diesen Wunsch als Herzenswunsch fühlst. Du denkst, ich bin derjenige, der dir dein Leben als Kind, als junges Mädchen leichter gemacht hätte. Vielleicht hast du recht, erfahren wirst du es niemals, und ich kann dir auch keine Antwort geben. Die Tatsache, dass du mich immer gesucht hast, ist auch der Grund, warum du einen „väterlichen“ Freund gesucht hast – ich beziehe mich auf dein gegenwärtiges Leben mit deinem Ehemann. Sicherlich, es ist nicht leicht zwei alternde Menschen zu betreuen, vielleicht hilft es dir, wenn du manches Mal an die schönen Zeiten zurückdenkst. Irgendetwas Gutes muss ja dagewesen sein, sonst hättest du doch nicht geheiratet. Für deine Mutter gilt anderes, aber es ist müßig, sich damit zu beschäftigen. Ich nehme sie dir ab, soweit es mir möglich ist. Du bemerkst es, weil sie so viel von mir redet. Mehr kann ich nicht tun. Kopf hoch und beiß trotzdem die Zähne zusammen – alles hat einmal ein Ende, du musst nur in Geduld darauf warten. Viel Liebe und Tapferkeit für dich, Vati Der Zustand von Gerlindes Mutter wird von Tag zu Tag kritischer. Sie kann nicht mehr aus dem Bett aufstehen und benötigt nun intensivste Pflege. Aber genau das lehnt sie immer noch vehement und zornig ab. Sie behauptet, es gehe ihr immer noch gut. Sie redet wirres Zeug, fragt nach dem im Krieg gefallenen Ehemann, den sie ab und zu an ihrem Bett zu sehen vermag. In lichten Momenten ihres Zustandes erkundigt sie sich angstvoll bei der Tochter, ob der Vati sie auch wirklich holen wird. Das ist ihr sehnlichster Wunsch, vor dem sie jedoch große Angst hat. Gerlindes Antwort ist immer dieselbe: „Nein, holen wird er dich bestimmt nicht, er wird dich begleiten, er wird da sein, wenn du gehen willst. Aber den Zeitpunkt musst du selbst bestimmen“. Diese Worte beruhigen die Mutter für einige Zeit. Darauf jedoch folgen wieder bange Fragen und Bemerkungen, dass ihre Mutter (Gerlindes Großmutter) auch schon „da“ sei. Gerlinde wird wieder unsicher, weil sie nicht mehr weiß, was genau die Mutter hören und wissen will. Was auch immer sie als Antworten parat hat – es passt nichts mehr. Dieser Zustand irritiert beide, sowohl Mutter als auch Tochter. Wiederum ist es ihr Vater, der helfend unterstützt. Er erklärt in deutlichen Worten, warum es der Mutter nicht mehr möglich ist, vernünftige Gedanken in Sätze zu bilden. Wie schon so oft in der Vergangenheit ist er der tröstende, verständnisvolle Helfer aus der anderen Welt. Hier ist seine Stellungnahme:
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