Die Entstehung menschlichen Lebens und frühkindlicher Tod

PSYCHOWISSENSCHAFTLICHE GRENZGEBIETE Ausgesuchte Veröffentlichungen aus verschiedenen Bereichen psychowissenschaftlicher Forschung Herausgeber: Rolf Linnemann (Dipl.-Ing.) * Steinweg 3b * 32108 Bad Salzuflen * Telefon: (05222) 6558 Internet: http://www.psychowissenschaften.de E-mail: RoLi@psygrenz.de Entnommen aus: Wegbeg l e i t e r , April 2003 VII. Jahrgang, Unabhängige Zeitschrift zur Wiederbesinnung auf das Wesentliche. Verlag Martin Weber, Fabrikstraße 1, D-77746 Schutterwald Prof. Dr. rer. nat. Werner Schiebeler Di e Entstehung menschl i chen Lebens und f rühkindl i cher Tod Werner Schiebeler, Diplomphysiker, Prof. Dr. rer. nat., geboren 1923 in Bremen. Studium der Physik in Göttingen und 1955 Promotion mit einer Arbeit am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung in Göttingen. Von 1955-1965 Tätigkeit in der Elektroindustrie bei der Firma Standard-Elektrik-Lorenz A.G. in Pforzheim, davon sieben Jahre als Leiter einer Entwicklungsabteilung für elektronische Fernschreibtechnik. Ab 1965 Dozent für Physik und Elektronik an der damaligen Staatlichen Ingenieurschule in Ravensburg, der heutigen Fachhochschule Ravensburg-Weingarten. 1971 Ernennung zum Professor und 1983 der Eintritt in den Ruhestand. Neben den naturwissenschaftlich-technischen Lehrfächern vertrat er seit 1969 in regelmäßigen Sondervorlesungen an der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten auch das Lehrgebiet Parapsychologie und Parapsychophysik und setzt dies auch in den kommenden Jahren fort. Der Autor veröffentlichte zahlreiche Zeitschriftenartikel, sowie Broschüren und vier Bücher über die verschiedensten parapsychologischen Themen. Daneben erschienen über das Institut für den wissenschaftlichen Film in Göttingen von ihm zwei Filme über "Paranormale Heilmethoden auf den Philippinen". Hierfür erhielt er 1974 von der Associazone Italiana Scientifica di Metapsichica den "Ernesto Bozzano-Preis" und 1988 den "1. Schweizer Preis" von der Schweizerischen Stiftung für Parapsychologie. Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................................................2 Indizien für die Wiederverkörperungshypothese ...................................................................4 Ablauf der Wiedereinverleibung ...........................................................................................6 Der frühe Tod eines mißgebildeten Kindes ...........................................................................9 Ein Selbstmörder hängt sich an einen medialen Menschen ...................................................20 Die Seelen abgetriebener Kinder zeigen sich einem medialen Menschen.............................21 Literaturangaben....................................................................................................................23

- 2 - Vorwort Die Entstehung menschlichen Lebens, wie das Leben überhaupt, ist ein großes Geheimnis. Das betrifft sowohl das biologische Leben unserer Erde, als auch das geistige Leben aus spiritualist ischer Sicht. Und nur die letzte Frage soll hier behandelt werden. Woher kommt das menschliche Individuum, seine Seele oder wie man das immer nennen mag? Und wo bleibt sie, wenn sie unsere Erde wieder verläßt und sogar sehr schnell wieder, als kle ines Kind schon, verlassen muß? In dieser Abhandlung wird davon ausgegangen, daß unsere irdische, grobmaterielle Lebensform nicht die einzige ist, sondern daß unser feinstofflicher Leib, der Astralleib, die Seele, sich beim irdischen Tod vom materiellen Körper trennt und in einem jenseitigen, feinstofflichen Lebensbereich weiterlebt, weiterexistiert. Weiter wird davon ausgegangen, daß Menschen (nicht unbedingt