sich ergebende Verherrlichung Gottes" (Ott S. 98) und die Spendung von Wohltaten an die Geschöpfe, insbesondere die Beseeligung der vernünftigen Geschöpfe." (Ott S. 99) Zum Ziel des Menschen auf der Erde sagt das I. Vatikanum: 14 Die Dogmensätze bei Neuner-Roos, a.a.O. stellen lediglich eine Auswahl dar, wobei die wirklich bedeutsamen und z. T. brisanten Dogmen dort nicht in deutscher Sprache wiedergegeben sind.

- 11 - "Gott hat den Menschen aus seiner grenzenlosen Güte auf ein übernatürliches Endziel geschaffen - zur Teilnahme an den göttlichen Gütern, die die Erkenntnis des menschlichen Geistes völlig übersteigen . . ." (DS 3005) "Das übernatürliche Endziel des Menschen besteht in der Teilnahme an der göttlichen Selbsterkenntnis, woraus sich für Gott eine übernatürliche Verherrlichung und für den Menschen eine übernatürliche Glückseligkeit ergibt." (Ott S. 124) Die Lehrentscheidungen des Trienter Konzils (1547) schränken aber diese Aussage erheblich ein, indem dort verkündet wird, "daß Gott durch seinen ewigen Willensratschluß bestimmte Menschen zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt" hat. (DS 1540)15 Die Begründung bezieht man aus Röm. 8, 29: "die er vorher erkannt hat, hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu werden . . ." Ebenso ist es Lehre der Kirche, daß "Gott durch seinen ewigen Willensratschluß bestimmte Menschen wegen ihrer vorhergesehenen Sünden zur ewigen Verwerfung vorherbestimmt hat." (DS 628 Synode von Valence, 855 n. Chr.) Die biblische Fundierung sieht die Kirche in Mt. 25, 41: ". . . Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel bereitet ist und seinen Engeln." Die patristische Grundlage für diese Lehrmeinung findet die Kirche u. a. bei Augustinus: "Gott ist gut, Gott ist gerecht. Er kann jemand ohne gute Verdienste retten, weil er gut ist; aber er kann niemand ohne schlechte Dienste verdammen, weil er gerecht ist." (Aug. contra Jul. III, 18, 35; zit. nach Ott S. 296) Die Ungereimtheiten der kirchlichen Lehre liegen offen zutage: Wenn Gott die Welt zu seiner Verherrlichung geschaffen hat und Wohltaten an seine Geschöpfe spendete, wieso können dann Teile seiner Schöpfung zu seiner Verherrlichung in der ewigen Hölle sein? - Ist es mit dem Wesen eines gerechten Gottes überhaupt zu vereinbaren, schon beim Beginn eines menschlichen Lebens "bestimmte Menschen" zur ewigen Seligkeit oder zur ewigen Verdammnis vorherzubestimmen? - Wenn Gott die Sündhaftigkeit bestimmter Menschen vorausgesehen hat, warum hat er in seiner Liebe nicht auf die Erschaffung dieser Menschen verzichtet und ihnen damit ihr schreckliches Los erspart? Wenn die Prädestination (= Vorherbestimmung) eine gültige Tatsache ist, welchen Sinn haben dann noch gute Werke und alle Bemühungen um sittliche Vervollkommnung des Menschen? Für die Guten sind sie überflüssig, für die Bösen vergeblich. Besonders verwirrend wird die Situation noch dadurch, daß die Menschen auf ihrem Lebensweg noch zusätzlich "in Versuchung geführt werden" (vergl. die entsprechende Bitte im Vaterunser der christlichen Kirchen), Versuchungen, die von seiten des Bösen immer wieder an die Menschen herantreten. 15 Die Canones 15 und 16 (DS 1565 und 1566) jenes Konzils erheben Bannflüche gegen Menschen, die jene Thesen ablehnen.

