PSYCHOWISSENSCHAFTLICHE GRENZGEBIETE Ausgesuchte Veröffentlichungen aus verschiedenen Bereichen psychowissenschaftlicher Forschung Internet: http://www.psychowissenschaften.de Quelle: Selbstverlag Werner Schiebeler (Wersch-Verlag) Prof. Dr. rer. nat. Werner Schiebeler Der Mensch und seine Bindung an Gott Parapsychologie und Religion Werner Schiebeler, Prof. Dr. rer. nat., geb. 1923 in Bremen, gest. 2006. Studium der Physik in Göttingen und 1955 Promotion mit einer Arbeit am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung in Göttingen. Von 1955-1965 Tätigkeit in der Elektroindustrie bei der Firma SEL AG in Pforzheim, davon sieben Jahre als Leiter einer Entwicklungsabteilung für elektronische Fernschreibtechnik. Ab 1965 Dozent für Physik und Elektronik an der Staatlichen Ingenieurschule in Ravensburg (heute Fachhochschule Ravensburg-Weingarten). 1983 Ruhestand. Neben den naturwissenschaftlich-technischen Lehrfächern vertrat er seit 1969 in regelmäßigen Sondervorlesungen an der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten auch das Lehrgebiet Parapsychologie und Parapsychophysik und setzt dies auch in den folgenden Jahren fort. Der Autor veröffentlichte zahlreiche Zeitschriftenartikel, Broschüren und Bücher über die verschiedensten parapsychologischen Themen. Daneben erschienen über das "Institut für den wissenschaftlichen Film" in Göttingen von ihm zwei Filme über "Paranormale Heilmethoden auf den Philippinen". Hierfür erhielt er 1974 von der "Associazone Italiana Scientifica di Metapsichica" den "Ernesto Bozzano-Preis" und 1988 den "1. Schweizer Preis" von der Schweizerischen Stiftung für Parapsychologie. Zum Gedenken an Dr. theol. Fritz Blanke, geb. 22. 04. 1900; gest. 04. 03. 1967, ehemals Professor für Dogmen- und Kirchengeschichte an der Universität Zürich, wegen seines mutigen Eintretens für die Parapsychologie.
- 2 - Die Entstehung und das Wesen der Religion Seitdem es Menschen auf dieser Erde gibt, also Lebewesen, die sich von Säugetieren dadurch unterscheiden, daß sie den Gebrauch des Feuers erfanden, mit ihren Händen Werkzeuge (zunächst aus Stein, Knochen und Holz) herstellten und eine artikulierte Sprache entwickelten, haben sie sich auch gewisse Vorstellungen über ihre Stellung in dieser Welt gemacht. Sie dachten darüber nach, was es mit Geburt und Tod auf sich hat, und was dann nach dem Tod mit den verstorbenen Menschen geschieht. Es stellte sich bei ihnen die Auffassung ein, daß es nach dem irdischen Tod eine Fortexistenz gibt, die in einer anderen Umgebung stattfindet. Da es aus der mittleren Alt-Steinzeit vor etwa 200.000 Jahren, in der die ersten Totenkulte nachweisbar sind (45, S. 21), keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, kann man dies nur aus den Begräbnisriten und Totenkulten schließen. Deren Zeugnisse fördern die Archäologen durch ihre Ausgrabungen zutage. Die steinzeitlichen Menschen ließen ihre Verstorbenen nicht einfach irgendwo liegen, wie die Tiere es tun, sondern "bestatteten" sie mehr oder weniger feierlich. Aus der Art der Begräbnisstätten sowie aus anderen Kultanlagen, kleinen Plastiken, Felsbildern und Ornamenten ergibt sich ein Bild vom Glauben und Denken der prähistorischen Menschen. Das Vorhandensein von Grabbeigaben in Form von Lebensmitteln, Gerätschaften und Waffen zeigt, daß man an eine Fortsetzung des Daseins nach dem irdischen Ableben glaubte. Aus Achtung, Verehrung und Fürsorge für den Verstorbenen, aber auch aus Furcht vor ihm, war man bemüht, ihm das weitere Leben in der neuen Umgebung durch Grabbeigaben zu erleichtern. Man glaubte, daß sie auf irgendeine geheimnisvolle Weise mit ins Jenseits gelangten, wo sie dem Verstorbenen dann von Nutzen sein sollten (45, S. 137). Für die überwiegende Zahl der prähistorischen Menschen sowie des geschichtlichen Altertums galt die jenseitige Welt, die Welt der Geister, als ein Ort, wo die Verstorbenen je nach ihren irdischen Verdiensten und ihrem sozialen Rang eine dem Erdenleben vergleichbare Existenz führten. Mörder, Diebe, Lügner, Ehebrecher, Feiglinge und alle anderen, die auf Erden ihre Pflichten gegenüber der Gemeinschaft verletzt hatten, gelangten nicht in ein schönes Land mit angenehmen Lebensverhältnissen, nicht in ein "Paradies", sondern waren verdammt, in dunklen, öden und felsigen Gegenden umherzuwandern. Die heutigen Menschen werden im allgemeinen geneigt sein, derartige Anschauungen als Wunschvorstellungen abzutun, die den damaligen Menschen das Ereignis des Todes erträglicher erscheinen lassen sollte. Die Annahme einer jenseitigen Welt mit einer ausgleichenden Gerechtigkeit nach dem Tod, so denkt man heute, wurde der Bevölkerung vorgeredet, um sie auf dieser Erde gefügig zu halten. Nun weiß man aber aus schriftlichen Berichten des Altertums und den Gebräuchen neuzeitlicher Naturvölker, die noch nicht mit der europäischen Zivilisation in Berührung gekommen waren (Indianer, Eskimos, Neger, Maoris usw.), ja auch von Völkern, die bis vor kurzen noch in der Steinzeit lebten, und erst in jüngster Vergangenheit erstmals mit Weißen Verbindung hatten (Neuguinea), daß diese Menschen über auserwählte Mittelspersonen eine direkte Verbindung mit ihren verstorbenen Ahnen und der jenseitigen Welt pflegten. Diese Mittelspersonen werden als Priester, Medizinmänner, Schamanen oder Zauberer bezeichnet. Doch die Tätigkeit dieser Mittler wird von Schulwissenschaftlern, modernen Theologen und der "aufgeklärten" Allgemeinheit als Hokuspokus, Täuschung oder Scharlatanerie abgetan. Der Glaube an eine mögliche Verbindung mit einer jenseitigen Welt gilt als Aberglaube. Nun hat aber die neuzeitliche wissenschaftliche Parapsychologie1 seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch vielfältige Erfahrungsbeweise (61; 80; 81; 82) gezeigt, daß es tatsächlich ein Weiterleben nach dem irdischen Tod und eine jenseitige Welt gibt. Von daher gesehen darf man die Anschauungen 1 Ihren Namen hat diese Wissenschaft durch den deutschen Mediziner und Prof. für Psychologie Max Dessoir (1867 - 1947) erhalten, der vorschlug, die Phänomene, die sich weder der Psychologie des Normalen, noch der Psychopathologie zuordnen lassen, mit dem Namen "Parapsychologie" zu belegen. In neuer Zeit hat der Südtiroler katholische Theologe Prof. Andreas Resch (geb. 1934) die bessere Bezeichnung "Paranormologie" vorgeschlagen, da es sich bei diesem Gebiet nicht nur um rein psychischen Phanomene handelt.
