Reinkarnation - eine urchristliche Lehre

- 22 - Die Stelle in Mt. 20, 28 (ebenso wörtlich bei Mk. 10, 45) "so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele" reißt die Kirche aus dem Zusammenhang, um damit eine biblische Begründung für die Legitimation des Meßopfers zu finden. Aus dem Kontext ergibt sich jedoch ein ganz anderer Sinngehalt. Christus spricht vom gesetzwidrigen Machtgebrauch der Herrscher gegenüber ihren Untertanen. Der wahre große Mensch vor Gott sei aber klein und ein Diener der Menschen, ebenso wie Jesus selbst aus Liebe diente bis zu seinem Tod. Die Auffassung, daß Jesus sein Leben als "Lösepreis" und zur "Loskaufung" hingibt, geht eindeutig auf Paulus zurück. Von den insgesamt 14 Paulusstellen sei nur eine einzige angeführt, die zeigt, wessen Geist das Dogma trägt: "Sie werden geschenkweise gerechtfertigt durch seine Gnade mittels der Loskaufung durch Jesus Christus." (Röm. 3, 24) (Ott S. 224) Die Loskaufungstheorie entspringt dem römischen Recht, mit dem Paulus vertraut war. Er weitet diese Auffassung noch aus, wenn er schreibt: Röm. 5, 10: "Da wir Feinde waren, wurden wir mit Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes." Der Tod Christi bewirkte also die Wiederherstellung des ursprünglichen Kindschafts- und Freundschaftsverhältnisses zu Gott. (vergl. Ott S. 224) Wenn ein ursprünglicher Zustand wiederhergestellt werden soll, muß er einmal vorhanden gewesen sein. Hat tatsächlich zwischen allen Menschen und Gott ein echtes Kindschaftsverhältnis vorgelegen, wenn sie doch bei der Zeugung aus dem Nichts geschaffen und in einen sündigen Körper gebannt wurden? Hätte es nicht genügt, die sündigen Stammeltern loszukaufen? Wozu diese Millionen Jahre lang andauernde Menschheitsgeschichte voll Blut und Tränen? Wurden hier nicht persönlich unschuldige Menschen äonenlang gnadenlos ihrem Schicksal überlassen? Und bewirkte die Erlösungstat von Christus vor 2.000 Jahren etwa die Behebung der Mißstände auf dieser Erde? Ging das "Schicksal" nicht weiterhin blind und ungerecht mit zahllosen Menschen um, gerade auch mit Christen? Jedenfalls läßt sich diese Erlösungstheorie mit der Erbsündenlehre und der Prädestinationslehre (Schicksalsvorher-bestimmung) nicht vereinbaren. Ihre aktuelle Bedeutung gewinnt die paulinische Loskaufungs- und Versöhnungstheorie besonders durch die heute stark vertretene Lehrmeinung von der "stellvertretenden Genug-tuung Christi". "Unter Genugtuung im allgemeinen versteht man die Befriedigung einer Forderung. Im engeren Sinn versteht man darunter die Wiedergutmachung einer Beleidigung. . . Wird die Genugtuung nicht vom Beleidiger selbst, sondern von einem anderen an dessen Stelle geleistet, ist sie stellvertretend" (Ott S. 225). Die dem Rechtsempfinden der römischen Jurisprudenz abgeleitete Norm des römischen Sachrechts wurde vom materiellen Bereich, wo sie durchaus ihre Berechtigung hatte, auf geistiges Gebiet übertragen: Gott, so sagt man, wurde unendlich beleidigt durch die Sünde der Stammeltern, also muß er auch wieder versöhnt werden. Das Konzil von Trient (1547) formulierte dazu:

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