LINDA – KALTES MUTTERHERZ Ende April 2006. Linda sitzt vor mir. Sie will endlich mit ihrer verstorbenen Mutter in Kontakt treten. Es sind viele Fragen offengeblieben, als die Mutter verstorben ist. Linda will endlich Antworten bekommen. Sie will reinen Tisch machen, erklärt sie mir. Ich bin einverstanden und gehe mental auf die Suche nach Lindas Mutter. Diese meldet sich relativ schnell und beginnt mir auch wie selbstverständlich zu diktieren: Hallo mein Kind! Es ist lange her, dass du meine Tochter warst. Aber ich weiß immer noch, dass ich dich nie so geliebt habe, wie ich es hätte müssen. Du warst ein liebes, gefälliges Kind, aber du warst mir so fremd mit deiner Art. Eigentlich wollte ich immer einen Sohn, denn eine Frau hat die Pflicht, dem Mann einen Erben zu schenken. Und ich war so entsetzt, als du ein Mädchen warst und noch dazu mein einziges Kind. Dein Papa hat immer so getan, als ob du sein Heiligtum bist und ich habe geglaubt, er tut das für mich, weil ich keinen Buben auf die Welt gebracht habe. Es waren schlimme Jahre für mich, weil ich mich mit dir nie abfinden konnte. Ich habe auch noch zwei oder drei Fehlgeburten gehabt, aber ich glaube nicht, dass du das weißt. Es war immer eine so große Hoffnung, die zerstört worden ist. Und du bist am Leben geblieben – ein Mädchen! Bei meinem Tod habe ich dann erfahren, welch ein Missverständnis mein Leben war, weil du mich trotz allem respektiert hast und der Papa dich wollte. Es war ihm egal, ob es ein Mädchen war oder nicht. Nur ich habe ihm das nicht abgenommen. Ich war halt viel zu misstrauisch allen Menschen gegenüber, speziell gegenüber den Männern, weil Männer viel Leid über Frauen bringen. Dabei hätte ich im Laufe meines Lebens alles überdenken können. Es war nicht leicht, mein Leben, aber auch nicht so schlimm, wie ich es geglaubt habe.
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