Hallo, kleine Linde! Es ist sehr schmerzhaft, wenn man zusehen muss, wie der Mensch, den man einst geliebt hat, langsam „zerfällt“. Glaube mir, deiner Mutter geht es nicht mehr gut, es geht ihr sogar entsetzlich schlecht. Nur, sie weiß es nicht mehr so genau, weil sich ihr Denkvermögen langsam auflöst. Sie fühlt sich nicht mehr wohl, sie weiß, dass es so ist, aber sie kann es nicht mehr zuordnen. Ihre Gedanken springen von Thema zu Thema, schnell und unkontrolliert. Sie weiß, wer du bist und weiß, dass sie mit dir „reden“ kann. Aber was soll sie reden, wenn die Gedanken nur mehr um ihren Zustand kreisen, was sie auch nicht mehr zuordnen kann. Sie schwebt von einem Zustand in den anderen – sie ist manchmal gegenwärtig da, dann jedoch in der anderen Welt. Das vermischt sie, doch das geht nur gedanklich. In Wirklichkeit liegt sie in ihrem Bett und hat entsetzliche Angst vor dem Sterben. Dass wir hier schon alle tot sind und sie keine Angst haben muss, begreift sie nicht mehr. Und das ist das Grausame daran „so vor sich hin zu verelenden“. Es wird noch schlimmer werden, wenn sie nicht endlich nachgibt. Das ist so, weil es in solchen Fällen immer so ist. Du kannst das nicht verstehen, weil dein Denkvermögen noch funktioniert. Du hast dich mit dem Zustand des „Sterbens“ noch nicht vertraut gemacht. Wenn man auch keine Angst vor dem Tod hat, mit dem Sterbevorgang läuft es anders. Der Tod ist das, was absolut ist, das Sterben ist die Loslösung aus dem materiellen Dasein in die geistige Form und das macht den meisten Menschen Angst – auch deiner Mutter… Also sei tapfer und halte durch. Sag deiner Mutter, dass sie „gehen“ kann, dass sie keine Rücksicht auf dich zu nehmen braucht – auch wenn sie „Gift und Galle“ spuckt. Du kennst sie, du musst sie nicht mehr so ernst nehmen. Beiß die Zähne zusammen und halte durch. Wir sind bereit, irgendwann wird es ja doch irgendwie funktionieren. Alles, alles Liebe und viel Kraft, Vati Der Inhalt der eben vorgelesenen Erklärung des Vaters berührt Gerlinde zutiefst. Die Erkenntnis zu erlangen, wie es sein kann, wenn ein Mensch dem Tod entgegengeht, ist auch für mich ganz neu. Ich habe nie daran gedacht, dass Menschen so große Angst vor dem Sterben haben können. Für mich und all die
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