- 12 - Dies bringt uns zur nächsten Frage, der Frage nach dem Teufel als "Fürsten dieser Welt" (Joh. 12, 31; 14, 30) und seiner Stellung in der Schöpfung. 4. Die Offenbarungslehre von den guten und bösen Engeln Das IV. Laterankonzil (1215) hat die Engellehre zum Dogma erhoben: ". . . Er (= Gott) hat in seiner allmächtigen Kraft zu Beginn der Zeit in gleicher Weise beide Ordnungen der Schöpfung aus dem Nichts geschaffen, die geistige und körperliche, d. h. die Engelwelt und die irdische Welt und dann die Menschenwelt, die gewissermaßen beide umfaßt, da sie aus Geist und Körper besteht. Denn der Teufel und die anderen bösen Geister sind von Gott ihrer Natur nach gut geschaffen, aber sie sind durch sich selbst schlecht geworden. Der Mensch jedoch sündigte auf Eingebung des Teufels . . ." (DS 800) Zur Teilung der Engelwelt in eine gute und eine böse sagt der Dogmenkommentar: "Die guten Engel, die die Prüfung bestanden, gingen zum Lohn dafür in die Seligkeit des Himmels ein, während die bösen Engel, die die Prüfung nicht bestanden, der ewigen Verdammnis verfielen." (Ott S. 144) Dieser Abfall eines Teiles der Engel aus dem Himmel in die Hölle, der sog. Engelsturz, wird hergeleitet durch: 2. Petr. 2, 4: "Gott hat die Engel, die sich versündigten, nicht verschont, sondern hat sie den finsteren Höhlen der Unterwelt übergeben, um sie zu verwahren für das Gericht." Und durch: Judas 6: "Auch die Engel, die ihre Würde nicht wahrten, sondern ihre Stätte preisgaben, hält er für das Gericht des großen Tages mit ewigen Fesseln in der Finsternis in Verwahrung." Aus dem Evangelium des Johannes (8, 44) ist klar zu belegen, daß der Sturz der sündigen Engel in die Gottesferne, d. h. die Hölle, vor der kosmischen Zeit gelegen haben muß. Ob diese Hölle allerdings ewig, d. h. nie endend ist, kann mit den zitierten Schriftstellen jedoch nicht bewiesen werden, da die Verwahrung nur bis zum Tage des Gerichts dauert. Bis zu diesem Zeitpunkt besitzt allerdings der Teufel eine gewisse Macht über die Menschen, da er der "Fürst dieser Welt ist" (Joh. 12, 31) und umhergeht "wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge" (1. Petr. 5, 8). Aus den bisher dargelegten Aussagen der Kirche geht hervor, daß Gott reine Geistwesen, Engel genannt, schuf, diese einer Prüfung unterzog, die ein Teil von ihnen nicht bestand. Diese fielen aufgrund freier Willensentscheidung unter Führung des Luzifer von Gott ab und wurden als Teufel oder Dämonen in die Hölle verstoßen. Die rein gebliebenen Engel verblieben weiterhin in der himmlischen Anschauung Gottes. Zwischen Engeln und Teufeln steht als neue Gattung der Mensch. Er ist durch seine Seele auch ein Geschöpf des Himmels, durch seinen Leib hat er aber teil an einer Erbsünde der Stammeltern, die schwerwiegende Folgen für sein irdisches Dasein hat. So ist sie die Ursache für die Beschwerden und die Sterblichkeit des Leibes. 5. Die Lehre der Kirche von den letzten Dingen Warum ist der Mensch sterblich und nicht unsterblich wie die Geistwesen?