alle) mehrmals auf diese Erde durch erneute Geburt zurückkehren müssen, daß es also so etwas wie eine irdische Wiedergeburt , eine Reinkarnation gibt. Letzteres wird von den meisten christl ichen Kirchen gerne als eine heidnische Lebensauffassung abgetan. Dabei wird vergessen, daß für das frühe Christentum auch der Kirchenvater Origenes (geb. um 185, gest. 254) und seine Schule die Reinkarnationslehre vertreten haben. Origenes war der erste bedeutende frühchristliche Theologe des griechischen Ostens. Er sichtete und bewertete die Schriften des Neuen Testamentes auf Fälschungen und Fehler und fertigte eine wissenschaftliche Übersetzung des Alten Testamentes aus dem Hebräischen ins Griechische an.1 Wenn man davon ausgeht, daß der irdische Tod nicht das Ende des menschlichen Lebens ist (9; 10; 11; 12), stellt sich natürlich die Frage, was dann weiterhin alles geschieht. Über die un terschiedlichen nachtodlichen Schicksale gibt es durch die Verbindung mit der jenseitigen Welt seit 150 Jahren umfangreiche Schilderungen. Eine Auswahl davon habe ich in dem Buch "Leben nach dem irdischen Tod. Die Erfahrungen von Verstorbenen" (11) dargestellt. Doch ergibt sich die weitere Frage: Ist die irdische Geburt überhaupt der Beginn unseres Daseins, und wie und von wem wird unser Verhalten auf dieser Erde beurteilt? Sind Wohlverhalten oder begangene Verbrechen völlig folgenlos? Über diese Fragen haben sich die Menschen schon sehr früh, bereits vor Jahrtausenden, Gedanken gemacht, die dann auch in die jeweiligen religiösen Vorstellungen eingegangen sind. Diese waren derart, daß das menschliche Dasein durch einen Schöpfungsakt der Gottheit in Erscheinung getreten ist. Die den Menschen mitgegebene Willensfreiheit führte aber dazu, daß die Geschöpfe nicht immer nach den Wünschen und Gesetzen des Gottes oder der Götter ihr Leben verbrachten. Begangene Vergehen oder Untaten erforderten aber gemäß dem Gerechtigkeitssinn der Menschen eine Bestrafung, Wiedergutmachung und Reue. Wo und wie aber sollte oder konnte das erfolgen? Die Bestrafung oder Belohnung wurde in manchen religiösen Systemen (auch im christlichen) im Jenseits, im Himmel, Fegefeuer und Hölle angesiedelt. Im Himmel oder Paradies erfolgt die ewige Belohnung, im Fegefeuer eine zeitlich befristete Freiheitsstrafe mit anschließender Begnad igung und in der Hölle oder Tartarus die "lebenslängliche" Freiheitsstrafe unter erschwerten Bedingungen mit eingeschalteten Folterungen durch Feuertorturen. Hier war Reue zwecklos und Umkehr unmöglich. In diesem System hatten Einsicht in begangene Fehler, der Wille und die Möglichkeit zur Wiedergutmachung und die Rückgliederung auch des Schwerverbrechers, wenn er erst einmal 1 Ausführlicher Bericht darüber in 7, S. 11 - 17

- 3 - gestorben war, keinen Platz. Außerdem sollte die jenseitige Einstufung nicht nur vom irdischen Lebenswandel des Verstorbenen, sondern in starkem Maße auch von der Wirksamkeit priesterlicher Zeremonien und bestimmter Opferriten abhängen. Eine solche Regelung widersprach dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen und dem Glauben an eine liebende Gottheit. Aus diesem Grund entwickelte sich schon sehr früh eine andere Anschauung, nämlich die, daß das menschliche Erdenleben nicht einmalig und unwiederholbar ist. Je nach moralischem Erfolg oder Mißerfolg eines beendeten Erdenlebens wird ein Verstorbener entweder sofort oder nach einer mehr oder weniger langen Übergangszeit im Jenseits in ein neues Erdenleben hineingeboren. Man spricht von Wiedergeburt oder Reinkarnation. Die Form der Wiedereinverleibung, z. B. in den Körper eines hoch- oder tiefgestellten Menschen mit mehr oder weniger schwerem Schicksal, hängt von der Vorbelastung des Verstorbenen bzw. Neugeborenen ab.

