Der Einfluss der Trauer auf Verstorbene

- 19 - "Ich kann es nicht beschreiben, was in mir vorging, als ich diesen Artikel las. Ich bemühte mich, weniger zu weinen. - Etwa 10 bis 14 Tage später, es war August, das Datum weiß ich nicht mehr, kommt mein Mann selbst zu mir. Es war etwa 04.00 Uhr nachts. Ich höre die Türe aufgehen, wache auf und denke, ich hätte das geträumt, denn ich wohne allein im Hause. In demselben Augenblick setzt sich jemand auf mein Bett, nimmt mich in die Arme, drückt mich ganz fest und küßt mich, so, wie es mein Mann jeden Abend tat, bevor er ins Bett ging, als er noch lebte. Ich schreie auf. 'Liebling, du bist bei mir! - Aber nein, du bist ja tot.' - Im selben Augenblick sehe ich sein Gesicht, obwohl es dunkel war. Ich greife mit beiden Händen nach ihm und fasse auch seine Wangen. Doch er weicht immer weiter von mir weg bis zum Fußende des Bettes. Ich sehe dabei, wie sich sein Fleisch vom Gesicht ziehen läßt, je mehr es sich von mir entfernt. Aber in meinen Händen ist nichts. Plötzlich ist er fort, und ich sitze mit ausgestreckten Armen in meinem Bett. Er sprach kein Wort. In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf mehr. Ich konnte mich nicht beruhigen und weinte und fragte immer wieder meinen Mann: 'Warum hast du mich nicht mitgenommen?' Wir hatten es uns immer versprochen, wenn einer von uns stirbt, holt er den anderen bald nach, wenn es geht. Es war mir auch so, als ob er mich so fest drückte, daß er mich gar nicht loslassen wollte und als ob er sehr traurig war. Aber das war nur so ein Gefühl in mir. Gesagt hat er nichts." Trotz dieses Erlebnisses und trotz des neu gewonnenen Wissens ist es Frau Reisch noch längere Zeit sehr schwer gefallen, ihre Trauer zu überwinden und ihren Mann loszulassen. Im Leid darfst niemals du verzagen Elisabeth Clüver 1844 - 1884 Im Leid darfst niemals du verzagen, die Hand hilft allen Kummer tragen, die dir die Prüfungszeit gesandt und oft das Leid in Freud gewandt. Ja, wenn du stets im Glücke wärst, du weißt nicht, wieviel du entbehrst, - hätt'st niemals Schmerzen du empfunden, du kenntest nicht die sel'gen Stunden, die uns das Leid, die Trübsal gibt, erst da erkennt man, wer uns liebt. Erst in des Lebens dunklen Tagen weiß man von Freundeswert zu sagen. Und oh, die Träne kennst du nicht, die aus umflortem Auge bricht, die lindert unsers Herzens Qualen und es erwärmt wie Sonnenstrahlen? Drum trag geduldig du dein Leid, der liebe Gott kennt seine Zeit. Er weiß, warum Er's dir gesandt, warum dich schlug die Vaterhand. Er wird auch, wann es Zeit Ihm scheint, das Auge trocknen, welches weint; und was dir Kummer schien zuvor, ruft dann Ergebenheit hervor.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1MzY3