Zeilen aus dem Jenseits

Marias Wunsch, mit Karl durch mich zusammen zu sein, wurde von Mal zu Mal heftiger und drängender. Irgendjemand hatte ihr erzählt, es gäbe mediale Menschen, denen es möglich ist, Verstorbene „sichtbar“ zu machen oder – sie bringen es den Hinterbliebenen bei, ihre „Toten“ zu sehen. Nun, davon hatte ich nie gehört und bis heute weiß ich nichts davon. Ich war auf keinen Fall ein entsprechendes Medium für diese Zwecke – bin es noch immer nicht und es ist mein ernster Wille, niemals in diese Richtung zu arbeiten. Maria aber ließ diesen Gedanken nicht aus ihrem Kopf und beinahe wurde er für sie zur fixen Idee. Es brauchte eine längere Zeit, um sie davon zu befreien. Nichtsdestotrotz begann sie langsam, ihr praktisches Leben ohne Karl in die Hände zu nehmen und all das zu erledigen, was er früher als Mensch für sie beide getan hatte. Es galt, Wege zu erledigen, sich mit der Bank auseinander zu setzen, Briefe zu beantworten – kurz und gut, die Ansprüche des Alltags zu erfüllen. Und – es ging besser und besser von Tag zu Tag. Ein Lernerfolg Mittlerweile war es Mai geworden und Karl „klopfte“ wieder an: Mein liebes Haserl! Eigentlich sollte ich dich anders nennen, denn in letzter Zeit bist du kein Haserl mehr. Du entwickelst dich immer mehr zu einer sehr tüchtigen Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Wenn ich das schon früher gewusst hätte, hätte ich dich wesentlich ernster genommen. Aber ich habe ein wenig mit dir gespielt, und das bereue ich jetzt. Wir haben sehr viele Stunden mit unnötigen Problemen vertan, wo wir doch so viel anderes hätten erleben können. Es ist so, dass man diese Dinge erst nach dem körperlichen Tod erkennt – so ist es halt bei mir. Es steht da alles im Lebensbuch und erst beim Lesen erkennt man seine Fehler. Ich habe sehr, sehr viele gemacht, das tut mir jetzt leid, ich bereue es, aber es ist für dieses Leben mit dir – ich meine, an deiner Seite – zu spät. Ich wollte, du könntest meine Gefühle zu dir spüren und meine Dankbarkeit deinem Wissen gegenüber. Ich weiß erst jetzt, wie es hätte sein können und wie es eigentlich war. Weißt du, die Menschen – sie sind alle eingesponnen in ihr Leben wie in einen dicken Kokon aus Eigensinn, Willensstärke und Egoismus – jeder. Du

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