Zeilen aus dem Jenseits

diese junge Frau, du bist so sicher in ihr verwahrt, dass ich dich nicht herausfiltern kann. Aber ich weiß, dass du da drinnen bist, dass du in Sicherheit leben darfst und dass du – durch sie – mich weiter liebst. Auch wenn es die Liebe einer Enkelin ist. Zigeuner haben eine eigene Lebensform und eine eigene geschichtliche Entwicklung. Zumindest zu meiner Zeit war das so üblich. Sie waren eine Kaste für sich und niemandem – wirklich keinem – war der Zutritt in ihre Kreise gestattet. Deine Großmutter war ein sehr temperamentvolles und eigensinniges Wesen. Sie hat sich – trotz ihres unbändigen Freiheitswillens – streng an die Rituale ihrer Sippe gehalten. Und Frauen war es verboten, bei der Verfluchung verboten, lesen und schreiben zu lernen oder zu können. Sie hatten Symbole, aber die galten nur für ihren Gebrauch. Deine Großmutter hatte eine Wahnsinnsangst, die Gebote ihrer Sippe zu brechen. Und – der Fluch ihrer Sippe ist über sie gekommen. Verstehst du das? Ich grüße dich in Liebe! Meine Erwartung hat sich also nicht erfüllt. Ebenso ergeht es Ulli. Mathias schweigt wie immer. Er steht für seinen Ur-Opa ein und ist mit allem einverstanden. Ullis Fragen haben sich erübrigt. Ich lese den Brief laut vor in der Art, wie ich es immer tue. Zuerst schnell und flüssig, denn ich will mir den Inhalt ganz genau vergegenwärtigen. Dann noch einmal, da aber langsam Satz für Satz. Karl versucht immer noch, sich für sein Verhalten in seinem vergangenen Erdenleben zu rechtfertigen. Immer wieder schildert er Paula die Situationen ihrer Gemeinsamkeit und gibt auch noch Erklärungen dazu ab. Es ist also seine Ehefrau, mit der er gesprochen hat, während ich seine Worte zu Papier gebracht habe. Er will unbedingt ihre Verzeihung, ihre Vergebung für sein damaliges Verhalten. Gleichzeitig sagt er ihr jedoch, wie schwer es für ihn gewesen ist, sein Leben mit ihr und den Kindern zu teilen. Zwei Weltanschauungen sind in der Ehe von Paula und Karl förmlich aufeinandergeprallt. Ihm unbekannte Rituale einer blutjungen Roma-Ehefrau und Mutter und seine Vorstellungen von Freiheit und erlernter Männlichkeit. Letztendlich geschah jedoch nur das, was Karl in der damaligen Zeit unter allen Umständen verhindern wollte. Seine Familie wurde brutal getrennt und konnte nie wieder zueinanderfinden. Das beinhaltet der eine Teil der Botschaft. Der

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