- 13 - "Paulus lehrt auf das Bestimmteste, daß der Tod eine Folge der Sünde Adams ist. Röm. 5, 12: 'Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod, und so ist der Tod auf alle Menschen übergegangen, weil alle gesündigt haben . . .' Für den Gerechtfertigten verliert der Tod den Strafcharakter und wird zur bloßen Sündenfolge. Für Christus und Maria wird der Tod wegen ihrer Freiheit von der Erbsünde weder Sündenstrafe noch bloße Sündenfolge. Mit Rücksicht auf die Eigenart der menschlichen Natur war der Tod für sie jedoch natürlich." (Ott S. 564) Die Häufung des Begriffes "Tod" erfordert eine genauere Untersuchung, was darunter zu verstehen ist, denn so wie die Begriffe hier verwendet sind, wird der Zusammenhang unsinnig: Christus und Maria unterliegen nicht der Erbsünde, also gibt es für sie keinen Tod. Sterben sie trotzdem, so kann "Tod" nicht gleichbedeutend mit "Sterben" sein. Die Lösung der Frage liefert Christus selbst: Joh. 11, 25f: ". . . Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit." Demnach bedeutet "Leben" Glaube an Christus, "Tod" dagegen Unglaube, Trennung von Gott, Leben in der Gottesferne. Die Toten sind also im biblischen Sinne nicht die Verstorbenen, sondern die Gottfernen. Dies geht besonders klar aus folgender Bibelstelle hervor: 1. Kor. 15, 25-26: "Als letzter Feind wird vernichtet werden der Tod." Hier ist mit "Tod" offensichtlich Luzifer gemeint, der letzte der geistig Toten, derer, die von Gott abgefallen sind. (Auch jener wird einst zu Gott zurückkehren, womit die Feindschaft vernichtet wird.) In die gleiche Richtung weist Apg. 2, 24: "Ihn (= Christus) hat Gott auferweckt, indem er die Wehen des Todes löste; denn unmöglich war es, daß er festgehalten wurde von ihm." Sterben und Tod sind also Begriffe, deren unterschiedliche Sinngebung beachtet werden muß. Während die Notwendigkeit des Sterbens, ohne persönliche Schuld, durch den Schöpfer schon bei jeder menschlichen Geburt festliegt, so gewinnt der Zeitpunkt des Todes nach einer "gesicherten Lehrmeinung" der Kirche besondere Bedeutung, denn "mit dem Eintritt des Todes hört die Zeit des Verdienens und die Möglichkeit der Bekehrung auf." (Ott S. 564) Die für jene Behauptung angegebenen Schriftstellen16 bezeugen zwar für die Zeit nach dem Erdenleben eine Zeit ohne Wirkungsmöglichkeit und ein Gericht für die Seele. Von einer Endgültigkeit dieses Zustandes muß man jedoch nicht zwingend ausgehen, im Gegenteil: Wenn es heißt: Joh. 9, 4: "Wir müssen die Werke dessen, der mich sandte, vollbringen, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand zu wirken vermag." Dann kann man auch folgern, daß nach jeder Nacht auch wieder ein Tag und wieder eine Nacht im gewohnten Wechsel kommt. Die Kirche lehrt jedoch strikt: 16 Mt. 25, 34ff.: Christus als Weltenrichter, Lk. 16, 26: die Kluft zwischen dem reichen Prasser und dem armen Lazarus im Jenseits, Joh. 9, 4: "wir müssen die Werke dessen, der mich sandte, vollbringen, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand zu wirken vermag."