- 4 - Indizien für die Wiederverkörperungshypothese Ganz allgemein läßt sich zur Wiederverkörperungshypothese sagen: Es gibt eindeutige und vie lfältige Jenseitsmitteilungen, z. B. in den Büchern von Johannes Greber (1) oder Allan Kardec (2), die auf ein mögliches mehrfaches Erdenleben für viele Menschen hinweisen, unterbrochen jeweils durch kürzere oder meist längere Zwischenaufenthalte in einer jenseitigen Welt. Weite rhin gibt es dafür stützende Indizien von dieser Erde, die zwar nicht so stark und zahlreich sind wie die Indizien und Erfahrungsbeweise für das persönliche Fortleben nach dem irdischen Tod. Es kommt vor, daß kleine Kinder, wenn sie im Alter von 1½ bis 2 Jahren anfangen zu sprechen, behaupten, daß sie eigentlich ein ganz anderer seien, daß sie andere Eltern hätten und ganz woanders zu Hause seien. Zunächst drücken sie sich dabei noch unbeholfen und nur in kurzen Sätzen aus, sprechen Worte falsch aus und benutzen Gesten, um das zu unterstützen, was sie sagen wollen (14, S. 24). Je älter sie aber werden und je umfangreicher ihr Wortschatz wird, desto genauer werden die Schilderungen der von ihnen empfundenen früheren Lebensläufe. Diese Kinder berichten in ausgeprägten Fällen ihre früheren Namen, die ihrer Eltern und sonst iger Anverwandten und ihren früheren Lebensverlauf mit Todesart ganz genau. Sie schildern ihre damalige Umgebung in vielen Einzelheiten und geben oftmals Orts- und Straßennamen exakt an. Die Kinder verlangen meist, zu ihren früheren Eltern gebracht zu werden oder zumindest die ehemalige Umgebung einmal wiederzusehen. Und was besonders seltsam ist: Es kommt hin und wieder vor, daß ein solches Kind, das behauptet, in einem früheren Leben gewaltsam zu Tode gekommen zu sein, beispielsweise durch Unfall oder Mord, in seinem neuen Leben ein auffäll iges Muttermal an der Körperstelle aufweist, an der die frühere Verwundung stattgefunden haben soll. Und derartige Fälle sind nachprüfbar und nachgeprüft worden (3; 14). Beispielsweise bemerkte die Mutter des indischen Knaben Ravi Shankar 1951, als er drei oder vier Monate alt war, an seinem Hals erstmals ein Muttermal, das einer Narbe von einer Verle tzung mit einem langen Messer sehr ähnlich sah (14, S. 111). Als der Knabe größer geworden war und sprechen konnte, behauptete er, in einem früheren Leben Sohn eines Friseurs Sri Jageshwar Prasad im Distrikt Chhipatti der Stadt Kanauj in der Nähe von Kampur gewesen zu sein. Im Alter von sechs Jahren sei er von zwei Männern, die er genau beschrieb und deren Namen er angab, mit einem Messer ermordet worden. Es konnte später festgestellt werden, daß tatsächlich sechs Monate vor der Geburt des Ravi Shankar der sechs Jahre alte Sohn des Friseurs Sri Jageshwar Prasad Kanauj am 19. Januar 1951 ermordet worden war, wobei ihm die Mörder mit einem Messer den Kopf abgeschnitten und den Leichnam verbrannt hatten. Der verstümmelte Kopf wurde später gefunden. Auch die sonstigen Angaben des Knaben Ravi Shankar erwiesen sich als zutreffend. Der amerikanische Psychiater Prof. Jan Stevenson hat zusammen mit Kollegen etwa 200 derartige Fälle untersucht und daraus einen repräsentativen Querschnitt von 20 Berichten, die er aus erster Hand erforscht