Der Delpasse-Effekt

- 28 - Tode führen. Wenn eine Veränderung eintritt oder herbeigeführt wird, bevor eine endgültige Schädigung eingetreten ist, dann kann der Zustand des Patienten sich wieder bessern. Deshalb wird der Arzt immer dann eine künstliche Aufrechterhaltung des Kreislaufes einleiten, wenn Unterstützung vonnöten ist und wenn er die Hoffnung hat, alles doch noch zum Guten zu wenden. Wenn in einem solchen Fall dann dennoch der unwiderrufliche Hirntod eintritt, dann wird das Herz des toten Patienten weiterschlagen und seinen Körper so lange vor der Verwesung bewahren, bis das Beatmungsgerät abgeschaltet wird. Durch künstliche Beatmung und Unterstützung des Kreislaufes ist es also möglich, eine Art von Niemandsland zwischen den Tod des Gehirns und den endgültigen Tod des gesamten Organismus zu legen. • Ein DELPASSE-EFFEKT, der in diesem Niemandsland aufträte, könnte nicht mehr aus der Lebenskraft des Gehirns gespeist werden, denn dieses wäre tot. Es müßte aus einer anderen, vom Leben unabhängigen ENERGIE resultieren. Allerdings würde auch im Niemandsland für das Erscheinen des DELPASSE-EFFEKTES nur eine begrenzte Zeitspanne zur Verfügung stehen. Im toten Gehirn, das an der künstlichen Durchblutung des Körpers ja keinen Anteil hat, wird schließlich die Auflösung der Zellstruktur einsetzen. Für Delpasse und van Amsynck begann die Erforschung des Niemandslandes an einem Apriltag um sechs Uhr in der Frühe. Van Amsynck wurde zu einem Patienten gerufen, der überraschend eine Gehirnblutung erlitten hatte und nun im tiefen Koma lag. Van Amsynck ordnete künstliche Beatmung, Angiogramm und Ableitung der Hirnstromkurven an, um einen Eindruck vom Ausmaß der Schädigung zu gewinnen. Der Befund verhieß kaum Hoffnung, doch van Amsynck und seine Ärzte gaben nicht auf. Mit stummer Spannung verfolgte Delpasse ihre Bemühungen um das Leben des Kranken. Würde es gelingen, ihn zu retten? – Würde er sterben? – Und wenn er starb – wo und wann würde der DELPASSE-EFFEKT eintreten? Gegen drei Uhr am Nachmittag zeigten Null-Linien im EEG den Eintritt in die kritische Phase an. Unterstützt durch das Beatmungsgerät versorgten Lunge und Herz den Körper weiter mit Sauerstoff. Dennoch trat mit den Anzeichen des totalen Funktionsverlustes, der den Hirntod beinhaltet, der DELPASSE-EFFEKT ein. So enttäuschend dieses Ergebnis war – Delpasse und van Amsynck hatten es im Grunde nicht anders erwartet. Warum sollte eine künstliche Verlängerung des Lebens, an der das Gehirn keinen Anteil hatte, irgend etwas im Gehirn verändern? Weitere Fallstudien bestätigten dieses Ergebnis. Ob das biologische Leben eines Sterbenden künstlich verlängert wurde oder nicht, das Bild, das sich ergab, blieb im Prinzip das gleiche. Der DELPASSE-EFFEKT schien an das Leben des Gehirns gekettet. Wenn alle Funktionstests einwandfrei für den Tod des Gehirns sprachen, dann war es in keinem einzigen Fall mehr möglich, noch einen DELPASSE-EFFEKT zu erhalten. Ein DELPASSE-EFFEKT, der sich durch keinerlei Anstrengung von der letzten Regung des Gehirns trennen läßt, kann nur aus der Energie des Gehirnstromes gespeist sein. Er stellt keinen Anhaltspunkt für ein jenseitiges Leben dar, wie wir gehofft hatten, sondern er ist der sichere Beweis dagegen. Die Logik läßt keinen anderen Schluß zu. Streng genommen hätte dies das Ende des DELPASSE-EXPERIMENTS sein müssen. Manchmal aber bringt nicht die Logik den Fortschritt, sondern die Intuition. Manchmal ist es die schöpferische Phantasie, die das Tor zu neuen Entdeckungen aufstößt. Sie sind zwar im nachhinein an logischen Maßstäben zu messen, aber nicht im vorhinein durch diese zu erspüren.

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