Der Einfluss der Trauer auf Verstorbene

- 30 - Nach dem Gottesdienst spürte ich wieder die starke Ausstrahlung Röhms. Voller Ungestüm schien er zu mir zu kommen, fast als wolle er geistig ganz von mir Besitz ergreifen. Er drängte mich, in die Stadt zu gehen, um zu erfahren, was sich weiter zugetragen, wie sich alles entwickelt hatte. Wieder versprach ich ihm, nach Möglichkeit alle seine Wünsche zu erfüllen. Doch bat ich ihn, mich nicht gar so ungestüm zu bedrängen. Ich fürchtete, dadurch in Trance zu fallen und das Bewußtsein zu verlieren und erklärte ihm, daß ich ihm dann ja nicht mehr von Nutzen sein könne. Da hielt er sich etwas zurück. Er schien wissen zu wollen, ob irgendwo in der Stadt noch Kämpfe stattfänden. Dann suchte er mich zum 'Braunen Haus' (die Parteizentrale in jeder Stadt) zu drängen. Ich hatte den Eindruck, als schaue er dort nach Drahtverhauen, Barrikaden und Maschinengewehren aus, und immer wieder mußte ich ihm versichern, daß alles ruhig, alles beendet sei! Nun wollte er mit mir geradewegs in das 'Braune Haus' hineingehen, um nachzuforschen, was alles weiter geschehen war. Aber ich weigerte mich. Ich ging so weit, daß er das Gebäude durch meine Augen gut von außen zu sehen vermochte, nachdem er offenbar aufnehmen konnte, was ich ihm durch mein Bewußtsein übermittelte. Dann erklärte ich ihm, daß ich in diesem Haus völlig unbekannt sei, und man mich zweifellos in die nächste Irrenanstalt bringen lassen werde, wenn ich seinem Wunsch gemäß hineinginge und womöglich sagte, daß ich in seinem, des 'Verstorbenen' Auftrag komme, um mich nach dem weiteren Fortgang der Ereignisse zu erkundigen. Noch drei Tage lang war ich fast wie besessen von seiner starken Gegenwart. Ihm zu lieb durchsuchte ich im 'Café Stephanie' täglich viele in- und ausländischen Zeitungen, um zu sehen, ob ich darin irgendwelche Mitteilungen über die wahren Ziele der Erschossenen und das Schicksal der Erhebung entdecken könne, - doch fand ich dort auch nicht mehr, als ich schon wußte, so wenig es war. Ich bat deshalb Röhm innerlich, nun seinerseits zu versuchen, mich mehr erfahren zu lassen, wozu er vielleicht von 'drüben' eher die Möglichkeit hatte. Seltsamerweise erfüllte sich das nach nicht allzu langer Zeit, denn zu meiner Überraschung kam mit geheimnisvoller Miene eines Tages mein Bekannter, Herr Georg Hausmann, unerwartet zu mir mit einer dünnen Broschüre von Otto Strasser, die einige Einzelheiten über die Geschehnisse des 30. Juni und ihre Hintergründe enthielt. 'Wo haben Sie das her, wieso bringen Sie es gerade mir?' fragte ich erstaunt. Er erinnerte mich daran, daß ich auf seine, nach jener Weihehandlung am 3. Juli gestellte Frage, ob ich ein Stück mit ihm gehen wollte, erwiderte, ich hätte keine Zeit, sondern müßte sofort in die Stadt, umNäheres über den angeblichen Putsch zu erfahren. Er war sehr verblüfft, denn ihn interessierte es nicht im geringsten. Nun aber hatte ihm eine Bekannte diese Blätter aus der Schweiz mitgebracht, und da bat er, sie mir geben zu dürfen. Dr. Hermann Heisler, Priester der Christengemeinschaft, hatte mich einmal aufgefordert, an einer Weihehandlung für den Schulfreund eines Studenten teilzunehmen, die dieser erbeten hatte, weil der Mitschüler als Jude Selbstmord begangen hatte. Dr. Heisler meinte, ich könnte wohl eine Verbindung zu Toten herstellen. Tatsächlich spürte ich auch die Gedanken des Selbstmörders, der sehr erstaunt schien, daß man sich in dieser Weise um ihn bemühte und wohl wenig darauf gab, da er zu Lebzeiten kaum von der Christengemeinschaft wußte. Ich sagte ihm innerlich, es sei doch immerhin gut gemeint, daß der Student ihm helfen wollte, und er möge es wenigstens als Zeichen seiner Sympathie annehmen. Daran erinnerte ich mich jetzt, und ich bat meinerseits um eine Weihehandlung für Röhm und die anderen Erschossenen. Der Priester schien zunächst nicht abgeneigt zu sein, erklärte dann aber, es sei dies 'ein unerlaubter Eingriff in ihr Karma', den Ablauf ihres geistigen Schicksals, außerdem könnte man 'an so plötzlich und unvorbereitet gestorbene Seelen doch nicht herankommen'. Sowohl Rittelmeyer als andere Priester gaben mir später auf Befragen zu, daß dies kein stichhaltiger Grund sei. Ich war aufs Tiefste enttäuscht, mir schienen das nur Vorwände zu sein. Wahrscheinlich fürchtete dieser Priester sich, eine Handlung zu halten für Verstorbenen, die öffentlich als Verräter und Schufte gebrandmarkt worden waren. Aber es handelte sich doch hier nur darum, Seelen zu helfen, die sich in Not befanden, nicht um eine Beurteilung ihres Vorgehens. So ging ich in die katholische Frauenkirche und bestellte dort eine Seelenmesse für die Verstorbenen. Ich erklärte dem Mesner ganz aufrichtig, um wen es sich handelte, doch sagte er, das sei gleich, man könne für jeden Seelenmessen bestellen. Der damalige Dompfarrer bestätigte es. – Dann glitt Ernst Röhm mehr in den Hintergrund meines Lebens. Es vergingen viele Wochen und Monate.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1MzY3