- 3 - prähistorischer Erdbewohner und der Menschen des geschichtlichen Altertums und der Naturvölker der Neuzeit nicht einfach als Aberglauben abtun. Man muß ihnen reale Grunderfahrungen im Verkehr mit einer Geisterwelt zubilligen, die sie dann entsprechend ihrem jeweiligen Verständnis mehr oder weniger prächtig zu einer religiösen Lehre ausgeschmückt haben. Dabei gibt es Religionen, die so urtümlich sind, daß sie keine Tempel, keine Altäre und keine Gebete kennen. Es gibt aber keine Religion, die nicht den Glauben an einen Wechselverkehr zwischen Geistern und Menschen enthält. Die Mindestformel zur Definition einer Religion besteht daher im Geisterglauben, der sich selbst bei den rückständigsten Menschenrassen findet. Er beinhaltet immer die Existenz einer Seele, die den körperlichen Tod überlebt (11, S. 7). In weiteren Entwicklungsstufen entfalteten sich aus den reinen Ahnenkulten Religionsformen mit sogenannten Göttern und Göttinnen, also Wesenheiten, die nicht mit den verstorbenen Vorfahren identisch waren, sondern die Bewohner der jenseitigen Welt mit außerordentlicher Macht und überirdischen Fähigkeiten sein sollten. Es handelte sich dabei um Götter des Himmels, der Winde, der Sonne, der Berge, des Wassers usw. Sie herrschten über die Welt, über die Menschen oder über ihren Bereich (z. B. den Wind, das Meer oder ein Gebirge). Dem höchsten der Götter schrieb man im allgemeinen die Erschaffung der Welt mit ihren Lebewesen und des Himmelsgewölbes mit seinen Sternen zu. Die Götter wachten auch über die sittliche Ordnung der Menschen und verteilten Belohnung und Strafe sowohl auf dieser Welt als auch im nachtodlichen Bereich. Die Gunst der Götter und ihr Wohlgefallen mußten die Menschen unserer Erde zu gewinnen trachten. Sie versuchten dies durch Verehrung, Anbetung, den Bau von Tempeln oder reichliche Opfergaben zu erreichen. Für solche Systeme prägten die antiken Römer den Begriff "Religion" (lat. religio). Er bedeutet: Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt, Gottesfurcht, Frömmigkeit, Verehrung, Gottesdienst, heiliges Versprechen. Das Wort leitet sich her von dem lateinischen Tätigkeitswort religare = festbinden, umwinden, zurückbinden; ligare = binden, anbinden2. Die Römer verstanden unter "religio" die genaue Erfüllung aller Pflichten gegenüber den zahllosen vom römischen Staat anerkannten höheren, außerirdischen Mächten. Von daher hat sich der Begriff "Religion" ganz allgemein zu einem Gefühl der Verbundenheit, Abhängigkeit und Unterordnung gegenüber einer geheimnisvollen, beherrschenden, schützenden und verehrungswürdigen Macht entwickelt. Religion gibt Halt, Hilfe und beseligt. Religiöses Erleben äußert sich im Gebet, im Dienen, im Gehorsam und in der Hingabe an ehrfurchtgebietende, übergeordnete Wesenheiten. Religion ist also die Bindung an eine höhere Macht. Nicht nur bei der Entwicklung der Ahnenkulte, sondern auch bei der Entstehung der einfachen und höheren Religionen müssen wir davon ausgehen, daß wirkliche Erfahrungen der Menschen zu ihrer Bildung und Formung geführt haben. Im Laufe der Zeit ist dann zwar sehr viel Menschliches und oft auch Phantastisches dazugekommen, aber der eigentliche Ursprung war real. Er beruhte auf der tatsächlichen Verbindung gewisser besonders veranlagter und auserwählter Menschen (Priester, Seher, Propheten, Schamanen usw.) mit überirdischen Mächten. Diese mußten nicht immer gutartig sein, sondern waren manchmal auch bösartig. Wir können das deshalb mit guten Gründen behaupten, weil solches auch heute noch geschieht und in allen Einzelheiten beobachtet werden kann. Die dabei auftretenden Begleiterscheinungen (Wunder, physikalische Phänomene, Krankenheilung, Trance-Rede, direkte Schrift, Präkognition) wurden und werden innerhalb des Gebietes der Parapsychologie in reichem Umfang beobachtet, untersucht und als Realität bestätigt (81). Und was heute noch vorkommt, kann genauso vor 3.000 oder 100.000 Jahren abgelaufen sein. "Aufgeklärte" Menschen haben da allerdings eine ganz andere Ansicht. Sie sind, wie z. B. der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach (1804 - 1872), der Meinung, daß nicht Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat, sondern umgekehrt die Menschen ihre Götter nach ihrem Bilde erdacht haben. Sie sehen die Aussagen der Religionen nur als Projektionen menschlicher Wünsche und Anschauungen in ein eingebildetes Jenseits hinein an. Wer sich aber mit den Forschungsergebnissen einer nicht nur auf Telepathie und Hellsehen beschränkten Parapsychologie vertraut gemacht hat, sollte erkennen, daß diese "aufge- 2 Eine andere Herleitung geht aus von dem lateinischen Tätigkeitswort relegere = wieder lesen, wieder durchgehen, wieder erwägen, überdenken; legere = lesen, sammeln, zusammenwickeln. Mir erscheint diese Deutung nicht überzeugend zu sein.
- 4 - klärte" Anschauung jeder Grundlage entbehrt. Es gibt tatsächlich eine jenseitige Welt, aus der heraus Einwirkungen auf unsere irdische Welt erfolgen können. Ob allerdings die unterschied-lichen Geistwesen, die sich als Götter ausgaben oder als solche angesehen wurden, wirklich die waren, die sie zu sein behaupteten, nämlich Vertreter einer höchsten Macht, ist eine ganz andere Frage. Wir werden uns mit ihr später noch ausführlich befassen. Die zahlreichen religiösen Kulte waren sehr unterschiedlich. Meistens mußte den Göttern nicht nur durch ein sozialverträgliches Leben gedient werden, sondern diese verlangten nach Ansicht der Menschen auch umfangreiche Opfergaben. Üblich waren Speis- und Trank-Opfer, Tieropfer und in machen Kulten auch Menschenopfer (Opferung von Gefangenen oder kleinen Kindern). Auch Prostitution und Tempel-Prostitution wurden zur göttlichen Verehrung durchgeführt. Manche Jenseitsmächte galten als menschenfeindlich und wurden als Dämonen bezeichnet. Vor ihnen mußte man sich hüten und sie besänftigen, meist wiederum durch Opfer. Die vielen Religionsformen mit ihren zahlreichen Göttern werden als Polytheismus3 bezeichnet. Sie haben sich bis in die heutige Zeit hinein erhalten. Um das Jahr 2.000 v. Chr. setzte aber eine neue Entwicklung ein. Damals wohnte zunächst in Ur in Chaldäa am Unterlauf des Euphrat (heutiger Irak) ein semitischer Nomade namens Thara. Er lebte dort mit seiner Familie, darunter ein Sohn mit Namen Abram, in einer polytheistischen Umwelt. In der dortigen Religion genoß der Mondgott Nannar besondere Verehrung. Thara zog zunächst mit seiner Familie in nordwestlicher Richtung über Babylon nach Haran im heutigen Nordsyrien. Hier starb Thara (1. Mose 11,32). Seinen Sohn Abram aber erreichte dort der Ruf eines neuen Gottes, der sich als der "Höchste" vorstellte und ihm 24 Jahre später sagte (1. Mose 17,1)4: "Ich bin der allmächtige Gott. Wandle vor mir und sei fromm." Bei den Verbindungen mit diesem neuen, allmächtigen Gott heißt es immer: "Der HErr sprach zu Abram, der HErr sagte zu Abram, der HErr erschien ihm." Wie das genau ablief, berichtet uns die Bibel, in der die Vorgänge beschrieben sind, zunächst nicht. Es kann sich dabei um Visionen (innere bildhafte Eindrücke) mit quasi-akustischen Informationen (innerlich gehörte Worte) oder auch um sehr intensive und später gut erinnerbare Träume gehandelt haben. Erst zu späterer Zeit heißt es im 1. Mose 15,1: "Nach diesen Begebenheiten erging das Wort des HErrn an Abram in einem Gesicht also: 'Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin ja dein Schild. Dein Lohn soll groß sein!'" Hier wird klar von einer Vision gesprochen. Wir haben damals eine Geburtsstunde einer neuen, monotheistischen5 Religion vor uns, in der nur ein Gott anstelle der vielen anderen Götter auftrat und für sich die alleinige Verehrung und den ausschließlichen Dienst verlangte. Das bedeutet aber nicht, daß die anderen Götter ausschließlich Gestalten der Einbildung der Menschen gewesen waren oder auch heute noch sind. Es waren und sind Wesenheiten einer jenseitigen Welt, die über einen gewissen Einfluß und Macht verfügten und deshalb von den Menschen als etwas Besonderes, Überirdisches, eben als Götter angesehen wurden. Von ihnen ließ man sich leiten und helfen. Wie sie aber aus der Sicht der neuen monotheistischen Religion einzustufen sind, wird später genauer erläutert werden. Die erlebten "Offenbarungen" beeindruckten den Nomaden Abram derart, daß er den göttlichen Anweisungen hinfort bedingungslos gehorchte. Wenn ich von einer Geburtsstunde einer neuen monotheistischen Religion sprach, so deshalb, weil Abram bei seinen späteren Wanderungen in Jerusalem (in der Bibel Salem genannt) mit einem Mann namens Melchisedek (übersetzt: König der Gerechtigkeit) zusammentraf. Dieser wird in der Bibel 3 Von griech. polys = viel, zahlreich und theos = Gott. 4 Alle Bibelzitate nach der Übersetzung (62) von Prof. Dr. Hermann Menge. 5 Von griech. monos = allein, einzig.
