- 114 - Religionen in besonders eindringlicher Weise dieser Frage an. Eines der oberen Gebote aller Religionen lautet daher: "Du sollst nicht lügen!" Und dies nach dem ethischen Grundsatz: "Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu". Man sollte nun meinen, daß zumindest die Religionsdiener aller Religionen, auch des Christentums, nach diesem Gebot handeln. Aber weit gefehlt. Als Menschen erkannten, daß sich auch Religionen und die sich daraus entwickelnden Glaubensgemeinschaften und Kirchen zur Beherrschung von Menschen eignen, haben sie sogar in diesen Bereichen Täuschungs- und Fälschungsmethoden entwickelt. Bereits im Alten Testament läßt Gott den Israeliten durch den Propheten Jeremia um 600 v. Chr. mitteilen (Jer. 8,8): "Wie könnt ihr nur sagen: 'Wir sind weise, wir sind ja im Besitz des göttlichen Gesetzes!' Ja freilich! Aber zur Lüge hat es der Lügengriffel der Schriftgelehrten gemacht. Beschämt werden die Weisen dastehen, werden bestürzt sein und sich gefangen (= widerlegt) sehen. Sie haben ja das Wort des HErrn verworfen. Welcherlei Weisheit besitzen sie da noch?" In der katholischen Kirche hat die sogenannte Konstantinische Schenkung eine große Bedeutung erlangt. Sie ist eine gefälschte Urkunde, in der Kaiser Konstantin I. (der Große, geb. um 280, römischer Kaiser von 306 - 337) gegenüber Papst Silvester I. (314 - 335) den Vorrang des römischen Papsttums über alle Kirchen anerkennt und dem Papst die Herrschaft über Rom und alle abendländischen Provinzen zugesteht. Die Schenkung sollte aus Dankbarkeit Konstantins gegenüber Silvester erfolgt sein, weil dieser ihn getauft habe. Tatsächlich ist Konstantin erst auf dem Totenbett 337 durch den Bischof Eusebius von Caesarea (geb. um 263, gest. 339) getauft worden, während Silvester bereits 335 gestorben ist. Die Taufe erfolgte noch nicht einmal römisch-katholisch sondern arianisch, also gemäß einer christlichen Lehrmeinung, die später von der römischen Kirche als Ketzerei höchsten Grades verurteilt wurde. In der gefälschten Schenkungsurkunde heißt es u.a. (88, S 224): "Wie Uns eine irdische Kaisermacht zusteht, so haben Wir bestimmt, daß ihre hochheilige römische Kirche achtungsvoll geehrt, und daß mehr als Unsere Kaisergewalt und Unser irdischer Thron der hochheilige Stuhl Petri glorreich verherrlicht werde, indem Wir ihm die Macht, den Ehrenrang, die Kraft und die Ehrenbezeigungen verleihen, die einem Kaiser zukommen. Und Wir beschließen und setzen fest, daß er die Vorherrschaft sowohl über die vier Hauptbischofssitze von Antochia, Alexandria, Konstantinopel und Jerusalem, als auch über alle Kirchen Gottes auf dem ganzen Erdkreis innehabe; und der jeweilige Papst dieser hochheiligen römischen Kirche soll erhabener und ein Fürst für alle Bischöfe der ganzen Welt sein, und durch seinen Urteilsspruch soll geordnet werden, was in bezug auf den Gottesdienst und für den festen Bestand des Christenglaubens zu versorgen ist. Denn es ist gerecht, daß dort ein geheiligtes Gesetz die Oberherrschaft erhalte, wo, wie der Stifter der heiligen Gesetze, unser Heiland, anordnete, der heilige Petrus den Stuhl des Apostolates innehaben sollte." (usw.) Der lange Urkundentext endet mit den Worten: "Zur Nachahmung Unserer kaiserlichen Gewalt, damit durch diese die päpstliche Tiara nicht in den Schatten gestellt, sondern vielmehr noch als die Würde und Machtherrlichkeit der irdischen Gewalt geschmückt werde - siehe, dazu haben Wir sowohl, wie vorher gesagt, Unseren Palast als auch die zur Stadt Rom, alle zu Italien oder dem Abendland gehörigen Provinzen, Orte und Städte dem oftgenannten hochseligen Oberpriester, Unserem Vater Silvester, dem Universalpapst, übertragen und seiner oder seiner Nachfolger im Papsttum Gewalt und Botmäßigkeit überlassen. Wir haben es deshalb für angemessen erachtet, Unsere Gewalt und Unseren Herrschersitz in den Osten zu verlegen, und in der Provinz Byzanz an wohlgelegenem Orte Unserem Namen eine Stadt zu bauen und dort Unseren Thron aufzurichten. Denn wo der Fürst der Priester und das Haupt der christlichen Religion von dem himmlischen Kaiser hingesetzt worden ist, da kann billigerweise der irdische Kaiser keine Herrschaft ausüben."
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