- 14 - "Die Einschränkung der Verdienstmöglichkeit auf die Zeit des Erdenlebens beruht auf der freien Anordnung Gottes." (Ott S. 565). Und der Jesuit Brugger formuliert kühn: "Das aber ist gerade die Größe des Menschen, daß er, zwischen Geburt und Tod gestellt, über eine Ewigkeit entscheiden soll."17 Bei rechter Überlegung dieser Behauptung tauchen allerdings Fragen und Zweifel auf: Was passiert mit den Menschen, die wegen geringen Alters oder Bildung keine Entscheidungsfähigkeit haben? Warum sind die Prüfungsbedingungen der einzelnen Menschen so unterschiedlich? Welche Rolle spielen die sozialen Verhältnisse, die Umwelteinflüsse, denen der Mensch zwangsweise ausgesetzt ist? Und gesetzt den Fall, der Kirchenvater Cyprian hätte recht, wenn er sagt: "Ist man von hinnen geschieden, so ist keine Möglichkeit mehr für Buße, ohne Wirkung ist die Genugtuung" (Ott S. 565). Warum hat dann die Kirche bis heute nicht auf die finanziell recht einträgliche, aber wohl als nutzlos entlarvte Ablaßpraxis für Verstorbene verzichtet? Und wie steht es dann mit der Wirkung von bestellten Messen zum Wohle der Verstorbenen? Wie geht es nun - nach Lehre der Kirche - nach dem leiblichen Tod des Menschen weiter? Papst Benedikt XII. schreibt in der Constitutio "Benedictus deus" (29. Januar 1336), die Dogmencharakter besitzt (vergl. Vorwort zu DS 1000), sinngemäß: "Die Seelen der Gerechten sind und werden sein im Himmel und im Paradies sofort nach ihrem Tod . . . und zwar auch noch vor der Wiedervereinigung mit ihrem Leib und vor dem allgemeinen Gericht . . . sie schauen die göttliche Wesenheit in unmittelbarer Schau. Ferner bestimmen wir: Wie Gott allgemein angeordnet hat, steigen die Seelen derer, die in einer tatsächlichen schweren Sünde verscheiden, sofort in die Hölle hinab, wo sie von höllischen Qualen gepeinigt werden. Aber trotzdem werden am Tage des Gerichtes alle Menschen vor dem Richterstuhl Christi in ihrem Leibe erscheinen und Rechenschaft geben über ihre eigenen Taten." (vergl. DS 1000-4002) Im Anschluß an den Tod des Körpers erfolgt also ein besonderes Gericht mit vorläufiger Belohnung oder Bestrafung (vergl. Ott S. 566) und nach einer ungewissen Wartezeit dann noch einmal das allgemeine letzte Gericht am sogenannten "Jüngsten Tag". Der Sinn dieses letzten Gerichtes erscheint aber unverständlich, wenn es die Urteile des besonderen Gerichtes nur noch einmal wiederholt. Dieser inneren Widersprüche wegen hat diese Lehre auch zu verschiedenen theologischen Meinungsverschiedenheiten geführt. Neuerdings wird von modernen Theologen die sogenannte "Ganztod-Theorie" vertreten. Danach stirbt der ganze Mensch mit Leib und Seele: "Wir haben den Tod als wirkliches Ende hingestellt, als Zerbrechen von Leib und Seele, also völlige Zerstörung unserer Lebendigkeit und haben uns gegen jede Abschwächung des Todes gewehrt, gerade vom Gedanken des Todes als Gericht aus: seinen Charakter als Gericht behält das Sterben nur, wenn auch die Seele stirbt, wenn die Person das Nein Gottes als Zerbrechen ihrer gesamten Lebendigkeit erfahren muß."18 Gerhard Adler hat die Fragwürdigkeit dieser Ganztod-Theorie klar erkannt: 17 Brugger, a.a.O., S. 264 18 Althaus, a.a.O., S. 111

- 15 - "Konkret aber spitzt sich das Problem zu, wenn man die vielfältigen und gut beglaubigten Erfahrungen der Parapsychologen ernst nimmt . . . Es handelt sich hier keineswegs um vage weltanschauliche Spekulationen, sondern um Fakten, die nach einer Deutung verlangen. Man muß die Frage stellen, ob Theologen eine Ganztod-Theorie entworfen hätten, wenn ihnen diese vielfältigen Materialien bekannt und einer gründlichen Reflexion wert gewesen wären."19 Kennen diese Theologen eigentlich nicht den Ausspruch Jesu: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen." (Mt 10, 28)? Wäre die Kirche in Handlung und Lehre konsequent, müßte sie die modernen Ganztod-Theologen wie früher vor ein Inquisitionsgericht stellen und öffentlich verfluchen, da diese gegen das Dogma "De fide" (DS 1440) vom V. Laterankonzil (1513) verstoßen, in dem eindeutig festgelegt wird, daß der Mensch eine individuelle und unsterbliche Seele besitzt. Die Schriftstellen zur Unsterblichkeit der Seele sind an Eindeutigkeit nicht mehr zu überbieten: Weish. 