Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 37 - Um dieses Einssein hat Christus so innig und ergreifend an diesem Abend gebetet. Sie sollten die Liebe zu ihrem Meister in ihren Herzen bewahren und dadurch mit ihm verbunden bleiben zu einem geistigen Leibe: Christus ist das Haupt und sie die Glieder. Daran sollten die Jünger von nun an denken, sooft sie zusammenkamen, um zum Andenken an ihn das Mahl zu wiederholen, das er als Abschiedsmahl mit ihnen gefeiert hatte. Sie sollten nicht vergessen, daß es ein Mahl der Liebe war, das ihr Herr und Meister am Abend vor seinem irdischen Scheiden mit ihnen gehalten hatte; daß nur derjenige an der Wiederholung dieses Mahles teilnehmen darf, der durch das Band der Liebe mit Gott und den Menschen verbunden ist. • Wer diese Liebe nicht im Herzen trägt, kann nicht das Gedächtnismahl der Liebe empfangen. Wer beim Empfang dieses Mahles Haß, Feindschaft, Groll, Neid und sonstige Sünden gegen die Nächstenliebe in seinem Inneren hegt, würde dadurch die größte Heuchelei begehen. Es wäre die schwerste Beleidigung dessen, der dieses Mahl als Gedächtnis der Liebe eingesetzt hat. Darum hat ein jeder, der dieses Mahl der Liebe empfangen will, sich vorher zu prüfen, ob er die Liebe zu Gott und dem Nächsten besitzt, da sonst das Mahl eine Verhöhnung Christi wäre. Das ist di e wahre Bedeutung des Abendmahl s Chris t i und der Wiederholung dieses Mahl es zum Andenken an ihn. Und was hat man im Laufe der Jahrhunderte aus diesem Mahle gemacht? Man hat die Lehre aufgebracht, Christus habe durch die Worte, die er bei der Überreichung des Brotes und des Kelches gesprochen hatte, das Brot in seinen wirklichen Leib und den Wein in sein wirkliches Blut verwandelt. Brot und Wein seien daher nicht bloß Sinnbilder gewesen, sondern das Brot sei zu Christi lebendigen Leib und der Wein zu seinem lebendigen Blut geworden. Zwar könne man diese Verwandlung äußerlich nicht wahrnehmen. Und diese Verwandlung finde auch heute noch jedesmal statt, sobald der Priester die Worte Christi über Brot und Wein spreche. Es ist diese Lehre wohl das Widersinnigste, was je dem Menschengeiste zu glauben zugemutet worden ist. Nach dieser Lehre wäre also beim letzten Abendmahle im Saale zu Jerusalem die Person Christi in ein und demselben Augenblick dreiundzwanzigmal anwesend gewesen. Sie saß in menschlicher Gestalt vor den Aposteln; jedes Stück Brot, das die elf Jünger aßen, war dieselbe lebendige Person Christi und jeder Schluck Wein, den die elf tranken, war wiederum Christus mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut. Es ist unbegreiflich, wie Menschen einen solchen Wahn aufbringen können! Kein Mensch und kein Geist kann sich selbst vervielfältigen. Auch Gott nicht. Niemand - auch Gott nicht - kann als Persönlichkeit gleichzeitig an mehreren Orten sein. Niemand kann sich in etwas anderes verwandeln und gleichzeitig das bleiben, was er ist. Christus konnte nicht vor seinen Aposteln als Mensch sitzen und gleichzeitig von ihnen in der Form des Brotes und des Weines genossen werden. Christus konnte sich nicht selbst essen. Denn da Christus auch selbst von dem Brote aß, das er seinen Jüngern darreichte, so verzehrte er sich nach eurer Lehre selbst. Ich finde keinen Ausdruck in eurer Sprache, um diese Lehre als Ausfluß höchster menschlicher Verblendung zu brandmarken. Dazu lehrt ihr, daß die Priester täglich diese Verwandlung von neuem vornehmen. Wenn sie über Brot und Wein die Worte sprechen: 'Dies ist mein Leib - dies ist mein Blut!', sollen alle Brotteile und Weintropfen in die Person Christi verwandelt werden. Eure Priester nehmen damit eine Macht für sich in Anspruch, d i e s e l b s t G o t t n i c h t h a t , weil auch er das i n s i c h Unmögliche nicht möglich machen kann.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1MzY3