Das Jenseits in uns

- 6 - 3.0 Rel igionen gründen auf Sterbeerleben Auch bei den heutigen Nah-Todeserfahrungen der Kaliai in Papua Neu-Guinea und denen der Hindus kommt es - eher ohne die ekstatischen (Licht-)Qualitäten christlicher Erlebnisse - nach dem Eintritt in eine "jenseitige" Landschaft zur Begegnung mit Verstorbenen und einer ethischen Bewertung des eigenen Lebens. Ihre Ausgestaltung und Auswirkungen entsprechen ebenfalls der jeweiligen Religion und Mentalität und ähneln dabei in ihrer weniger selbstbestimmten Art eher den Sterbeerfahrungen des Mittelalters. Im Reinen-Land-Buddhismus, der größten japanischen (und chinesischen) buddhistischen Schule, dominiert neben Paradies- und Höllenvisionen die Lichterfahrung, die hier zum Amidha-Buddha wird, was sich möglicherweise auf ihre erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Christentum zurückführen läßt. Der Reines-Land-Buddhismus, dessen Name von den Paradies-Visionen stammt, beruht praktisch auf Sterbeerfahrungen! Diese wirken also nicht nur religionstragend, sondern zuweilen sogar religionsstiftend. Damit bestätigt sich die Vermutung der britischen Psychiater Roberts und Owen: "Daß manche und sogar viele der volkstümlichen Jenseitsbilder ihren Ursprung in Nah-Todeserfahrungen haben könnten, und daß kulturelle Erwartungen nicht nur die Bilder der Nah-Todeserfahrungen determinieren, sondern selbst in ihnen ihren Ursprung haben" (2). Wie lassen sich nun diese in aller Welt so ähnlich strukturierten und interpretierten Erfahrungen erklären? Dazu gilt es festzuhalten: • Nah-Todeserfahrungen sind kein psychopathologisches Phänomen. Geisteskranke oder Halluzinierende machen diese Erfahrung nicht häufiger als Gesunde. Auch sind die Betreffenden nach dem Erlebnis seelisch eher gesünder als die Mitglieder verschiedener Kontrollgruppen. Sie sind nicht Folge einer entsprechenden Vorinformation. Das Erlebnis entspricht oft überhaupt nicht den eigenen Erwartungen. • Nah-Todeserfahrungen beruhen nicht auf einer gesteigerten Imaginationsfähigkeit und sind auch keine Wunscherfüllungen. Wünsche sind von Person zu Person unterschiedlich - Sterbeerfahrungen hingegen haben ähnliche Inhalte. Auch konnten die verifizierbaren Wahrnehmungen der eigenen Reanimation von bloßen Vorstellungen abgegrenzt werden. Keineswegs flieht der Erlebende in eine Wunschwelt, sondern stellt sich im Gegenteil gefürchteten Situationen ohne Furcht. • Die Erfahrungen sind auch kein bloßes Wiedererleben der eigenen Geburt. • Nah-Todeserlebnisse sind keine Depersonalisation und keine Aktivierung eines imaginären Körperschemas. Die gesamte Erfahrung wird von einem intakten Selbst erlebt. • Die Erlebnisse unterscheiden sich von unterschwelligen Wahrnehmungen, wie sie unter Narkose oder im Koma vorkommen können. Solche Wahrnehmungen sind meist akustisch und schmerzhaft, während Nah-Todeserlebnisse schmerzfrei und überwiegend optisch sind. Die Behauptung, daß die Nah-Todeserlebnisse Wahrnehmungen einer anderen Realität und keine Halluzinationen seien, ist nicht widerlegbar. Welche Wahrnehmungen "real" und welche "halluziniert" sind, können wir nicht mit Sicherheit feststellen. Unsere Wirklichkeit ist im psychiatrischen Sinne immer eine Illusion", da es sich um eine Interpretation des Gehirns handelt. • Doch anders als Phantasien und ähnlich wie "wirkliche" Wahrnehmungen haben Nah-Todeserfahrungen gemeinsame Inhalte und bestehen aus einer sinnvollen szenischen Abfolge. • Menschen, die für Halluzinationen anfällig sind, erleben Nah-Todeserfahrungen nicht häufiger als andere Menschen.

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