Hinterbliebenen. Auch in Ullis Fall will ich das tun, muss ich es erst einmal auf diese Weise tun. Ich weiß nämlich ganz genau die Worte, die Mathias, Ullis Sohn sagen wird: „Das ist ein Hammer, das ist kaum zu glauben!“ Und er hat recht, denn der Inhalt dieses Briefes ist so überraschend, dass ich erst einmal tief Luft holen muss, bevor ich ihn endgültig vorlese. Ich hatte wieder einmal eine meiner richtigen Vorahnungen: Ich wollte nämlich die negativen Aussagen über Ullis Großvater von Anfang an nicht so einfach akzeptieren. Warum wusste ich allerdings selbst nicht genau. Nur eines zur Wiederholung: Ich kann es nicht leiden, ich mag und will es einfach nicht, wenn über einen Menschen geurteilt wird, dem es selbst nicht mehr möglich ist, sich zu verteidigen. Darum wollte ich den Kontakt zu Karl, ich selbst wollte die Wahrheit über sein Leben mit Paula und den Kindern erfahren. Ihm dadurch die Gelegenheit geben, sich zu wehren, sich zu erklären, selbst Stellung zu nehmen und die Wahrheit um seine Vergangenheit aufzudecken. Genau das ist durch diese Botschaft endlich geschehen. Mein Wille hat sich durchgesetzt. Zum Vorteil von allen? In Wien sagt man: Schauen wir einmal, was wir sehen werden. Für mich ist es ein gutes Gefühl, ein sehr gutes Gefühl. Es ist schön, ein derartiges Unterfangen in die Realität umsetzen zu können. Das Eigenartige, das Besondere an diesem Brief ist, dass Ullis Großvater Karl sowohl sie als Enkelin als auch als seine Ehefrau Paula anspricht. Er weiß also, dass ein Großteil der Seele Paulas in Ulli wiedergeboren ist. Zu dieser Erkenntnis ist er jedoch erst nach seinem eigenen Tod gelangt, da aber auch zu einem viel späteren Zeitpunkt, denn er hat Paula vergeblich in der anderen Welt gesucht und nirgends gefunden. Irgendwann hat er sie in seiner Enkeltochter wiedererkannt, konnte jedoch keinen Kontakt zu ihr aufnehmen. Bis zum heutigen Tag bedingt durch meine Fähigkeiten. Ulli ist erschüttert, ich sehe ihr das an. Einige Zeit schweigen wir gemeinsam. Karls Botschaft berührt uns beide. Dann aber bricht es aus Ulli endlich heraus: Ihr Großvater war im Krieg Kommunist und verbrachte selbst einige Jahre in einem Konzentrationslager. Er war politisch unerwünscht und somit in ständiger Lebensgefahr. Es ist ihm tatsächlich nicht möglich gewesen, sich um seine Kinder zu kümmern, da ja auch deren Mutter, seine Frau Paula, durch den NaziTerror gewaltsam von der Familie getrennt worden ist. Dass die vier Söhne als Roma-Zugehörige körperlich unbeschadet überlebt haben, ist für mich wie ein Wunder. Sicherlich gibt es auch dafür eine Erklärung, diese müsste ich nur noch finden.
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