Zeilen aus dem Jenseits

Alle diese Fragen hat sich Ulli bereits zurechtgelegt. Sie denkt diesmal an so eine Art „Fragestunde“ mit ihrem Opa. Das findet sie sinnvoll, denn dann wird wirklich alles beantwortet, nichts ausgeschlossen und auch nicht die kleinste Kleinigkeit vergessen. Ich selbst bin sicherlich genauso gespannt wie Ulli und Mathias. „Die Stunden mit dir sind besser als der Freitagabendkrimi im Fernsehen“. Ich höre noch die Worte der beiden, die mir genau gegenübersitzen. Dann jedoch bin ich bereit, Karls Worte an- und aufzunehmen: Hallo, meine Liebe! Danke, dass du mir ein gutes Andenken bewahrst, das tut mir gut und hilft, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Ich weiß, dass ich viele, sehr viele Fehler gemacht habe. Aber dieses Wissen habe ich erst nach dem Tod erkannt, eigentlich erst jetzt. Viele Erkenntnisse kommen viel zu spät, aber es ist gut möglich, dass die Taten in der richtigen Ordnung waren, weil es unser Schicksal war und ist. Du verstehst mich sicher, weil wir uns geliebt haben und auch jetzt noch lieben. Sonst wären diese Worte nicht möglich. Sie, unsere Enkeltochter, trägt dich in sich, aber es ist so schwierig mit ihr zu reden, weil sie zu jung ist. Aber ich weiß, dass sie durch dich mich verstehen lernen wird, auch wenn sie viele meiner Handlungen nicht akzeptieren kann oder will. Als wir uns kennengelernt haben warst du viel zu jung, um eine Familie zu gründen, und ich habe dir keine Sicherheiten bieten können – das war schon die schwierigste Situation. Aber du wärst auf jeden Fall aus deiner Familie „ausgebrochen“ – du wolltest immer frei sein, und genau das ist dir nie gelungen. Ich war frei, aber ein Ehemann und Vater zu sein ist mir nie gelungen. Unsere Zeit war ungewiss, alle Menschen hatten Angst, der eine Krieg war vorbei, der nächste stand vor der Tür. Ich wollte dich schützen – dies ist mir nicht gelungen, weil du „frei“ sein wolltest. Schuld hat keiner von uns, aber ich habe mich ein Leben lang schuldig gefühlt. Ich habe dich verloren, du bist verloren gegangen – wo hätte ich dich suchen sollen, wo ich doch geahnt habe, was mit dir geschehen ist. Nun bist du noch einmal ein Mensch und ich kann so schwer mit dir reden. Rund um dich ist so viel Hass und Gemeinheit aufgebaut. Und es sind Menschen, die von der damaligen Wirklichkeit keine Ahnung haben. Verurteilen, ja, das können sie, das ist aber auch schon alles. Ich gebe mir große Mühe, sie verstehen zu können, aber ich konnte es als Mensch nicht und jetzt schon gar nicht. Wenn du in deinen Träumen bei mir bist, dann ist es immer

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