Zeilen aus dem Jenseits

Elfriedes Mutter wird noch zorniger. Ja, es hat den Anschein, als ob der Zorn sie förmlich auffrisst. Da gibt es jemanden, der ihr zu widersprechen wagt, der sie zurückweist. Das ist ihr schon lange nicht mehr passiert – was ich mir eigentlich einbilde. Wer ich denn bin, dass ich so mit ihr umspringe? Ich bleibe ganz ruhig und gebe ihr noch deutlicher zu verstehen, dass sie sich nach meinen Regeln richten muss. Sie habe keinerlei Macht über mich und ich habe keinerlei Angst vor ihr. Obwohl – die Situation ist nicht angenehm, ich fühle mich gar nicht so sicher, ob Elfriedes Mutter meinen Willen akzeptieren wird. Jedoch – die Mutter erklärt sich schlussendlich doch einverstanden und bittet mich, ja, sie bittet mich, mit ihrer Tochter in Kontakt treten zu dürfen. Doch weder der Wunsch der Mutter noch mein Wille sind dazu ausschlaggebend. Elfriede muss nun entscheiden, ob sie jetzt mit ihrer Mutter tatsächlich Kontakt aufnehmen will. Elfriede zögert ein wenig, dann atmet sie tief durch und sagt: „Es war mein Wunsch, deshalb bin ich da, also, bitte, lass sie endlich reden!“ Ich ersuche Elfriede mit mir Platz zu tauschen und setze mich in meinen Lehnsessel. Der Schatten von Elfriedes Mutter ist mir jetzt gegenüber. Elfriede selbst sitzt links von mir. Langsam schließe ich meine Augen und tauche in die Gegenwart der toten Mutter. Ich spüre nichts mehr, ich fühle nichts mehr, ich konzentriere mich ganz auf die Worte, die da kommen werden. Ich will sie nachsprechen – diesmal will ich nicht schreiben. Denn über eines bin ich jetzt schon sicher: Ich bin bestens vorbereitet auf eine lange Serie von Anklagen und Vorhaltungen, von Vorwürfen und Zurechtweisungen. Und genau das geschieht wie heruntergespult. Doch nach ein paar von mir wiedergegebenen Sätzen geschieht etwas für mich Eigenartiges: Elfriede spricht mit mir mit. Gleichzeitig mit den Worten der toten Mutter kommen Elfriedes Worte – es klingt wie ein Duett der üblen Art. Ich öffne meine Augen, sehe verwundert auf Elfriede. Sie spricht ohne Erregung weiter, gleichzeitig mit der Mutter. Ich bin verstummt. Derartiges ist mir noch nie widerfahren. Mutter und Tochter halten die gleiche „Moralpredigt“ – wie oft hat Elfriede, hat die kleine Elfi, das alles wohl schon gehört? Jedes einzelne Wort hat sich in Elfriedes Verstand förmlich eingebrannt. Fassungslos höre ich den beiden zu. Dann aber unterbreche ich sehr energisch und frage Elfriede, wie lange sie das noch so hinnehmen will. Elfriede zuckt mit den Achseln, sie weiß um die Dauer solcher Tiraden. Die tote Mutter spricht jedoch unbeirrt weiter und hält an ihren Vorwürfen fest. Da bitte ich meine geistigen Freunde um Hilfe, um rasche, wirksame Hilfe. Daraufhin wird der Geist der Mutter weggebracht. Ich spüre, dass er nicht so schnell wiederkommen wird. Es geht alles sehr schnell, wie ein Film läuft die Situation vor meinen Augen ab. In der geistigen Welt gibt es ja keinen Zeitbegriff. Ich verstehe

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