bist jetzt in einem Alter, wo wir uns vielleicht bald wiedersehen und da wäre es schön, wenn wir uns die Hände reichen könnten. Wir zwei als Menschen, nicht als Mutter und Tochter. Du hast noch viele Erdenjahre, da lohnt es sich, gedankliche Veränderungen schon als Mensch zuzulassen. Die Werte verschieben sich hier auf jeden Fall. Familienmitglieder gibt es dann nicht mehr. Nur mehr Seelen, die als Menschen einen großen Teil der Zeit auf der Erde miteinander gelebt haben. Jeder auf seine Weise, manchmal miteinander, manchmal nebeneinander, oft auch gegeneinander. Von mir aus will ich Frieden halten, aber du sollst mir all deinen Frust und deine Enttäuschungen sagen, denn ich lerne dadurch meine Fehler kennen. Und es ist gut so, denn besser jetzt und so als niemals. Es stimmt, ich habe dir als Mutter keine Liebe entgegengebracht. Aber ich finde, du bist ein tüchtiger Mensch und ich bin im Prinzip stolz auf dich, denn: WIR HABEN EINMAL ZUSAMMENGEHÖRT. Bitte, sei nicht böse. Alles was geschehen ist, war keine böse Absicht. Es war leider so, wie es war. Ich grüße dich als Friederike. Diese Zeilen bekam Linda Ende September 2009 von ihrer Mutter mit Hilfe meiner Tätigkeit als „Schreibkraft“. Aufgeschrieben habe ich diese Geschichte Anfang Juni 2010. Bis zum heutigen Tag hat Linda keinerlei Kommentar zur Meinung ihrer Mutter getan. Es kam lediglich ein kurzer Satz über ihre Lippen: „Wo sie recht hat, hat sie recht!“ Diese Worte bezogen sich auf die Aussagen der Mutter über Lindas Ängste. Nicht mehr und nicht weniger. Linda ist eine aufgeschlossene, lustige Frau mit großen körperlichen Problemen. Dieser Zustand verdirbt ihr weder ihre Lebenslust, noch ihre Lebensfreude. Doch über ihre Mutter und ihre Gemeinsamkeiten will Linda nicht einmal mehr sprechen. Trotz allem jedoch hat sie ihre Mutter bis zu deren Tod betreut und für sie gesorgt. Aus diesem Grund macht sich Linda keine Vorwürfe, irgendetwas in Bezug auf ihre Mutter verabsäumt zu haben. Wenn das Gespräch auf genau dieses Thema kommt, wirkt sie verschlossen und ihre sonst so fröhlichen Augen strahlen Kälte und Unverständnis aus. Ein Umstand ist ganz sicher: Sie hat ihrer Mutter niemals die lieb- und freudlose Kindheit und Jugend verziehen. Sie tut es bis heute nicht! Sie hat in den späteren Jahren für die Mutter das getan, was auch für die Mutter ein ganzes Leben
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