einen Versuch wert. Ganz gleich ob unter Lebenden oder in einer Situation wie zwischen Elfriede und ihrer toten Mutter. Elfriede will diese Aussprache, das fühle ich ganz deutlich. Also gehe ich in gewohnter Weise auf die Suche nach der Verstorbenen. Es dauert eine ganze Weile, doch dann ist die Seele von Elfriedes Mutter endlich doch erreichbar. Ihr Zorn ist verflogen, sie kommt mir wesentlich ruhiger vor, höflich, dennoch sehr direkt und vorherrschend. Also beginne ich nach Diktat zu schreiben: Elfi, bitte versteh mich richtig, ich will dich nicht mehr belästigen oder zu viel von dir verlangen. Aber ich bin so einsam ohne deine Anwesenheit. Ich wurde weggebracht, damals, und darf nur mehr mit deiner Einwilligung bei dir sein. Du hast damals so viele Leute um dich gehabt, du hast auch gelacht und die Katze so sehr geliebt. Nur mich hast du nie bemerkt, obwohl ich weiß, dass du mich gespürt hast. Ich war sehr neidisch auf das alles, denn im Prinzip gehörst du mir, du bist ja meine Tochter. Und Kinder müssen für die Eltern sorgen, so sagt das 4. Gebot in unserer Bibel. Auch wenn du nicht in die Kirche gehst, die Gebote gelten für alle und ich bin noch immer deine Mutter. Und dann hast du doch erlaubt, dass ich wieder bei dir sein darf, und das bin ich jetzt. Immer noch als deine Mutter und du als meine Tochter. Es ist nicht wahr, dass ich den Buben mehr geliebt habe, aber er hat mich halt von vielen Sorgen abgelenkt. Du warst ein Sorgenkind, weil du so anders warst, manchmal sogar nicht so ganz normal. Ich weiß nicht, von wem du das hast, aus meiner Familie sicher nicht. Und du bist immer noch so felsenfest überzeugt, alles richtig zu machen. Und da hast du recht, denn du hast Karriere gemacht und mich dabei vergessen. Du bist eine „große Frau“ geworden, ich bin nur deine Mutter gewesen. Das war sehr schwer für mich, mein Leben war so und so nur eine riesige Last – mit dir, dem Vater und dann auch noch mit dem Buben. Ich habe mir um alle Sorgen gemacht, speziell um dich. Aber du hast doch bewiesen, dass du als Einzige etwas erreicht hast. Nur ist es nicht leicht, nach so langer Zeit das zu verstehen. Ich verstehe das bis heute nicht. Ich bin eben bei dir, weil ich froh bin, dass es dir gut geht. Aber du darfst nicht vergessen, dass ich deine Mutter bin. Ich weiß, dass ich nicht mehr lebe, aber tot bin ich auch nicht. Deshalb gilt alles das, was auch bei den Menschen gilt. Und Geburtstage, Muttertage, Weihnachten und der Tag, an dem du mich nicht mehr sehen konntest – es sind meine Tage, bitte. Sonst bin ich zufrieden mit dir, du warst immer eine gute Tochter, manchmal nur sehr eigensinnig und trotzig.
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