Zeilen aus dem Jenseits

Kindheit an verlangt und erwartet. Der Vater war anders zu mir. Bei ihm fühlte ich mich behütet, geborgen und geliebt. Er gab mir die Liebe, die ich bei meiner Mutter so sehr vermisst habe. Wenn Papa da war, war meine Welt in Ordnung und ich wusste, dass er mich wirklich liebhatte. Jedoch gegen die Kälte, die meine Mutter ausgestrahlt hat, war auch er machtlos. Leider ist Papa lang vor meiner Mutter „heimgegangen“. Von diesem Tag an war ich nur noch „Luft“ für sie. Eine gut funktionierende „Hausangestellte“ mit vielen Pflichten. Mutter begann, ihr Leben zu genießen – ich musste ihre Launen zu Hause ertragen. Linda schaut mich an. Ich spüre, dass diese Vergangenheit noch sehr lebendig in ihren Erinnerungen ist – obwohl schon so viele Jahre seit dem Tod ihrer Mutter vergangen sind. Der Brief ist lediglich die Bestätigung der Wahrheit, mit der sie beinahe ihr ganzes Leben leben musste. Die leise Hoffnung, dass doch noch liebevolle Worte aus der anderen Welt hätten kommen können – diese Hoffnung platzt wie eine Seifenblase. „Kann man nichts machen! Es ist so, wie es immer war! Mutter will mich noch immer nicht. Darum werde ich dieses Kapitel meines Lebens endlich abschließen.“ Resigniert zuckt Linda mit den Schultern. Sie ist enttäuscht, das sieht man ihr an. Aber sie gibt mir zu verstehen, dass sie mit dieser Enttäuschung gut umgehen kann. All die vergangenen Jahre musste sie auch damit leben. Ich habe tiefes Mitgefühl für Linda. Eine gute, liebevolle Freundin hat mir vor vielen Jahren gesagt: „Kinder, die ohne Liebe aufwachsen müssen, sind die ärmsten Kinder der Welt!“ Anfang Mai 2007. Linda sitzt wieder vor mir mit dem Foto ihrer Mutter in der Hand. Sie will doch noch einmal wissen, wie es ihrer Mutter in der anderen Welt jetzt geht. Sie erhofft sich Antworten auf die Fragen, die sie ihrer Mutter im Laufe dieses Jahres laut und deutlich gestellt hat. Außerdem hat sie ein Anliegen an die Verstorbene, von der sie sich eine Entscheidung erhofft. Ich beginne zu schreiben, denn Lindas Mutter ist sehr gegenwärtig. Sie diktiert mir folgenden Brief:

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1MzY3