Elfriedes Kummer. Das Geschehene war ja jetzt kaum auszuhalten. Wie musste Derartiges erst in der Realität des Lebens wirken! Elfriede sitzt da wie versteinert: „Und ich dachte, sie wäre anders geworden. Ich habe sie doch bis zum Tod bei mir gehabt und gepflegt. Ich habe alles für sie getan – wirklich alles!“ Ich nicke Elfriede zu und weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll. Derartige Sätze höre ich des Öfteren von meinen Klientinnen, doch bei Elfriede trifft es mich besonders hart. Eine große Hoffnung ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Dennoch spüre ich ganz deutlich: Elfriede ist endlich frei! Nun hat sie endlich Ruhe in ihrer Wohnung. Ihre Panikattacken haben sich in einen leicht „nervösen Zustand“ gewandelt (ihre Worte). Anstelle der so oft stattfindenden Migräneanfälle verspürt sie ab und zu lediglich Kopfschmerzen. Kein Vergleich mehr zu früher (ebenfalls ihre Worte). Sie ist zufrieden mit der gegebenen Situation und beginnt endlich ihr Leben nach ihren Wünschen einzurichten. Sie kauft sich ein kleines Häuschen auf dem Lande und verbringt sehr viel Zeit dort. Und, was so wichtig für sie ist, sie ist nicht mehr allein. Ein scheuer, zärtlicher, kleiner, halbverwilderter Kater namens „Mutzliputz“ richtet sich in ihrer Gegenwart häuslich ein und bestimmt sehr bald auch ihren Tagesablauf. Er legt ihr sogar „aus Liebe“ des Öfteren eine tote Maus vor die Füße. Elfriede hat sich auch daran gewöhnt und ist stolz auf ihren tapferen Jäger. Eines Tages sitzt sie wieder bei mir in meinem Lehnsessel und stellt fest, dass sie sehr gerne wüsste, wie es ihrer Mutter wirklich ginge. Auch wenn ihr die Gegenwart der Toten einst eine immens große Belastung gewesen ist – in der Stadtwohnung ist es leer und einsam. Der Kater bleibt ja im Haus, wenn Elfriede in die Stadt zurück muss. „Da ist mir der Geist meiner Mutter lieber als das Alleinsein“ seufzt sie resigniert. „Ich will nicht ganz alleine sein, das ist nichts für mich.“ Ich bin nicht einmal verwundert, irgendwie habe ich diese Reaktion bereits erwartet. Ein ganzes Leben, großteils in Gesellschaft einer Mutter birgt eine Menge an Gemeinsamkeiten. „Und die letzten Jahre mit ihr waren gar nicht so schlimm. Ich war ja ihre ständigen Nörgeleien längst gewöhnt. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Man gewöhnt sich eben an alles. Vielleicht fehlt mir das Gerede meiner Mutter sogar.“ Elfriede sagt es mit einem Lächeln, bei dem ein wenig Bitterkeit mitschwingt. „Schau doch nach, ob du sie noch finden kannst. Wäre ja möglich, dass sie sich geändert hat. Einen Versuch ist es doch wert, oder?“ Selbstverständlich ist es einen Versuch wert. Eine Aussprache in Güte ist immer
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