2, 23; Mt. 10, 39; 16, 25ff.; Lk. 16, 19ff.; 23, 43; Joh. 12, 25; Apg. 7, 59. Es stellt sich hier, angesichts der Wichtigkeit des Problems, ernsthaft die Frage: Handeln die "Ganz-Tod-Theologen" willkürlich nachlässig oder absichtlich? Während die Dogmen zur Ewigkeit der Hölle, auf die noch eingegangen wird, höchst problematisch sind, da sie mit demWesen eines liebenden und barmherzigen Gottes unvereinbar sind, ist jedoch die Existenz der Hölle unbestritten, was auch durch zahlreiche Bibelstellen begründet werden kann. Die dortigen zum Teil sehr anschaulichen und drastischen Schilde-rungen der Hölle führten aber zu einer merkwürdigen Auffassung vom Wesen der Höllenstrafe. "Die Mehrzahl der Väter, die Scholastiker und die meisten neueren Theologen nehmen ein physisches Feuer an, heben aber die Verschiedenheit desselben vom gewöhnlichen Feuer hervor. Das Einwirken physischen Feuers auf rein geistige Wesen erklärt Thomas nach dem Vorbild Augustinus und Gregors als Bindung der Geister an materielles Feuer, das ein Werkzeug der göttlichen Strafgerechtigkeit ist. Die Geister werden dadurch der Materie unterworfen und in ihrer freien Bewegung gehindert." (Ott S. 573) Durch das Konzil von Florenz (1438-1445) wurde die Auffassung des Augustinus von der Kirche übernommen und voll inhaltlich gebilligt: "Niemand außerhalb der katholischen Kirche, weder Heide noch Jude, auch kein Ungläubiger oder ein von der Einheit der Kirche Getrennter wird des ewigen Lebens teilhaftig, vielmehr verfällt er dem ewigen Feuer." (DS 1531) Den Körper mit materiellem Feuer zu quälen, hat die Kirche in der Inquisition millionenfach praktiziert, aber auch für die Seele zur Strafe ein materielles Feuer festzuschreiben, heißt nichts anderes als ihren geistigen, von der Materie substantiell verschiedenen Seinsgrad zu leugnen und sie mit dem Körper auf die gleiche Stufe zu stellen. 19 Adler, a.a.O., S. 179

- 16 - Im Gegensatz zur Theologie der späteren Kirche hat Clemens von Alexandria sehr genau erkannt, daß dieses Feuer nicht materiell, sondern geistig aufzufassen ist: "Wir behaupten, daß das Feuer nicht den Leib (das Fleisch) reinige, sondern die Seelen der Sünder, nicht ein allverzehrendes und gewöhnliches Feuer, sondern ein vernünftiges ist, das durch die Seele hindurchdringt, die durch das Feuer geht."20 Zur Dauer der Höllenstrafe stellt die Kirche fest: ". . . Jene (= die in schwerer Sünde verstorbenen) werden zusammen mit dem Teufel eine ewige Strafe erhalten." (DS 801 vom IV. Laterankonzil 1215 unter Innozenz III.). Ebenso erklärt schon das Symbolum "Quicumque" (ca. 400 n. Chr.): "Die Gutes getan haben, werden ins Ewige Leben eingehen, die aber Schlechtes, in das Ewige Feuer." (DS 76). Das Konzil von Trient (1547) verhängt im Canon 25 über die Leugner der ewigen Höllenstrafe den Bannfluch (DS 1575). Die ewige Dauer der Höllenstrafe belegt der Dogmenkommentar (Ott S. 573) mit insgesamt 14 Schriftstellen. Eine Untersuchung dieser Belege ergibt folgendes Bild: • Von den 14 Stellen ist eine nachweislich falsch (Judith 16, 21), • eine für unsere Frage nichtssagend (Weisheit 4, 19), • eine überlieferungstechnisch unsicher (Mk. 9, 46), da sie im griechischen Vergleichstext bei Nestle-Aland fehlt. Es bleiben 11 Stellen übrig. In diesen erscheint für den Begriff "ewig" • zweimal das Wort "asbestos" (Mt. 3, 12 und Mk. 9, 43), • neunmal das Wort "aionios" bzw. das Substantiv "aion" (Daniel 12, 2; Mt. 18, 8; 25, 41; Judas 7; Mt. 25, 46; 2. Thess. 