aufzunehmen. Sie benötigte noch immer einen Mittler, einen medial veranlagten Menschen wie mich. Ich konnte ihr so gut nachfühlen, wie es in ihrem Herzen aussah. Trotz Karls Briefe – sie war einsam und verlassen, sie fühlte sich einsam und verlassen. Sie ging in ihre Trauerarbeit hinein, jedoch ohne großen Erfolg. So manches Mal, wenn ich mich mit ihr unterhielt – einzig und allein über ihr gelebtes Leben mit Karl – hatte ich ein eigenartiges Denk-Gefühl: War es am Ende nicht besser, man ließe die „Toten tot sein“, ließe sie „los“ und belaste sich nicht mit unerfüllbaren Sehnsüchten und irrationalen Wünschen? Dann hätte der zurückbleibende Mensch, der ja sein Leben weiterführen muss, die Gewissheit, dass eben etwas zu Ende gegangen war, etwas, das unaufhaltsam geschehen musste. Schnell rief ich mich wieder zur Ordnung. Maria wollte eine andere Lösung, deshalb wurde ich auf den Plan gerufen. Mit dem „jetzt ist alles aus und vorbei“ hätte sie nicht weiterleben können. Dazu war sie zu gefühlsbetont und noch dazu von Karls Schwingung abhängig. Ja, es war eine große, beinahe grenzenlose Abhängigkeit, die sie mit Karl verband – wo auch immer diese herkam. Und ihm ging es nicht anders – er fühlte genauso. Die beiden – Karl und Maria – hatten irgendwann – war es in einem früheren Leben? – Fesseln um sich geschlungen und nun waren sie Gefangene ihrer eigenen Gefühlswelt. Irgendwie – bei mir geschieht immer alles irgendwie – war ich froh, frei zu sein. Ich war und bin nur von einem einzigen Menschen auf dieser Erde abhängig – von mir selbst. Um das anzuerkennen, musste ich beinahe ein ganzes Leben mit mir ringen. Abhängigkeit tut weh – sehr weh – und sie fügt Schmerzen zu. Maria zeigte diese Symptome jedes Mal, wenn wir uns trafen. Mein Mitgefühl für sie war sehr intensiv, jedoch für sie keinerlei Hilfe. Trotz dieses Mitgefühls verstand ich sie nicht. Hatte sie nicht eine wundervolle Gabe erhalten, das Geschenk, alles über ihren geliebten Karl zu erfahren? War es nicht wundervoll, ist es nicht als „Wunder“ zu bezeichnen, dass sie all das Geschehen erleben durfte? Sie und Karl: Endlich die ersehnte Aussprache, die Bestätigung seinerseits über ein „Leben nach dem Leben“, die Antworten auf die vielen Fragen … Es geschieht nicht so oft im menschlich-irdischen Leben, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen – und trotzdem will man gerade das haben, besitzen oder halten, dessen Verwirklichung und Erfüllung unmöglich ist. Ich bezeichne diese Wünsche und Sehnsüchte als „Fallen“ – jedoch: Fallen sollen uns beibringen, wie sie zu umgehen sind, wie jeder von uns daraus Lehren ziehen kann. Eine „Falle“, eine „Fußangel“ – sie sind nur Hindernisse auf dem Lebensweg, keine Gefängnisse, keine Kerker. Maria jedoch befand sich zurzeit in einem „Fallen-Gefängnis“, sie war außerstande, sich davon zu befreien. Ihr Ausweg – und sie suchte sich unter
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