Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 52 - Seine Ansicht war falsch, wenn er auch hinzufügte, er glaube doch auch, einen Geist Gottes zu besitzen. Paulus selbst war ehelos. Seine Ehelosigkeit fand nach seiner Ansicht ihren hinreichenden Grund darin, daß er bei seiner über weite Gebiete sich erstreckenden Lehrtätigkeit viel und lange auf Reisen sein mußte. Hätte er Familie gehabt, so wären ihm solche Reisen unmöglich gemacht worden. Er hätte Frau und Kinder nicht mitnehmen, aber auch nicht Monate und Jahre lang alleinlassen können. Seine eigene Ehelosigkeit machte ihn in diesem Punkte einseitig und zum Fanatiker. Wo Menschen sind, findet ihr auch immer menschliche Fehler. Auch bei den Aposteln müßt ihr diese in Kauf nehmen. Über seine falsche Ansicht inbetreff der Ehelosigkeit wurde Paulus nachher von Christus belehrt. Er mußte sie in einem an alle Gemeinden gerichteten Brief richtigstellen. Von diesem Briefe, in dem auch eine Reihe anderer Stellen seiner früheren Schreiben, die zu Mißverständnissen Anlaß gegeben hatten, aufgeklärt wurde, habe ich dir bereits am ersten Abend Mitteilung gemacht. Ich sagte dir, daß dieser Brief später vernichtet wurde, weil die darin enthaltenen Klarstellungen und Berichtigungen der späteren Kirche und ihrer Lehre nicht paßten. Wie sehr Paulus infolge der Belehrung und Zurechtweisung seines Meisters seine Meinung über die Ehelosigkeit änderte, könnt ihr aus seinen Schreiben an Timotheus und Titus ersehen. Er, der an die Korinther geschrieben hatte, daß er wünsche, sie wären alle ehelos wie er selbst – er duldet nicht, daß ein Eheloser oder eine Ehelose irgendeine Stellung in der Gemeinde bekleidete. Nach seinem Brief an die Korinther hätte man doch erwarten müssen, daß er im Gemeindedienst gerade die Ehelosen bevorzugen würde. Aber nein - alle mußten verheiratet sein. 1. Timotheus 3, 2 - 12: 'So muß denn der Bischof eines Weibes Mann sein... einer, der seinem Hause gut vorsteht, indem er seine Kinder im Gehorsam hält mit aller Würde; denn wenn einer seinem eigenen Hause nicht vorzustehen weiß, wie sollte er für die Gemeinde Gottes sorgen können.' - 'Ebenso müssen auch die Gehilfen ein jeder eines Weibes Mann sein und die Leitung ihrer Kinder und ihres eigenen Hauses gut versehen.' Auch an Titus richtete er dieselbe Mahnung, daß er keinen Unverheirateten als Ältesten in einer Gemeinde anstellen solle, sondern nur solche, die eines Weibes Mann seien und gläubige Kinder hätten (Titus 1, 6). Während er in seinem Brief an die Korinther den Witwen gesagt hatte, er wünsche, daß sie ehelos blieben, schreibt er an Timotheus: 1. Timotheus 5, 14: 'Es ist mein Wille, daß jüngere Witwen wieder heiraten, Mütter werden und ihrem Haushalt vorstehen.' Wenn Paulus das 'eines Weibes Mann' so scharf betont, so heißt das nicht, daß der Mann nicht zum zweiten Male verheiratet sein dürfe. Denn wenn er den Witwen eine zweite Heirat anrät, wie er es in seinem Schreiben an Timotheus tat, so steht sicherlich dem Witwer dasselbe Recht zu. Jener Ausdruck 'eines Weibes Mann' hat folgenden Grund: Manche von den heidnischen Männern, die zum Christentum übertraten, hatten vorher neben der eigenen Frau auch noch Nebenfrauen. Und das war öffentlich bekannt. Wegen der Unzuträglichkeiten, die daraus entstehen konnten, duldete Paulus nicht, daß solche Männer im Gemeindedienst verwendet wurden. Er wollte dafür nur verheiratete Männer haben, die sich bei Christen und Nichtchristen eines guten Rufes erfreuten. Das schreibt er ja auch ausdrücklich an Timotheus: 1. Timotheus 3, 7: 'Er muß sich auch bei den Nichtchristen eines guten Rufes erfreuen, damit er nicht in übles Gerede komme und der Schlinge des Verleumders verfalle.'

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