1, 9; Offenbarung 14, 11; 19, 3; 20,10). "Asbestos" bedeutet laut Lexikon "unauslöschlich, unvergänglich" aber auch "unermeßlich". In den angegebenen Stellen ergeben alle drei Bedeutungen einen Sinn, die Verfasser konnten aber ohne weiteres nicht ein unvergängliches Feuer, sondern ein "unermeßliches Feuer" gemeint haben. Ebenso können die Begriffe "aionios" und das dazugehörige Substantiv "aion" auf verschiedene Arten übersetzt werden. Das Wörterbuch gibt dafür an: "Zeit(dauer), Zeit(raum), Weltzeit, Lebenszeit, Menschenalter, Ewigkeit." Es besteht folglich kein Zwang, von einer Höllenstrafe zu künden, die eine Ewigkeit dauert, sie kann genau so gut auch nur eine "Weltzeit, Lebenszeit oder ein Menschenalter" lang andauern. Zum Begriff "aion" heißt es im Begriffslexikon zum Neuen Testament, a.a.O., S. 1459: "lange Zeit, Zeitdauer, womit sowohl eine genau begrenzte als auch eine unbegrenzte Zeit gemeint sein kann." 20 Clemens von Alexandria, Teppiche VII, 34, 4 zitiert nach Müller, a.a.O., S. 178

- 17 - Der katholische Schriftsteller Papini, a.a.O., S., 310 schreibt: "Die Hölle hat zwar eine immerwährende Dauer, aber im streng irdisch-zeitlichen Sinn, d. h. auf einer niederen Ebene und himmelweit verschieden von der Ewigkeit." Daß diese letztere Begriffsgebung nicht falsch ist, läßt sich sogar sprachwissenschaftlich insofern beweisen, als das gleiche Wort "aion" in der Bibel nicht nur im Sinne von "Ewigkeit", sondern auch im Sinne von "Zeitraum, Weltzeit" verwendet wird. Das Neue Testament kennt über 70 solcher Stellen21, von denen einige angeführt seien: Mt. 12, 13: "weder in dieser, noch in der zukünftigen Weltzeit (= Ewigkeit?)". Gal. 1, 4: "aus der gegenwärtigen bösen Welt (= Ewigkeit?)" Mt. 13, 40: "bei der Vollendung der Weltzeit (= Ewigkeit?)" 1. Kor. 10, 11: "für das Ende der Zeit (= Ewigkeiten?)" Mt. 12, 32: "diese und die zukünftige Welt (= Ewigkeit?) 1. Tim. 6, 17: "in dieser jetzigen Welt (= Ewigkeit?) Eph. 1, 21: "nicht in dieser Zeit (= Ewigkeit?), sondern in der kommenden." Auch die Stelle Mt. 25, 41: "Dann wird er zu denen zur Linken sprechen: Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel bereitet ist und seinen Engeln." eignet sich nicht zur Definition einer ewigen Hölle. Ebenso ist die Übersetzung "Verfluchte" höchst fragwürdig: jenes Wort "Verfluchte", griechisch: kathäramenoi, lateinisch: maledicti, bedeutet auch "Verurteilte". - Die deutsche Wiedergabe "Verfluchte" ist die denkbar schärfste Formulierung. Wo hat Christus eine Verfluchung solcher Art absolut unmißverständlich ausgesprochen? Gegen den klaren Einwand von der Übersetzungstechnik her gibt es auch noch einen gewichtigen sachlichen Grund, der gegen die Ewigkeit einer Hölle spricht: Es ist einfach unglaublich, daß Gott etwas Gutes schafft und dann für einen Teil dieser gut Geschaffenen eine ewige, unvergängliche Höllenstrafe ansetzt. Das fügt sich auch nicht in die Lehre Christi, dessen eigene Worte zum Vergleich herangezogen werden: Joh. 10, 16: "Noch andere Schafe habe ich, die nicht aus diesem Gehege sind; auch diese muß ich führen und sie werden auf meine Stimme hören, und es wird eine Herde sein, ein Hirt." Wenn also Christus alle zusammenführen und leiten wird, kann es keine Draußenstehenden, Gottfernen mehr