meinerseits bestehen zu Recht. Ulli ist ein friedfertiges, ein liebevolles und fröhliches Menschenkind. Sie hat großen Respekt vor den Menschen ohne sich unterwürfig zu verhalten, ist tolerant und akzeptiert sie in dem Maße, wie sie es für selbstverständlich empfindet. In ihrer Art ist Ulli etwas Besonderes für mich, denn sie verstrahlt Heiterkeit und Frohsinn, wenn auch so manches Mal heller Zorn aus ihren Augen blitzt. Ob sie den Brief, die an sie gerichtete Botschaft wohl verstehen wird? Meine Skepsis ist berechtigt, denn die Worte kommen aus dem Mund Marias, jener Maria, die auf dem Marienbild in der Hand Paulas erwähnt wird. Ulli hält nichts auf Religionen, sie ist ein realistischer Mensch und glaubt an das, was sie sieht. Obwohl, wenn es da „oben“ noch etwas gibt, ist es für sie ebenso in Ordnung. Nachdenklich stehe ich auf, die beschriebenen Seiten in meiner Hand. Ich will sie ihr jetzt vorlesen. Endlich lese ich ihr Marias Botschaft vor. Anfangs schaut Ulli sehr ungläubig auf mich, dann aber steigen Tränen in ihre Augen. Auf diese Aussagen über ihre Großmutter war sie nicht gefasst, ich im Übrigen auch nicht. Es ist eine seltsam wunderbare Situation. Ulli hält ihre Augen geschlossen, während ich den Brief ein zweites Mal vorlese. Sie saugt die Worte förmlich in sich hinein, klammert sich an den gesprochenen Sätzen fest. Nach und nach versteht auch sie: „Ich bin meine eigene Oma, das ist einfach herrlich, das ist großartig, das ist schön.“ Beinahe seufzend kommen diese Worte von ihren Lippen. Ich schweige, gebe ihr Zeit, das eben Erkannte voll anzunehmen. Wiederum sehe ich Paulas Gesicht in Ullis Zügen. Glücklich sieht sie aus – Ullis Oma. „Endlich erreicht“, strahlen die fröhlichen Augen Paulas mich an, um dann wieder zu entschwinden. Ich habe sie in der Folge auch nie wieder in Ullis Gesicht gesehen. Für mich sind sie zum damaligen Zeitpunkt endlich „eins“ geworden: Ulli ist Paula und Paula ist Ulli. Eine eigenartige Stimmung von Vollendung liegt in der Luft und hüllt Ulli wie in einen sicheren Schutzmantel. Ulli ist mehr als zufrieden. Nun ist ihre Suche endgültig beendet, sie hat endlich ihre wahren Wurzeln gefunden. „Weißt du“, sagt sie im Anschluss an dieses Erleben zu mir: „Weißt du, jetzt geht es mir gut, ich kann dieses Kapitel meines Lebens abschließen. Aber eines muss ich unbedingt noch tun. Ich muss meinem Vater klarmachen, dass ich seine Mutter sehr gut kenne.“ Sie lacht fröhlich kichernd auf: „Na, der wird vielleicht Augen machen – und meine Mutter erst!“ „Recht so, Ulli“, denke ich mir, „Wissen muss man weitergeben und dein Wissen ist ein Wissen der besonderen Art!“
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