Zeilen aus dem Jenseits

ELFRIEDE – Dornröschen tanzt nicht mehr … Leise und zärtlich wiegt sich Dornröschen zu einer fernen, lieblichen Musik. Es hält die Augen geschlossen – gleich kommt der Prinz und … „Hör sofort auf mit diesem blöden Getue und setz dich zu deinen Schulaufgaben. Du bist sowieso zu nichts sonst zu gebrauchen als …!“ Elfriede zuckt vor Entsetzen zusammen. Da ist sie wieder, die schrille Stimme der Mutter, die sie seit vielen Jahren förmlich verfolgt. Beinahe wäre Elfriede eingeschlafen, beinahe wäre es ihr gelungen, aber …. Wieder eine schlaflose Nacht, wieder Albträume, wieder der Griff zu den hilfreichen Tabletten. „Warum, warum um Gottes Willen, warum kann ich einfach nicht vergessen so wie all die vielen anderen Menschen? Warum verfolgt mich meine Kindheit seit einer halben Ewigkeit? Es ist doch schon so lange her und so viele Jahre sind vergangen seit Mutters Tod. Und trotzdem steht sie immer noch neben mir und beeinflusst mein Bewusstsein!“ Elfriedes Verzweiflung steigt, sie weiß, dieses Gefühl wird eine Panikattacke. Mühsam klettert sie aus dem Bett. Mitternacht ist längst vorbei. Die Tabletten sind in der Küche, im Augenblick beinahe unerreichbar. Trotzdem, es muss sein! „Ich brauche Hilfe, ich brauche dringend Hilfe! Sonst werde ich noch verrückt!“ Voller Angst und Grauen denkt sie an den nächsten Tag. „Würde Mutter noch leben, wäre heute ihr Geburtstag. Und zu ihrem Grab muss ich auch noch! Das gehört sich doch so und außerdem, sie hätte es so gewollt. Ja, gewollt und befohlen, nicht gewünscht oder erbeten!“ Elfriede ist wie gelähmt, fühlt sich irgendwie nicht zugehörig.Was geschieht da bloß mit ihr? Unsicherheit in den Augen wankt sie ins Wohnzimmer und fällt auf einen Sessel nieder. Ja, sie fällt förmlich auf die Sitzfläche des Sessels. Vom einfachen Niedersetzen kann keine Rede sein. Ihr Blick gleitet hinüber zu dem großen, bequemen Lehnsessel. Ja, dort sitzen zu dürfen ist ein Privileg. Aber nicht ihres, dieses Privileg ist das der Mutter. Mutter ist immer in dem Lehnsessel gesessen. Von diesem Platz aus hat sie auch ihre Befehle erteilt und Elfriede ist nach ihren Anweisungen hin- und hergesprungen. „Um Mutters Wünsche zu erfüllen“ redet sie mit sich selbst. „Mutter hatte immer Wünsche, die sofort erfüllt werden mussten, sonst …“ Elfriede zieht die Schultern hoch, sie

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