geben. Ebenso sagte er: Joh. 6, 39: "Das ist der Wille dessen, der mich sandte, daß ich von allem, was er mir gab, nichts verloren gehen lasse, sondern es auferwecke am Jüngsten Tage." Ganz anders erscheint aber Gott in der kirchlichen Darstellung: "Aufgrund der Offenbarungslehre ist anzunehmen, daß der Wille der Verdammten unbeweglich im Bösen verhärtet und darum für eine wahre Reue unzugänglich ist. Der Grund der Verhärtung liegt darin, daß Gott dem Verdammten jede weitere Gnade versagt." (Ott S. 574) 21 Vergl. Schmoller, Handkonkordanz zum griechischen Neuen Testament, a.a.O., S. 20f. Stichwort "aion"

- 18 - Man kann sich getrost dem evangelischen Bischof Schjelderups anschließen, wenn er schreibt: "Ich bin froh, daß am Jüngsten Tag nicht Theologen und Kirchenfürsten, sondern der Menschensohn uns selbst richten wird. Und ich zweifle nicht daran, daß die göttliche Liebe und Barmherzigkeit größer ist als die, die in der Lehre von der ewigen Pein in der Hölle zum Ausdruck kommt . . . Für mich gehört die Lehre von der ewigen Höllenstrafe nicht in die Religion der Liebe."22 Zu den Lehren von den letzten Dingen zählt auch das wichtige Thema von der "Auferstehung des Fleisches" oder der "Auferweckung der Toten" bei der Wiederkunft Christi. Dazu sagen die Dogmen: "Am Ende der Welt . . . (kommt) Christus in Herrlichkeit, um zu richten die Lebenden und die Toten." (DS 150 von 381 n. Chr.) "Der Zweck des Wiederkommens (Christi) ist die Auferwek-kung der Toten und die gerechte Vergeltung." (Ott S. 579) Auch hier mögen weitere Dogmen sprechen: ". . . Bei seiner Ankunft müssen alle Menschen auferstehen mit ihren Leibern und sie werden Rechenschaft über ihre Taten ablegen." (DS 76, Auszug aus dem Symbolum "Quicumque" ca. 400 n. Chr.) Die Synode von Toledo/Spanien (400 n. Chr.) hat daraus einen Bannfluch abgeleitet: "Wenn einer sagt und/oder glaubt, daß die menschlichen Leiber nach dem Tod nicht auferstehen werden, der sei verflucht." (DS 200). Um alle Mißverständnisse dazu auszuschließen, erklären weitere Dogmen eindeutig: "Wir müssen am Jüngsten Tag in dem Fleisch auferstehen, in dem wir jetzt leben." (DS 72 von 400, außerdem DS 684 von 1053, DS 797 von 1208, DS 801 von 1215, DS 854 von 1274, DS 1002 von 1336 n. Chr.) Im Dogmenkommentar werden zahlreiche Schriftstellen23 angeführt, die die "Auferstehung des Fleisches" bezeugen sollen. Jedoch sprechen die Texte in Griechisch nicht von der Auferstehung des "Fleisches", also des Leichnams, sondern von der Auferstehung der "Toten". Tote sind jedoch, wie oben festgestellt wurde, im biblischen Sprachgebrauch auch "von Gott Getrennte", nicht nur "Verstorbene". Paulus bringt laut Römerbrief eine einzige Stelle, die eine Auferstehung des physischen Körpers nahelegen könnte: Röm. 8, 11: "Wohnt aber der Geist dessen in euch, der Jesus von den Toten auferweckte, so wird er, der Christus Jesus von den Toten erweckte, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen in euch wohnenden Geist." Gegen diese Behauptung sprechen aber zwei andere Paulusstellen: 1. Kor. 15, 50: "Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben." 1. Kor. 15, 44: "Gesät wird ein sinnenhafter Leib, auferweckt ein geistiger Leib." 22 Sartory, a.a.O., S. 186 23 Mt. 22, 28-30; Lk. 14, 14; 20, 35f.; Joh. 5, 21; 6, 39f.; Apg. 4, 2; 17, 23; 23, 6; 24, 15; 26, 23; 1. Kor. 15, 20-57; 2. Kor. 1, 9; 4,14; Phil. 3, 11; 3, 21;1. Thess. 4, 14; 4,16; Hebr. 6, 1 f.; Offenb. 20, 12

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