Der Delpasse-Effekt

- 25 - 2.6 Der DE LPASSE - E F FEKT Anläßlich eines kybernetischen Symposiums trat William Jongh van Amsynck zum ersten Male mit seinen Arbeiten an die Öffentlichkeit. Als er vor Informationstheoretikern über seine Versuche referierte, befand sich Jean Jacques Delpasse unter seinen Zuhörern. Biofeedback als medizinische Therapie für Hypertonie-Kranke interessierte Delpasse nur wenig; aber er war fasziniert von den Laborbedingungen, unter denen van Amsynck arbeiten konnte. Delpasse sah sofort, daß die geschilderten Feedbackübungen im Prinzip dem Grey-Walterschen Fernsehversuch sehr ähnlich waren. Aber da war eine große Besonderheit an dem Trainingsprogramm des Neurologieprofessors: Alle Probanden, mit denen van Amsynck arbeitete, litten an der gleichen Erkrankung: am Hypertonus, der unter Umständen zum Gehirnschlag und damit manchmal auch zum Tode führen konnte. Und wenn wirklich einmal einer von van Amsyncks Patienten starb, dann starb damit ein Mensch, der sich zuvor einem intensiven Gehirntraining unterzogen hatte. Ein Mensch also, der genau die Versuchsbedingungen repräsentierte, die Delpasse benötigte und deren Verwirklichung er für unmöglich gehalten hatte. Wenn man van Amsyncks Patienten neben ihrem normalen Feedbacktraining auch noch im Grey-Walter-Versuch schulte, dann existierte die wesentlichste Hürde, die Delpasse gefürchtet hatte, nicht mehr. Es bedurfte keines Sterbenden mehr, der mitzuarbeiten hatte. Es bedurfte keiner Einwilligung mehr, die schockierte Angehörige zu geben hätten. Nicht ein Sterbender wurde trainiert, sondern ein Trainierter würde vielleicht sterben. Delpasse unterbreitete van Amsynck seine Idee, mit Hilfe des Grey-Walter-Versuchs das Gedächtnis zu prägen. Eine solche Botschaft kann sehr einfach, sie kann aber auch sehr komplexer Natur sein. Der Sinn einer einzigen Vokabel zum Beispiel ist ein einfacher Erinnerungsinhalt. Ein Reiseerlebnis als Erinnerung dagegen ist vielschichtig und umfangreich. Da ist die Tatsache der Reise selbst, an die man sich erinnert, das sind die Menschen, denen man begegnet ist, das sind die Städte, die man gesehen, die Speisen, die man gegessen hat. Vielleicht gehört zur Erinnerung auch noch die Reisevorbereitung, der Entschluß, überhaupt eine Reise zu unternehmen und so fort. Hier ist also ein ganzes Sammelsurium von Erinnerungen niedergelegt. Es gibt keine Möglichkeit, einzelne Gedächtnisinhalte voneinander abzutrennen. Gerade das aber wollte Delpasse tun. Er wollte mit Hilfe des Grey-Walter-Versuchs sozusagen einen reinen Gedächtnisimpuls erzeugen, der nur einen einzigen Erinnerungsinhalt trug – den Befehl Monitor einschalten. Delpasse hatte damit eine Methode gefunden, um einen winzigen Sektor aus dem gewaltigen Spektrum unseres Gedächtnisses zu markieren – ähnlich wie man eine bestimmte Substanz radioaktiv markiert, um ihren Weg in chemischen Verbindungen verfolgen zu können. Der Zweck ist – hier wie dort – der gleiche. Durch die Markierung soll der Weg, den Gedächtnisimpulse nehmen, erkennbar gemacht werden. Ein Beispiel: Bekannt sind die elektromagnetischen Schleusen, die auf Flughäfen installiert sind und durch die die Passagiere zur Waffenkontrolle gehen müssen. Textilien oder Lederwaren passieren dieses Tor, ohne daß etwas geschieht. Die Elektronik ist nicht darauf eingerichtet, sie zu registrieren. Das kleinste Stückchen Metall hingegen, das wir bei uns tragen, löst ein akustisches Signal aus, sobald man die Schwelle überschreitet. Auf Metall nämlich ist das System programmiert, oder anders ausgedrückt: Nur Metall ist so markiert, daß das System es herausfinden kann. Würde ein Blinder neben dieser Tür Wache halten – er würde niemals wissen können, welche Menschen in welchen Kleidern und mit welchen Koffern das Tor durchschritten. Jedes Feuerzeug hingegen, jeden Metallverschluß und jede Gürtelschnalle würde der Blinde an dem Signalton, den diese Gegenstände auslösen, erkennen können. Nichts anderes als dieses Tor ist auch der Tod. Der Tod ist ein TOR, das unser Bewußtsein durchschreiten muß. Vorausgesetzt natürlich, daß es den Zerfall des physischen Körpers überlebt. Wenn das aber so sein sollte, und wenn unser Gedächtnis als Teil unseres Bewußtseins den Tod überlebt, dann können wir dies nur deshalb nicht erkennen, weil wir in der Situation des Blinden an der Flughafenkontrolle sind. Wir haben kein Sinnesorgan, weder Ohr noch Auge, mit dem wir Bewußtsein oder Gedächtnis wahrzunehmen vermögen. Und da wir uns

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