- 5 - (1. Mose 14,18) als König und Priester des höchsten Gottes bezeichnet. Er segnete Abram mit den Worten: "Gesegnet seist du, Abram, vom höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und gepriesen sei der höchste Gott, der dir deine Feinde in die Hand geliefert hat." Abram war von Melchisedek so beeindruckt, daß er ihm den zehnten Teil seiner Habe übergab. Der Bericht zeigt, daß dieser neue, höchste Gott außer bei Abram auch schon an anderer Stelle in Erscheinung getreten war. - Zunächst erging an Abram in Haran der göttliche Auftrag (1. Mose 12,1): "Verlaß dein Land und deine Verwandtschaft und deines Vaters Haus und ziehe in das Land, das ich dir zeigen werde, denn ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen werden. Ich will die segnen, die dich segnen, und wer dich verflucht, den will ich verfluchen; und in dir sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden." Abram folgte diesem Auftrag und machte sich mit seiner Frau Sarai, seinem Neffen Lot, seinem Gesinde und aller Habe auf einen 600 km langen (Luftlinie) Weg. Er führte ihn in südsüdwestlicher Richtung über Damaskus in das Land Kanaan (Teil des heutigen Palästina). Dort ließ sich Abram zunächst in oder bei dem Städtchen Sichem nieder. Das war ein mit einer Stadtmauer umgebener Verkehrsknotenpunkt 50 km nördlich von Jerusalem. In seiner Nähe befand sich unter einer Terebinthe (ein Steinfruchtbaum) eine heilige Orakelstätte, wo über einen Priester oder Priesterin jenseitige Wesenheiten, also Götter, von Menschen befragt werden konnten. Derartige Orakelstätten gab es im Altertum in großer Zahl. Sehr bekannt geworden sind die des antiken Griechenlands und dort besonders die von Dodona und Delphi. Bei dieser heiligen Orakelstätte meldete sich bei Abram wieder sein Gott und HErr und sagte ihm (1. Mose 12,7): "Deinen Nachkommen will ich dieses Land geben." Das veranlaßte Abram, an dieser Stelle, wo der HErr ihm erschienen war, einen Altar zu bauen. Abram zog nun in südlicher Richtung weiter im Land umher. Als jedoch eine große Hungersnot ausbrach, machte er sich mit seiner Familie, dem Gesinde und den Tieren auf den Weg nach Ägypten. Dort blieb er einige Zeit und gab dabei seine Frau Sarai als seine Schwester aus. Das gab ihm die Möglichkeit, seine Frau an den Hof des ägyptischen Königs, des Pharao, zu lancieren. Dieser machte sie sehr bald zu seiner Nebenfrau (1. Mose 12,19) und belohnte dafür den Abram reichlich mit Dienstpersonal und Vieh. Als er jedoch dahinterkam, daß Sarai, seine neue Nebenfrau, bereits Abrams Ehefrau war, wies er diesen kurzerhand mitsamt Sarai, dem Gesinde und Herden unter militärischer Bedeckung aus Ägypten aus. Abram blieb dabei trotzdem ein sehr wohlhabender Mann, reich an Herden, Gold und Silber (1. Mose 13,3), und zog nun wieder in die Gegend nördlich von Jerusalem (Bethel). Dort hielt er sich für viele Jahre auf, bekam zunächst von einer ägyptischen Dienstmagd Hagar einen Sohn Ismail, dann im vorgerückten Alter von seiner Frau Sarai einen Sohn Isaak. Nach dem Tod seiner Frau nahm er eine neue Hauptfrau Ketura. Von ihr bekam er weitere sechs Söhne. Immer wieder hatte Abram Verbindung mit seinem Gott, der ihm z. B. sagte (1. Mose 17,2): "Ich will einen Bund zwischen dir und mir stiften und dich überaus zahlreich werden lassen." Da warf sich Abram auf sein Angesicht nieder. Gott aber redete weiter mit ihm: "Wisse wohl: Mein Bund mit dir geht dahin, daß du der Stammvater einer Menge von Völkern werden sollst. Darum sollst du hinfort nicht mehr Abram (d. h. erhabener Vater) heißen, sondern dein Name soll jetzt Abraham (d. h. Vater einer Menge) lauten; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt. Ich will dich also überaus zahlreich werden lassen und dich zu Völkern machen. Auch Könige sollen von dir abstammen. Und ich will meinen Bund errichten zwischen mir und dir und deinen Nachkommen nach dir, Geschlecht für Geschlecht, als einen ewigen Bund, um dein Gott und der deiner Nachkommen nach dir zu sein. Und ich will dir und deinen Nachkommen nach dir das Land, in dem du jetzt als Fremdling weilst, nämlich das ganze Land Kanaan, zum ewigen Besitz geben und will ihr Gott sein."
