fröstelt. Unangenehm ist ihr diese Situation, sehr, sehr unangenehm. Mutter ist doch schon seit Jahren tot … hilflos zuckt sie wieder mit den Schultern. Grau in grau fühlt sich dieser Moment an. Wieder blickt sie zu dem Lehnsessel hin … sitzt da nicht Mutter, grau in grau? Aber …, aber sie ist doch tot und begraben … Für Elfriede hat diese Szene etwas Unheimliches. Sie fühlt mit einem Mal, dass dieses Unheimliche nach ihr greift. Sie springt vom Sessel hoch und läuft, nein, sie rennt in die Küche und weiter ins Bad. Sie rennt wie vor sich selbst davon. Das Badezimmer ist endlich die Rettungsinsel für sie. Geschafft – dem Himmel sei Dank! Total erschöpf hebt Elfriede den Kopf. Sie stützt sich mit beiden Armen am Rand der Waschmuschel ab und starrt wie benommen in den Spiegel vor sich. Zwei verzweifelt blickende Augen starren ihr ebenfalls entgegen – ihre eigenen Augen! Sie sind immer noch schön, diese Augen, obwohl sie sehr, sehr viel im Leben gesehen haben. Und das Gesehene war nicht immer leicht zu ertragen. Das Leben, ihr Leben hat sie ganz schön durchgebeutelt, das sagen ihr die Augen. Da steht sie nun, die Frau, deren Name Elfriede ist, die Frau, die durch ihr eigenes Können und Wissen Karriere gemacht hat. Die einen für sie wundervollen Beruf hatte, die lustig ist und gerne mit Menschen Kontakt hält. Eine stattliche, eine sehr gutaussehende, elegante Frau im fortgeschrittenen Alter. Ein verantwortungsbewusster, hilfsbereiter und liebenswerter Mensch. Eine gute Freundin, tatkräftig und selbstbewusst. Eine Frau, deren Bekanntschaft man gerne macht. Aber da drinnen, im Wohnzimmer, im bequemen Lehnsessel, hockt augenscheinlich der Geist der toten Mutter! „Ich brauche Hilfe“, sagt Elfriede zu ihrem Spiegelbild, „ich brauche dringend Hilfe, ich muss etwas erkennen, ich MUSS etwas begreifen. Ich bin doch weder verblödet noch verrückt!“ Sie nimmt ein paar Tabletten aus der Pillendose. Die MUSS sie jetzt schlucken, sonst wird sie wirklich noch verrückt! Sie bleibt noch ein paar Minuten vor dem Spiegel stehen, aufrecht und sieht sich dabei unverwandt in die Augen. Langsam wird sie ruhiger, sie erkennt es an ihrem Blick. Dann dreht sie sich um und geht langsam zurück ins Schlafzimmer. Sie hat nur noch einen Wunsch: Ins Bett und schlafen, bitte, ein klein wenig schlafen, nur ein wenig … Scheu schaut sie nach dem Lehnsessel – da ist niemand, da ist nichts! „Ich bin eben doch verrückt“, denkt sie resigniert „und es wird auch wahrscheinlich niemanden geben, der mir helfen kann. Und zum Grab muss ich auch noch. Heute ist ja ihr Geburtstag, die Blumen samt der Kerze sind ein obligates MUSS…Mutter hats gut, der tut nichts mehr weh und verrückt
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