Danke, dass du noch an mich denkst. Dein Vati Es ist so, wie ich es vorausgesehen habe, Gerlindes Fragen an den Vater sind bereits beantwortet, bevor sie sie gestellt hat. Sie hat ihren Vater um Hilfestellung gebeten und das wiederholt viele Male. Ihre Ehe ist nicht das, was sie sich unter einer Beziehung vorstellt. Es ist weder ein Miteinander noch ein Füreinander, es ist ein Nebeneinander, großteils sogar ein Gegeneinander geworden. Da ist die Schulter eines Vaters der ideale Platz für all die vielen Tränen des Verzagtseins. Diese Schulter jedoch hat es nie gegeben, da waren keine tröstenden Worte, kein Verständnis für die Hilflosigkeit in einer schal gewordenen Ehe. Der verstorbene Vater gibt ihr klar und deutlich zu verstehen, dass er keine Hilfe geben kann. Es existiert für Gerlinde nur das Wissen, dass er „DA“ ist. Das ist ein kleiner Trost für sie, eine winzige Hoffnung auf seelische Unterstützung. Ich sage ihr, sie soll sich in seine Liebe einhüllen. Fürsorgliche Liebe aus der anderen Welt ist etwas Wunderbares, wenn genau dieses Gefühl in der Realität eines gegenwärtigen Lebens verloren gegangen ist. Mehr Zuversicht kann ich ihr nicht mitgeben, denn ihr geliebter Vati weiß zwar um ihre Situation, kann aber nichts tun. Er selbst leidet unter dem Umstand, dass durch seinen Tod die ganze Familie im Stich gelassen wurde. Er fühlt sich schuldig für etwas, das er nie gewollt hatte. Der Krieg hat sein Leben zerstört, seine Familie in diese Zerstörung mitgerissen. Vater, Mutter und zwei Kinder sind die Opfer geworden und sind es bis heute. Nein, es sind drei Kinder, die den Vater verloren haben. Gerlinde hat noch einen Bruder, von dem sie bis zum heutigen Tag nichts wusste. Jetzt jedoch ist es klar und deutlich: Es gibt noch ein Kind ihres Vaters! Gerlindes sofortiger Wunsch, diesen Bruder noch kennenzulernen, noch in diesem Leben umarmen zu dürfen, zerplatzt wie eine bunt schillernde Seifenblase. Dieser Bruder ist ein Unbekannter, das einzige was sie hat ist der Name – Karl! Ihn zu finden …? Gerlinde senkt den Kopf. Sie resigniert mit Trauer im Herzen. Ich sehe ihr die Verzweiflung an. Da war ein Hoffnungsschimmer, der verschwand, bevor er überhaupt greifbar wurde. Ich selbst schweige und lasse ihr genug Zeit, die eben entstandene Situation wenigstens irgendwie zu verarbeiten. Eine eigenartige Schwingung hat sich rund um uns ausgebreitet. Aber – Kopf hoch, kleine Linde – das Leben geht auch ohne diesen Karl weiter. Auch wenn eine kleine Bitterkeit zurückbleibt.
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