- 6 - Dies ist der sogenannte "Alte Bund", auf den sich die Juden heute noch berufen und von dem sie auch ihre heutigen Besitzansprüche auf ganz Palästina herleiten. Bei obiger Gelegenheit erhielt auch seine damals noch lebende Frau Sarai von Gott einen neuen Namen. Sie sollte hinfort Sara (d. h. Fürstin) heißen. Saras und Abrahams Sohn Isaak hatte zwei Söhne namens Esau und Jakob. Letzterer handelte seinem älteren Bruder das Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht ab (1. Mose 25,29 f) und täuschte danach mit Hilfe der Mutter seinen blinden Vater, um auch dessen Erstgeburtssegen zu erhalten. Aus Angst vor der Rache seines Bruders Esau floh Jakob alsbald nach Haran, wo schon sein Großvater Abraham gewesen war. 20 Jahre lebte er dort und wurde ein wohlhabender Mann, ehe er nach Kanaan zurückkehrte. Er heiratete zwei Frauen (Lea und Rahel) und bekam von ihnen und zwei Sklavinnen insgesamt zwölf Söhne und eine Tochter. Diese zwölf Söhne wurden später die Stammväter der zwölf Stämme Israel. Auch Jakob hatte Verbindung zu Gott. In der Bibel heißt es (1. Mose 35,9): "Da erschien Gott dem Jakob zum zweitenmal seit seiner Rückkehr aus Nord-Mesopotamien und segnete ihn; und Gott sagte zu ihm: 'Dein Name ist Jakob; aber künftig sollst du nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel soll dein Name sein; so gab er ihm den Namen Israel.' Weiter sagte Gott zu ihm: 'Ich bin der allmächtige Gott; sei fruchtbar und mehre dich! Ein Volk, ja eine ganze Menge von Völkern soll aus dir werden, und Könige sollen unter deinen leiblichen Nachkommen sein. Und das Land, das ich Abraham und Isaak gegeben habe, will ich dir geben und es auch deiner Nachkommenschaft nach dir verleihen.' Hierauf fuhr Gott von ihm in die Höhe empor an der Stätte, wo er mit ihm geredet hatte. Da errichtete Jakob einen Denkstein an der Stätte, wo er mit ihm geredet hatte, ein Denkmal von Stein, und goß ein Trankopfer auf dasselbe aus und begoß es mit Öl. Und Jakob nannte die Stätte, wo Gott mit ihm geredet hatte, 'Bethel' (d. h. Haus Gottes)." Leider behandelte Jakob seine zwölf Söhne nicht in gleicher Weise, sondern bevorzugte seinen zweitjüngsten Sohn Joseph in starkem Maße. Das erregte den Neid seiner elf Brüder, und sie beschlossen, ihn umzubringen. Doch dann überlegten sie es sich anders und verkauften ihren Bruder Joseph für 20 Silberstücke an midianitische Kaufleute, die auf dem Wege nach Ägypten waren (1. Mose 37,28). Dort angekommen verkauften die Midianiter den Joseph weiter an einen ägyptischen Hofbeamten namens Potiphar. Er war der Kommandeur der königlichen Leibgarde. In der Bibel heißt es dann (1. Mose 39,2): "Gott der Herr aber war mit Joseph, so daß ihm alles gelang, während er im Hause seines Herrn, des Ägypters, war. Dieser faßte Vertrauen zu seinem neuen Sklaven und machte ihn zum Aufseher über sein Hauswesen und zum Verwalter seines ganzen Besitzes." Aber auch die Frau Potiphars fand Gefallen an Joseph und versuchte über lange Zeit hinweg, ihn zu verführen. Als ihr das nicht gelang, bezichtigte sie gegenüber ihrem Mann den Joseph eines Vergewaltigungsversuches an ihr. Der ließ darauf seinen Sklaven kurzerhand ins Gefängnis werfen (1. Mose 39,19). Aber auch dort gelang es Joseph mit Gottes Hilfe, die Gunst und Zuneigung aller Aufseher und selbst des Gefängnisdirektors zu erlangen. Letzterer übertrug Joseph sogar die Aufsicht über die Gefangenen, und es heißt (1. Mose 39,23): "Der oberste Aufseher des Gefängnisses kümmerte sich um gar nichts bei allem, was ihm (dem Joseph) anvertraut war, denn Gott der HErr war mit ihm, und Gott ließ alles gelingen, was er vornahm." Einige Zeit später verfügte der ägyptische König die Verhaftung seines Obermundschenken und seines Oberhofbäckers wegen Unregelmäßigkeiten in ihrem Aufgabenbereich. Mit deren Betreuung und Bewachung wurde ebenfalls Joseph betraut. Da träumten diese beiden in der Haftanstalt je einen eigenen
- 7 - rätselhaften Traum von besonderer Bedeutung, der sie stark bedrückte. Am anderen Morgen erzählten sie ihn jeweils dem Joseph. Der Obermundschenk berichtete (1. Mose 40,9): "In meinem Traume war es mir, als ob ich einen Weinstock vor mir stehen sähe; an diesem Weinstock waren drei Reben; und sowie er anfing zu treiben, brachen auch schon seine Blüten hervor, und die Trauben brachten die Beeren zur Reife. Ich aber hielt den Becher des Pharaos in der Hand, nahm die Trauben, preßte sie aus in den Becher des Pharaos und gab dann den Becher dem Pharao in die Hand." Da sagte Joseph zu ihm: "Dies ist die Deutung: Die drei Weinreben sind drei Tage; in drei Tagen von heute ab wird der Pharao dir das Haupt erheben, indem er dich wieder in dein Amt einsetzt, so daß du ihm den Becher in die Hand gibst, ganz nach der früheren Weise, als du noch sein Mundschenk warst. Aber halte dann auch die Erinnerung an mich fest, wenn es dir wieder gut geht, erweise mir dann die Liebe, den Pharao auf mich aufmerksam zu machen, und bringe mich aus diesem Hause hinaus! Denn ich bin aus dem Lande der Hebräer heimlich gestohlen worden und habe auch hier gar nichts begangen, daß man mich in den Kerker geworfen hat." Als nun der Oberbäcker sah, daß Joseph eine günstige Deutung gegeben hatte, sagte er zu Joseph: "Auch in meinem Traume war es mir, als trüge ich drei Körbe mit feinem Gebäck auf meinem Haupte; und in dem obersten Korb befanden sich allerlei Eßwaren für den Pharao, wie sie der Bäcker herstellt; aber die Vögel fraßen sie aus dem Korbe auf meinem Haupte weg." Da sagte Joseph: "Dies ist die Deutung des Traumes: Die drei Körbe sind drei Tage; in drei Tagen von heute ab wird der Pharao dir das Haupt erheben, nämlich dich an einen Baum hängen lassen; da werden dann die Vögel das Fleisch von dir oben wegfressen." Drei Tage später nun war der Geburtstag des Pharaos; da veranstaltete er ein Festmahl für alle seine Diener und erhob seinem Obermundschenken und seinem Oberbäcker das Haupt inmitten seiner Diener; den Obermundschenken setzte er wieder in sein Schenkenamt ein, so daß er dem Pharao wie-der den Becher zu reichen hatte; den Oberbäcker aber ließ er hängen, ganz so, wie Joseph ihnen (die Träume) gedeutet hatte. Aber der Obermundschenk dachte nicht mehr an Joseph, sondern vergaß ihn. Zwei Jahre später hatte der ägyptische Pharao ebenfalls einen Traum (1. Mose 41,1): "Ihm war es, er stehe am Nil. Da sah er aus dem Strom sieben schöne, wohlgenährte Kühe heraufsteigen und im Riedgras weiden. Dann sah er nach diesen sieben andere Kühe aus dem Strom heraufsteigen, die sahen häßlich aus und waren mager am Fleisch und traten neben die anderen Kühe am Ufer des Stromes; hierauf fraßen die häßlichen und mageren Kühe die sieben schönen und wohlgenährten Kühe auf. Da erwachte der Pharao. Als er dann wieder eingeschlafen war, hatte er einen zweiten Traum; und zwar sah er sieben Ähren oben an einem Halme wachsen, dicke und schöne; nach diesen aber schossen sieben dünne und vom Ostwind versengte Ähren hervor, und diese dünnen Ähren verschlangen die sieben dicken und vollen Ähren. Da erwachte der Pharao und merkte, daß es ein (bedeutungsvoller) Traum war. Am Morgen fühlte er sich darüber innerlich beunruhigt, so daß er alle Schriftkundigen Ägyptens und alle Weisen des Landes rufen ließ; er erzählte ihnen seine Träume, aber es war keiner da, der sie dem Pharao zu deuten vermochte." Da machte der Obermundschenk den Pharao auf die Deutung seines damaligen Traumes im Gefängnis durch Joseph aufmerksam. Der König war davon beeindruckt und ließ Joseph sofort holen. Zuvor schickte man ihn noch zum Friseur und ließ ihn neu einkleiden. - Der Pharao redete Joseph mit folgenden Worten an (1. Mose 41,15): "Ich habe einen Traum gehabt, aber niemand weiß ihn zu deuten, Nun habe ich von dir sagen hören, du brauchtest einen Traum nur zu hören, so könntest du ihn schon deuten." Da antwortete Joseph dem Pharao: "O nein, nicht ich! Aber Gott wird etwas kundtun, was dem Pharao Segen bringt."
