Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 55 - Ihr beruft euch auf die Worte des Apostels Paulus am Anfang des 13. Kapitels des Römerbriefes, um die Pflicht des Gehorsams gegen menschliche Obrigkeiten zu begründen. Ihr habt aber den Sinn dieser Worte gar nicht verstanden und sie vollständig falsch in eure Sprache übersetzt. Denn Paulus spricht darin überhaupt nicht von den menschlichen Mächten, sondern von den geistigen, die Gott einem jeden zuteilt. • Jedem Menschen sind Geister Gottes zu seiner Leitung und Führung beigegeben, dem einen in größerer, dem anderen in geringerer Anzahl. Das hängt v o n d e r G r ö ß e d e r A u f g a b e a b , die ein Mensch nach dem Willen Gottes zu erfüllen hat. Diese Geister Gottes haben nicht bloß den Auftrag, euch zu beschützen, innerlich zu ermahnen, zu warnen, zu belehren, zum Guten anzuspornen. Sie haben auch das Recht, euch zu bestrafen. Sie führen das Strafschwert Gottes. Denn die Strafen, die Gott verhängt, vollzieht er d u r c h s e i n e G e i s t e r . Das ist dir ja aus vielen Stellen der Bibel bekannt. Nun möchte ich dir die Worte des Apostels Paulus in der richtigen Übersetzung mitteilen: 'Jede Seele sei den Geistermächten untertan, unter deren Leitung sie steht. Denn es gibt keine gottgewollten Geistermächte außer denen, die von Gott dafür bestimmt sind. Wer sich also dieser Geistermacht widersetzt, stellt sich dem Willen Gottes entgegen. Und die sich widersetzen, ziehen sich dadurch ein Strafurteil zu. Denn diese Mächte sind nicht Gegenstand der Furcht für die, die das Gute tun, sondern bloß für die, welche das Böse vollführen. Willst du also eine solche Macht nicht zu fürchten brauchen, so tue das Gute; dann wirst du von ihr Lob empfangen. Denn sie ist dir als eine Dienerin Gottes für das Gute zugeteilt. Wenn du aber das Böse tust, dann hast du Grund zur Furcht. Sie trägt das Strafschwert nicht umsonst. Denn sie ist auch eine Dienerin Gottes, die dem göttlichen Zorn Recht verschafft bei dem, der das Böse tut. Darum muß man ihr Gehorsam leisten, nicht bloß aus Furcht vor dem göttlichen Zorn, sondern der Stimme des Gewissens folgend. Darum bringt auch die euch auferlegten geistigen Opfer! Denn jene Mächte sind Beauftragte Gottes, die zu diesem Zwecke beständig bei euch ausharren. Tuet allen gegenüber eure Schuldigkeit! Fordert der eine Opfer von euch, so bringet sie; fordert er die Ausführung eines Werkes, so führet es aus; flößt er euch Furcht vor etwas ein, so fürchtet euch davor; zeigt er euch etwas als wertvoll, so haltet es dafür! Bleibet keinem gegenüber in irgendeinem Punkte im Rückstande. Ihr tut in allem eure Schuldigkeit, wenn ihr einander liebet. Denn wer den anderen liebt, hat das ganze Gesetz erfüllt.' Wie konntet ihr nun diese Worte auf die weltlichen Herrscher beziehen? - Glaubt ihr denn im Ernst, daß jede menschliche Obrigkeit von Gott eingesetzt wird? - Waren etwa die zahllosen Könige und Fürsten, die bis jetzt lebten und in so vielen Fällen Werkzeuge des Bösen waren, von 'Gottes Gnaden' oder nicht vielmehr von 'Teufels Gnaden'? Konnte man auf die, welche die größten Grausamkeiten, Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen gegen das arme Volk begingen, die Worte aus der oben angeführten Stelle anwenden: 'Sie sind Gottes Diener zu eurem Besten'? • Ihr Menschen verschafft den weltlichen und geistlichen Machthabern ihre Stellung aufgrund von Menschensatzungen - nicht Gott. Ein Geist Gottes ist weder bei euren Fürstenkrönungen noch bei den Papst- und Bischofswahlen tätig. Wenn ihr in eurer Übersetzung des vorliegenden Textes von ' S t e u e r n u n d A b g a b e n ' sprecht und darum meint, es handle sich um irdische Herrscher, denen ihr diese entrichten sollt, so vergesset ihr, daß es auch geistige Abgaben gibt, die ihr Gott schuldet. Es sind dies die Früchte des Geistes. So wie die jährlichen Abgaben eines Baumes in seinen Früchten besteht, so sollt auch ihr als Abgaben für Gott die Früchte bringen, welche die euch beigegebenen Geister Gottes in unablässiger Tätigkeit in euch zur Reife bringen wollen. • Wie du siehst, sind die Vollkommenheitsideale der katholischen Kirche - freiwillige Armut in Ordensgemeinschaften, Keuschheit als Ehelosigkeit und blinder Gehorsam gegen geistliche Obere - i n W i r k l i c h k e i t g r o ß e I r r t ü m e r , von denen das erste Christentum nichts wußte.

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