Zeilen aus dem Jenseits

nicht, als junges Mädchen nicht und schon gar nicht als erwachsene Frau. Der Kommentar des Bruders zur Lage lautet: „Du machst das schon, tu es wie du es für richtig hältst. Ich rede dir keinesfalls dazwischen.“ So ist es, und auch das ist eine Tatsache. Gerlinde ist auf sich gestellt, sie muss alle Entscheidungen alleine treffen. Es ist ein Glück für sie, dass die Mutter endlich nachgibt und erlaubt, dass „für sie gesorgt wird“. Gerlindes Mann ist auch zufrieden. Er ist ebenfalls ein „älteres Semester“ und bereits teilweise auf die Unterstützung seiner Frau angewiesen. Nein, hinfällig ist er noch nicht. Es tut ihm einfach nur gut, eine „gute Fee“ um sich zu wissen. Ich bin froh, dass in dieser Familie endlich etwas Ruhe eingekehrt ist. GOTT SEI DANK! Gerlinde hat jetzt wieder mehr Zeit für sich. Sie lacht und freut sich über alltägliche Kleinigkeiten. Da auch eine gewisse „Schadenfreude“ in ihrem Denken Platz hat, erzählt sie mir lustige Begebenheiten aus ihrer Vergangenheit. Manchmal schüttle ich den Kopf und komme mir im Vergleich zu ihr uralt vor. Sie hat das Lachen in all den Jahren nicht verlernt und macht sich über viele Situationen aus ihrem Leben lustig. „Beneidenswert“, denke ich mir, wenn ich ihr gegenübersitze. Leid und Freud so direkt nebeneinander und trotz allem ein kindlich-übermütiges Gemüt. Wenn ich sie damit konfrontiere, dann meint sie mit diesem bestimmten Blitzen in den Augen: „Irgendwie muss man ja überleben – oder?“ Ja, man muss – ich weiß es ebenso gut wie Gerlinde. Gerlinde stellt nun immer öfter die Frage, wie es wohl mit den beiden – mit Mutter und Tochter – geworden wäre, wenn … ja, wenn es nicht den Vater gegeben hätte, wenn diese beiden in dieser gegenwärtigen Situation allein auf sich angewiesen gewesen wären. „Unsinn“, berichtige ich sie. Es gibt kein „wie wäre es wohl gewesen“, denn es ist anders gewesen. Es gibt diesen Vater, es gibt seine Hilfestellung aus der anderen Welt, es gibt mich, die es ermöglicht und es gibt Gerlinde, die zu mir gekommen ist. Also – es gibt nur eines nicht: Die Möglichkeitsform, den so genannten Konjunktiv, dieses „was wäre, wenn …“. Es ist so, wie es gekommen ist. Jetzt ärgere ich mich über mich selbst, denn ausgerechnet ich bin diejenige, die die Menschen mit strengen Worten über den Missbrauch der Möglichkeitsform (Konjunktiv) immer wieder aufmerksam macht. Viele Menschen erschweren sich das Leben mit diesem Gedankengut und versäumen oft wichtige Entscheidungen. „Wenn ich dich nicht in die Welt gesetzt hätte, dann wäre mein Leben leichter und besser geworden …“ Das ist wohl eine der schlimmsten Wortfolgen, die man als Mutter einem Kind mit ins Leben geben kann. Grausame Vorgaben für

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