- 8 - Die Deutung, die Joseph auf den Traumbericht dann gab, war folgende (1. Mose 41,25): "Was der Pharao geträumt hat, bedeutet ein und dasselbe: Gott hat dem Pharao angekündigt, was er zu tun gedenkt. Die sieben schönen Kühe bedeuten sieben Jahre, und die sieben schönen Ähren bedeuten auch sieben Jahre; es ist ein und derselbe Traum. Auch die sieben mageren und häßlichen Kühe, die nach ihnen (aus dem Strom) herausstiegen, sind sieben Jahre, und die sieben leeren, vom Ostwind versengten Ähren bedeuten, daß sieben Hungerjahre kommen werden. Das meinte ich, als ich (vorhin) zum Pharao sagte: 'Gott hat dem Pharao geoffenbart, was er zu tun gedenkt.' Wisse: es werden sieben Jahre mit großem Überfluß im ganzen Land Ägypten kommen; aber nach diesen werden sieben Hungerjahre eintreten, so daß der ganze Überfluß im Lande Ägypten vergessen sein wird; und die Hungersnot wird das Land so verzehren, daß man von dem früheren Überfluß im Lande Ägypten nichts mehr merken wird infolge der späteren Hungersnot; denn diese wird überaus schwer sein. Daß aber der Traum sich dem Pharao zweimal wiederholt hat, das bedeutet: die Sache ist bei Gott fest beschlossen, und Gott wird sie ohne Verzug ausführen. Und nun möge der Pharao sich nach einem einsichtigen und weisen Manne umsehen, den er über das Land Ägypten setze! Und der Pharao wolle Vorsorge tragen, daß er Aufseher über das Land bestelle, und erhebe den fünften Teil des Ertrages vom Lande Ägypten während der sieben Jahre des Überflusses! Man sammle so den gesamten Ernteertrag jener guten Jahre, die nun kommen werden, und speichere das Getreide unter der Obhut des Pharaos als Vorrat in den Städten auf und verwahre es dort. Dann wird dieser Vorrat dem Lande einen Rückhalt für die sieben Hungerjahre gewähren, die im Lande Ägypten eintreten werden, und das Land wird durch die Hungersnot nicht zugrunde gerichtet werden." Der Pharao fand den Vorschlag gut und antwortete (1. Mose 41,40): "Nachdem Gott dir dies alles geoffenbart hat, gibt es keinen, der so einsichtig und weise wäre wie du. Du selber sollst über mein Haus gesetzt sein, und deinen Befehlen soll mein ganzes Volk sich fügen; nur den Besitz des Thrones will ich vor dir voraushaben.' Weiter sagte der Pharao zu Joseph: 'Hiermit setze ich dich über das ganze Land Ägypten!' Darauf zog der Pharao seinen Siegelring vom Finger und steckte ihn dem Joseph an die Hand, ließ ihn in Gewänder von Byssus kleiden und legte ihm die goldene Kette um den Hals." Nun war Joseph, der damals 30 Jahre alt war, ein mächtiger Mann. Wie er es vorausgesagt hatte, kamen die sieben Jahre mit Ernten in Hülle und Fülle. Die Speicher quollen über. Dann aber kamen die sieben Jahre mit Mißernten, nicht nur in Ägypten, sondern auch in den umliegenden Ländern, also auch in Kanaan, wo Josephs Familie lebte. Als Jakob, jetzt Israel genannt, erfuhr, daß in Ägypten Korn zu haben sei, schickte er zehn seiner Söhne mit entsprechenden Geldmitteln und Tragtieren auf die Reise, um in Ägypten Getreide einzukaufen. Nur seinen jüngsten Sohn Benjamin, den direkten Bruder von Joseph, die beide von seiner Lieblingsfrau Rahel stammten, behielt er zu Hause. Als die zehn Brüder in Ägypten ankamen, wurden sie vor Joseph geführt, dem sie ihr Kaufbegehren vortrugen. Er erkannte sie sofort, sie ihn aber nicht, denn er verhandelte mit ihnen nur über einen Dolmetscher. Er verhörte sie eingehend und verdächtigte sie zum Schein, nur Kundschafter zu sein. Er wollte ihnen nur glauben, wenn sie ihren jüngsten Bruder Benjamin nach Ägypten brächten. Damit sie das auch wirklich ausführten, behielt er ihren Bruder Simeon zurück. Dann ließ Joseph die Säcke der jetzt nur noch zehn Brüder mit Getreide füllen, rüstete sie mit dem erforderlichen Reiseproviant aus und ließ ihnen heimlich das bezahlte Geld wieder in ihre Säcke legen. Als sie zu Hause ankamen, weigerte sich ihr Vater Israel zunächst, seinen jüngsten Sohn Benjamin nach Agypten zu schicken. Er befürchtete, nach Joseph auch diesen zweitliebsten Sohn zu verlieren. Doch als der mitgebrachte Getreidevorrat aufgebraucht war und noch immer Hungersnot herrschte, blieb Israel nichts anderes übrig, als seine Söhne erneut nach Ägypten zu schicken. Diesmal mußte er auch seinen Sohn Benjamin mitreisen lassen, denn ohne ihn durften die Brüder nicht wiederkommen, das hatte Joseph ausdrücklich gesagt. - Das ganze bisher berichtete und anschließend kommende
- 9 - Geschehen schildert die Bibel ausgesprochen spannend mit vielen Einzelheiten, die hier der Kürze wegen übergangen werden. Die zehn Söhne Israels wurden von Joseph zuvorkommend empfangen und sofort mit dem gewünschten Getreide versorgt. Zugleich ließ er aber seinem Bruder Benjamin heimlich einen silbernen Trinkbecher in seinen Getreidesack schmuggeln. Als die Brüder die Stadt mit ihren Tragtieren verlassen hatten, schickte er die Polizei hinterher und beschuldigte sie, um sie noch etwas zappeln zu lassen, des Diebstahls. Er ließ sie zurückbringen und durchsuchen. Natürlich wurde in dem Sack des Benjamin der Becher gefunden. Joseph gab sich darüber sehr aufgebracht und drohte (zum Schein), den Benjamin als Sklaven zurückzubehalten. Das veranlaßte seine Brüder, sich aufs Jammern und Bitten zu verlegen. Da wurde Joseph von Rührung übermannt und gab sich unter Tränen seinen Brüdern gegenüber zu erkennen. Die waren natürlich in höchstem Maße bestürzt und fürchteten das Schlimmste. Doch er beruhigte sie mit den Worten (1. Mose 45,4): "Ich bin euer Bruder Joseph, den ihr nach Ägypten verkauft habt! Nun beunruhigt euch aber nicht, und macht euch keine Vorwürfe darüber, daß ihr mich hierher verkauft habt! Denn um uns alle am Leben zu erhalten, hat Gott mich euch vorausgesandt. Jetzt herrscht die Hungersnot erst zwei Jahre im Lande, und fünf Jahre stehen noch bevor, in denen kein Pflügen und kein Ernten stattfinden wird. Darum hat Gott mich euch vorausgesandt, um das Fortbestehen eures Geschlechtes auf Erden zu sichern und um euch, eine große Schar von Erretteten, am Leben zu erhalten. So habt also nicht ihr mich hierher gebracht, sondern Gott; der hat mich dem Pharao zum Vater gemacht und zum Herrn über sein ganzes Haus und zum Gebieter im ganzen Lande Ägypten. Zieht nun eilends zu meinem Vater hinauf, und meldet ihm: 'So läßt dir dein Sohn Joseph sagen: Gott hat mich zum Gebieter von ganz Ägypten gemacht; komm zu mir herab, säume nicht. Du sollst im Lande Gosen wohnen und in meiner Nähe sein, du, deine Kinder und Kindeskinder samt deinem Kleinvieh und deinen Rindern und deinem ganzen Hab und Gut. Ich will dich daselbst versorgen, denn noch fünf Jahre wird die Hungersnot dauern, damit du nicht verarmst, du und dein Haus und alles, was du besitzest. Ihr seht es ja mit eigenen Augen, und auch mein Bruder Benjamin sieht es mit eigenen Augen, daß ich persönlich es bin, der zu euch redet. Berichtet also meinem Vater alle die hohen Ehren, die ich in Ägypten habe und alles, was ihr gesehen habt, und bringt meinen Vater eilends hierher!' Darauf fiel er seinem Bruder Benjamin um den Hals und weinte, und auch Benjamin weinte an seinem Halse; dann küßte er alle seine Brüder und umarmte sie unter Tränen; nun erst vermochten auch seine Brüder mit ihm zu reden." Nach anfänglichem Sträuben, weil er die ganze Geschichte zuerst nicht glaubte, war schließlich Israel bereit, die alte Heimat zu verlassen. Seine gesamte Familie, bestehend aus 66 männlichen Angehörigen und ihren Frauen und Töchtern, verließ mit Sack und Pack das Land Kanaan und machte sich auf die Wanderung nach Ägypten. Unterwegs in Beer-Seba (70 km südsüdöstlich von Jerusalem) hatte Israel noch einmal eine göttliche Offenbarung (1. Mose 46,2): "Da redete Gott mit Israel nachts in einem Gesicht und sagte: 'Jakob, Jakob!' Er antwortete: 'Hier bin ich!' Darauf sagte Gott: 'Ich bin Gott, der Gott deines Vaters! Fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen. Denn ich will dich dort zu einem großen Volk machen. Ich selbst will mit dir nach Ägypten hinabziehen, und ich selbst will dich auch wieder zurückführen (einst, nach seinem Tod, als einbalsamierte Leiche), und Josephs Hand soll dir die Augen zudrücken.' Da brach Jakob von Beer-Seba auf, und seine Söhne ließen ihren Vater Jakob nebst ihren Kindern und ihren Frauen auf den Wagen fahren, die der Pharao geschickt hatte, um ihn zu holen. Sie nahmen auch ihr Vieh und ihre Habe mit, die sie im Lande Kanan erworben hatten, und kamen so nach Ägypten, Jakob mit seiner gesamten Nachkommenschaft: seine Söhne und Enkel, seine Töchter und Enkelinnen, überhaupt seine ganze Nachkommenschaft brachte er mit sich nach Ägypten."
- 10 - Dieses Ereignis läßt sich geschichtlich nur ungenau datieren. Es muß zwischen 1900 und 1700 v. Chr. stattgefunden haben. Als Wohnort wurde den Israeliten das Land Gosen im östlichen Nildelta zugewiesen. Dort lebten ihre Nachkommen 430 Jahre lang (2. Mose 12,40) und vermehrten sich in dieser Zeit zu einem großen Volk. Die ägyptischen Könige und ihr Volk wußten nach einigen hundert Jahren nichts mehr von der Hungersnot und von Joseph und seinem Wirken. Sie sahen in den Israeliten nur noch eine Bedrohung. Der jeweilige Pharao ließ sie daher unterdrücken und zu harten Zwangsarbeiten heranziehen. Doch das stoppte die Vermehrung in keiner Weise. Schließlich befahl der König zuerst den Hebammen und dann seinem ganzen Volk, jeden neugeborenen israelitischen Knaben zu töten. In dieser verzweifelten Lage der Israeliten wurde zwischen 1525 und 1350 v. Chr. ein Mann namens Mose geboren, der am Beginn der eigentlichen Volksgeschichte Israels steht. Er führte sein Volk aus der ägyptischen Sklaverei heraus. Unter ihm wurde die Verehrung des einzigen Gottes erst zu einem vollständigen Kult ausgebildet, den man nach ihm die "Mosaische Religion" nannte. Am Beginn seiner großen Aufgabe stand ein Berufungserlebnis durch Gott oder einen seiner Engel. Sie erfolgte, als Mose das Kleinvieh seines Schwiegervaters Jethro in der Nähe des Berges Horeb (Sinai) hütete. Es war am Spätabend oder schon (29, S. 94) in der Nacht (2. Mose 3,2): "Da erschien ihm der Engel des HErrn als eine Feuerflamme, die mitten aus einem Dornbusch hervorschlug; und als er hinblickte, sah er, daß der Dornbusch im Feuer brannte, ohne jedoch vom Feuer verzehrt zu werden. Da dachte Mose: 'Ich will doch hingehen und mir diese wunderbare Erscheinung ansehen, warum der Dornbusch nicht verbrennt.' Als nun der HErr sah, daß er herankam, um nachzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch heraus die Worte zu: 'Mose, Mose!' Er antwortete: 'Hier bin ich!' Da sagte er: 'Tritt nicht näher heran! Ziehe dir die Schuhe aus von den Füßen! Denn die Stätte, auf der du stehst, ist heiliger Boden.' Dann fuhr er fort: 'Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.' Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Hierauf sagte der HErr: 'Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Fronvögte gehört; ja, ich kenne ihre Leiden! Daher bin ich herabgekommen, um sie aus der Gewalt der Ägypter zu erretten und sie aus jenem Lande in ein schönes, geräumiges Land zu führen, in ein Land, das von Milch und Honig überfließt, in die Wohnsitze der Kanaanäer, Hethiter, Amoriter, Pherisiter, Hewiter und Jebusiter. Weil also jetzt das Wehgeschrei der Israeliten zu mir gedrungen ist und ich auch gesehen habe, wie schwer die Ägypter sie bedrücken, so gehe jetzt hin! Denn ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten hinausführst.'" Es war vorauszusehen, daß der ägyptische Pharao seine billigen Arbeitskräfte nicht freiwillig ziehenlassen würde. Darum ließ Gott schon jetzt sagen (2. Mose 3,19): "Ich weiß aber, daß der König von Ägypten euch nicht wird ziehen lassen, wenn er nicht durch eine starke Hand dazu gezwungen wird. Darum werde ich dann meine Hand ausstrecken und das Agyptervolk mit all meinen Wundertaten schlagen, die ich in seiner Mitte verrichten werden. Daraufhin wird er euch ziehen lassen." Zunächst war Mose von dem auszuführenden Auftrag gar nicht erbaut. Er wollte als erstes wissen, wie der Gott, der da mit ihm redete, eigentlich hieß, damit er es seinen Volksgenossen weiterberichten konnte (2. Mose 3,14): "Da sagte Gott zu Mose: 'Ich bin, der ich bin.' Dann fuhr er fort: 'So sollst du zu den Israeliten sagen: Der 'Ich bin' hat mich zu euch gesandt!' Und weiter sagte Gott zu Mose: 'So sollst du zu den Israeliten sagen: 'Der HErr, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name in Ewigkeit und meine Benennung von Geschlecht zu Geschlecht.'"
- 11 - Ein Kommentar sagt zu diese Bibelstelle: Es handelt sich um die Erklärung des überaus heiligen Gottes-Namens Jahwe (nicht Jehova), der in der hebräischen Konsonantenschrift JHWH geschrieben wird. Der Name war so heilig, daß er von den Juden nicht einmal ausgeprochen wurde, sondern statt dessen als adonaj = Herr gelesen wurde. Um dieses "JHWH-Herr" von dem normalen Wort "Herr" zu unterscheiden, hat sich seit Martin Luther für JHWH die Schreibweise HErr eingebürgert. Obwohl die Gottesbezeichnung Jahwe bereits früher in der Bibel vorkommt (z. B. 1. Mose 2,4), wird sie erst hier zum "Gottesnamen" schlechthin gegenüber allen "falschen Göttern" der anderen Völker. Sprachlich bedeutet Jahwe soviel wie "er ist" oder "der da ist". Nach der Klärung der Namensfrage des sich offenbarenden Gottes gab Mose zu bedenken, daß ihm seine Volksgenossen gar nicht glauben würden, denn schließlich könne ja jeder behaupten, einen göttlichen Auftrag bekommen zu haben. Dieses Argument entkräftete Gott dadurch, daß er Mose vorführte, wie er ihn mit besonderen Fähigkeiten ausrüsten werde, damit er sich durch seine wundersamen Taten als göttlicher Bevollmächtigter ausweisen könne. Er sagte zu Mose (2. Mose 4,2): "'Was hast du da in deiner Hand?' Er antwortete: 'Einen Stab.' Da sagte er: 'Wirf ihn auf die Erde!' Als er ihn nun auf die Erde geworfen hatte, wurde er zu einer Schlange, vor welcher Mose die Flucht ergriff. Da sagt der HErr zu Mose: 'Strecke deine Hand aus und ergreife sie beim Schwanz!' Er streckte seine Hand aus und faßte sie. Da wurde sie wieder zum Stab in seiner Hand. 'Damit sie glauben, daß dir der HErr erschienen ist, der Gott ihrer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.'" Noch zwei weitere Wunderzeichen wurden Mose vorgeführt. Der war aber immer noch nicht willig, schützte mangelnde Beredsamkeit vor und sagte schließlich (2. Mose 4,13): "'Bitte HErr, sende lieber einen anderen, wen du willst!' Da entbrannte der Zorn des HErm gegen Mose, und er sagte: 'Ist nicht dein Bruder Aaron da, der Levit? Ich weiß, daß der trefflich zu reden versteht. Auch ist er schon im Begriff, dir entgegenzugehen, und wenn er dich sieht, wird er sich herzlich freuen. Dann sollst du dich mit ihm besprechen und ihm die Worte in den Mund legen. Ich aber will mit deinem und mit seinem Mund sein und euch angeben, was ihr zu tun habt. Er soll also für dich zum Volk reden, und zwar so, daß er für dich der Mund ist und du für ihn an Gottes Statt bist. Und den Stab da nimm in die Hand, um mit ihm die Wunderzeichen zu tun!'" Wie zu erwarten, war der Pharao in keiner Weise bereit, seine billigen Arbeitskräfte fortziehen zu lassen. Er antwortete Mose und Aaron (2. Mose 5,2): "Wer ist der HErr, daß ich seinen Befehlen gehorchen und Israel ziehen lassen müßte? Ich kenne diesen HErrn nicht und will Israel nicht ziehen lassen." Die Reaktion war, daß er den Arbeitsaufsehern den Befehl gab (2. Mose 5,9): "Die Arbeit soll den Leuten erschwert werden, damit sie daran zu schaffen haben und nicht auf Lügenreden achten." Nun setzte das Strafgericht Gottes ein, das sich zu einem Kampf zwischen Gott, Mose und Aaron einerseits und dem Pharao, seinen Priestern, Zauberern und deren Göttern andererseits entwickelte. Diese ägyptischen Zauberer konnten nämlich vermittels der Hilfe ihrer Götter fast gleichartige Taten vollbringen, wie sie Mose und sein Bruder Aaron vollzogen. Der Kampf wurde durch Aaron eröffnet. Auf Geheiß Gottes warf er seinen Stab vor den Pharao und dessen Hofleute hin, und er verwandelte sich in eine große Schlange (2. Mose 7,11). "Aber der Pharao ließ auch seinerseits die Weisen und Zauberer kommen, und auch sie, die ägyptischen Zauberkünstler, taten dasselbe vermittels ihrer Geheimkünste: jeder warf seinen Stab hin, da verwandelten diese sich in Schlangen; jedoch Aarons Stab (d. h. die daraus entstandene Schlange) verschlang ihre Stäbe (Schlangen). Aber das Herz des Pharaos blieb hart, so daß er nicht auf sie hörte, wie der HErr es vorausgesagt hatte." Der Kampf zwischen den irdischen Parteien und ihren jenseitigen Schutzmächten ging weiter. Aaron mußte mit Hilfe seines Stabes das Wasser des Nils, seiner Kanäle und anderer Gewässer in "Blut" verwandeln, so daß es zu stinken anfing und die Fische darin starben. Doch die ägyptischen Zauberer
- 12 - vermochten gleichartiges hervorzubringen, und der Pharao blieb hart. Als nächstes (2.) mußte Aaron eine große Froschplage hervorrufen. Doch Frösche konnten die Zauberer auch noch hervorbringen. Aber bei den folgenden Plagen konnten sie nicht mehr mithalten, Nacheinander traten große Mengen von (3.) Stechmücken und dann (4.) Hundsfliegen auf. Anschließend setzte eine (5.) verheerende Viehpest ein. Dann traten (6.) Blattern bei Mensch und Tier auf. Als auch das den Pharao noch nicht nachgiebig machte, erfolgte ein (7.) vernichtender Hagelschlag. Als nächstes (8.) kam eine Heuschreckenplage und dann (9.) eine drei Tage währende Finsternis über das Land. Jetzt war der Pharao genügend zermürbt, um die Israeliten unter Bedingungen abziehen zu lassen: ihren Viehbestand sollten sie nicht mitnehmen dürfen. Der aber war für die lange bevorstehende Wanderung für die Israeliten und für ihre kultischen Opferungen lebensnotwendig. Daher verlangte Mose von dem Pharao zu den eigenen sogar noch zusätzliche Tiere der Ägypter für ihren Auszug. Das jedoch war dem König entschieden zuviel. Es heißt (2. Mose 10,27): "Aber der HErr verhärtete das Herz des Pharao, so daß er sie nicht ziehen lassen wollte, sondern zu Mose sagte: 'Hinweg von mir! Hüte dich, mir nochmals vor die Augen zu treten! Denn sobald du dich wieder vor mir sehen läßt, bist du des Todes!'" Doch nun kündigte Gott dem Mose die letzte, entscheidende (10.) Plage an, welche die Ägypter endgültig in die Knie zwingen und den Israeliten die Freiheit bringen sollte. Er gab genaue Anweisungen, wie die Israeliten sich materiell und rituell auf den Auszug vorbereiten und wie und wann das ganze ablaufen sollte. Nach Sonnenuntergang des 14. Tages des Monats Abib (oder Nisan, die Zeit zwischen ungefähr Mitte März bis Mitte April) mußten die Israeliten je Familie ein Lamm schlachten und sofort braten und zusammen mit ungesäuertem Brot aufessen. Von dem Blut sollte etwas als späteres Erkennungszeichen an die Türpfosten der Häuser gestrichen werden. Gott hatte durch Mose dem israelitischen Volk sagen lassen (2. Mose 12,11): "Und auf folgende Weise sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, eure Schuhe an den Füßen und euren Stab in der Hand; und in ängstlicher Hast sollt ihr es essen: ein Vorübergehen des HErrn ist es. Denn ich will in dieser Nacht durch das 'Land Ägypten schreiten und alle Erstgeburt in Ägypten sterben lassen, sowohl von den Menschen als vom Vieh. Und ich will an allen ägyptischen Göttern ein Strafgericht vollziehen, ich der HErr! Dabei soll dann das Blut an den Häusern, in denen ihr euch befindet, ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Denn wenn ich das Blut sehe, will ich schonend an euch vorübergehen, und es soll euch kein tödliches Verderben treffen, wenn ich den Schlag gegen das Land Ägypten führe. Dieser Tag soll dann für euch ein Gedächtnistag sein, den ihr zu Ehren des HErrn festlich begehen sollt! Von Geschlecht zu Geschlecht sollt ihr ihn als eine ewige Satzung feiern! Sieben Tage lang sollt ihr ungesäuertes Brot essen. Gleich am ersten Tage sollt ihr allen Sauerteig aus euren Häusern entfernen; denn jeder, der vom ersten bis zum siebten Tage Gesäuertes ißt, ein solcher Mensch soll aus Israel ausgerottet werden! Weiter soll am ersten Tage eine heilige Festversammlung bei euch stattfinden und ebenso am siebten Tage eine heilige Festversammlung. Keinerlei Arbeit darf an diesen (beiden Tagen) verrichtet werden! Nur was ein jeder zum Essen nötig hat, das allein darf von euch zubereitet werden! So beobachtet denn das Fest der ungesäuerten Brote! Denn an eben diesem Tage habe ich eure Heerscharen aus dem Land Ägypten hinausgeführt. Darum sollt ihr diesen Tag von Geschlecht zu Geschlecht als eine ewige Satzung beobachten." In diesem Bericht finden wir die Einsetzung des sogenannten Passah-Festes, das die Israeliten und späteren Juden bis auf den heutigen Tag feiern. Das Wort Passah (von hebr. päsach = hinken, über etwas hüpfen, etwas unberührt lassen) bedeutet "verschonendes Vorübergehen". Der oder die Würge-Engel Gottes, die nach Mitternacht die ägyptischen Häuser heimzusuchen hatten, sollten die durch das außen angestrichene Blut gekennzeichneten Häuser der Israeliten verschonen. Auf dieses Ereignis und dieses Fest geht auch unser heutiges christliches Osterfest zurück. Denn Christus wurde am 14. Nisan, dem Tag des Passah-Festes, gekreuzigt, nachdem er am Abend zuvor mit seinen Jüngern das Passah-Mahl gehalten hatte (Matt. 26,18; Joh. 13,1). Aus diesem Passah-Mahl ist durch Christus das heutige "Abendmahl" hervorgegangen (Matt. 26,26). Den damaligen Israeliten aber wurde gesagt (2. Mose 12,26):
- 13 - "Wenn eure Kinder euch dann fragen: 'Was bedeutet dieser Brauch bei euch?' so sollt ihr antworten: 'Es ist das Passah-Opfer für den HErrn, der in Ägypten an den Häusern der Israeliten schonend vorübergegangen ist. Während er die Ägypter sterben ließ, hat er unsere Häuser verschont.' ... Um Mitternacht aber begab es sich, daß der HErr alle Erstgeburten im Lande Ägypten sterben ließ, vom erstgeborenen Sohn des Pharaos an, der auf seinem Thron saß, bis zum Erstgeborenen des Gefangenen, der im Kerker lag, auch alles Erstgeborene des Viehs. Da stand der Pharao in dieser Nacht auf, er und alle seine Diener und alle übrigen Ägypter, und es erhob sich ein großes Wehgeschrei in Ägypten, denn es gab kein Haus, in dem nicht ein Toter gelegen hätte. Da ließ (der Pharao) noch in der Nacht Mose und Aaron rufen und sagte: 'Macht euch auf, zieht aus meinem Volk hinweg, sowohl ihr als auch die Israeliten! Geht hin und dient dem HErrn, wie ihr gesagt habt! Auch euer Kleinvieh und eure Rinder nehmt mit, wie ihr gesagt habt, Geht hin und bittet auch für mich um Segen.' Auch die Ägypter drängten das Volk zu schleunigem Aufbruch aus dem Lande, denn sie dachten: 'Wir sind (sonst) alle des Todes'. Da nahm das Volk seinen Brotteig, noch ehe er gesäuert war, ihre Backschüsseln, die sie, in ihre Mäntel gewickelt, auf den Schultern trugen. ... So brachen denn die Israeliten von Raemses nach Sukkoth zu auf, ungefähr 600.000 Mann zu Fuß, die Männer allein, ungerechnet die Weiber und Kinder. Auch viel zusammengelaufenes Volk zog mit ihnen, dazu Kleinvieh und Rinder, eine gewaltige Menge Vieh. Aus dem Teig aber, den sie aus Ägypten mitgenommen hatten, buken sie (unterwegs) ungesäuerte Brotkuchen, denn er war ungesäuert, weil man sie aus Ägypten vertrieben und ihnen keine Zeit gelassen hatte. Daher hatten sie auch für keine Wegzehrung sorgen können. Die Zeit aber, während welcher die Israeliten in Ägypten gewohnt hatten, betrug 430 Jahre." Etwas später (4. Mose 1,46) wurden nach einer genauen Musterung 603.550 waffenfähige Männer von 20 Jahren an aufwärts gezählt. Daher kann man gut und gerne von 1,5 - 2 Millionen Personen insgesamt ausgehen, was zusammen mit allem Vieh einen wirklich imposanten Völkerzug darstellt. Man fragt sich, ob eine so große Bevölkerungszahl überhaupt denkbar ist. Wenn man davon ausgeht, daß (1. Mose 46,27) 70 männliche Israeliten nach Ägypten einwanderten, das Volk 430 Jahre dort blieb und auf 600.000 Männer über 19 Jahre anwuchs (eigentlich müßten die männlichen Kinder auch noch mitgezählt werden), so ergibt sich das jährliche Bevölkerungswachstum zu: = √ 6 ∙ 105 70 430 − 1 = 0,02128 ≈ 2,1 % Heutige Völker der dritten Welt haben ein jährliches Bevölkerungswachstum bis zu 5 %. Von daher gesehen ist das Wachstum der Israeliten mit jährlich 2,1 % zumindest theoretisch nicht unmöglich und die angenommene Volkszahl von 1,5 - 2 Millionen nicht völlig undenkbar, wenn auch moderne Autoren meinen, daß hier mindestens zwei Nullen zu viel seien. Andererseits sind Zahlenangaben in der Bibel, besonders Altersangaben, mit Vorsicht zu betrachten. Wenn z. B. Methusalem (1. Mose 5, 27) 969 Jahre, Thara (1. Mose 11,32) 205 Jahre, Abraham (1. Mose 25, 7) 175 Jahre und Jakob (1. Mose 47,28) 147 Jahre alt geworden sein sollen, so habe ich dabei große Zweifel. Diese durch Buchstaben ausgedrückten Zahlen (es gab ja keine gesonderten Zahlzeichen wie bei uns) sind sicher nicht als Anzahl der Lebensjahre zu lesen, sondern haben Symbolcharakter, um die Bedeutung der Personen herauszustellen. Vielleicht gilt ähnliches für die Bevölkerungszahl. Das spricht aber nicht grundsätzlich gegen die allgemeine Glaubwürdigkeit aller anderen Aussagen. Die Mehrheit der heutigen Menschen wird den Berichten über die Vorereignisse zu diesem Auszug aus Ägypten und die zehn Plagen verständnislos und ungläubig gegenüberstehen und sie nur als Legende ansehen. Nun mag manches an diesen Berichten wirklich etwas übertrieben sein. Wenn es z. B. bei der ersten Plage heißt, daß Aaron mit seinem Stab (2. Mose 7,19) das Wasser des Nils samt aller Kanäle, Teiche und Wasserbehälter in Blut verwandelte, das dann sehr schnell stinkend wurde, so daß die Ägypter es nicht mehr trinken konnten, so kann man hier schon Zweifel anmelden, ob es sich biologisch gesehen wirklich um echtes Blut handelte und ob tatsächlich alles Wasser betroffen war. Vielleicht trat nur eine blutähnliche Verfärbung des Wassers auf, das dadurch schnell stinkend wurde. Heutige Erklärungen lauten folgendermaßen (74, Sp. 1083):
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