hat, 1973 in zweiter Auflage (14) veröffentlicht. Er sagt, daß in der von ihm bis 1973 aufgestellten internationalen Statistik sich nahezu 600 Fälle befinden, die für die Reinkarnationshypothese sprechen (14, S. 17). Etwa die Hälfte von diesen stammt aus Südostas ien, aus Indien, Ceylon, Thailand und Burma, also aus Ländern, wo der Glaube an die Reinkarnation verbreitet ist. Die andere Hälfte der Fälle entstammt größtenteils der Türkei, Syrien, Libanon, Europa, Brasilien und Alaska, also Ländern wo (ausgenommen Brasilien) der Glaube an die Reinkarnation nicht Allgemeingut ist. Nur wenige Fälle kommen aus den U.S.A. und Kanada (14, S. 18). Prof. C. J. Ducasse, ein Professor der Philosophie an der Brown University auf Rhode Island und Vorsitzender des Publikationsausschusses der American Society für Psychical Research, der das Geleitwort zu Stevensons Buch über die Reinkarnation geschrieben hat, sagt (14, S. 7): "Wenn man dann fragt, was ein echter Beweis für die Wiederverkörperung sein würde, ist die einzig mögliche Antwort wohl die gleiche wie auf die Frage, wie einer von uns denn jetzt wissen könne, daß er schon einige Tage, Monate oder Jahre vorher gelebt hat. Die Antwort lautet, daß er sich jetzt noch erinnert, zu einer früheren Zeit an dem und dem Ort und unter diesen oder jenen Umständen gelebt, damals gewisse Dinge getan und gewisse Erlebnisse gehabt zu haben. Aber behauptet denn jemand

- 5 - heute, er erinnere sich in ähnlicher Weise daran, daß er auf Erden ein Leben vor seinem jetzigen g eführt habe? Obwohl Berichte über solche Behauptungen selten sind, gibt es sie. Die Person, die eine solche Behauptung aufstellt, ist fast immer ein kleines Kind, aus dessen Gedächtnis diese Erinnerungen nach einigen Jahren wieder verschwinden. Und wenn es fähig ist, detaillierte Tatsachen aus seinem früheren Leben anzugeben, von denen es versichert, es könne sich daran eri nnern und die durch Nachforschungen als richtig bestätigt werden, von denen es aber auf normalem Wege in seinem gegenwärtigen Leben keine Kenntnis erhalten konnte, dann werden wir mit der Frage konfrontiert, ob wir uns die Richtigkeit seiner Erinnerungen anders erklären können als durch die Annahme, daß es tatsächlich das frühere Leben geführt hatte, an das es sich erinnert." Wenn man nun in Erwägung zieht, daß Menschen u. U. mehrfach auf dieser Erde leben müssen, fragt man sich natürlich, wie das eigentlich physiologisch ablaufen könnte. Wir wiss en ja, daß der Astralleib, der sich beim irdischen Tod vom materiellen Körper trennt und in dem das geist ige und sonstige Leben seine Fortsetzung findet, der äußeren Form nach dem irdischen Körper ähnlich gestaltet ist. Er unterliegt aber im Jenseits keinem Alterungsprozeß, sondern im Gegenteil nach kürzerer oder längerer Zeit einer Umgestaltung zu einer unversehrten Körperform "mit tleren Lebensalters". – Wie könnte nun aber die Umformung in einen neuen, säuglingshaften Körper möglicherweise ablaufen? Wer bestimmt das überhaupt, und wer führt es durch?

- 6 - Ablauf der Wiedereinverleibung Bei Greber und Kardec findet man darüber keine Angaben. Doch durch ein Züricher Medium, Frau Beatrice Brunner (1910 - 1983), erfolgten zu jener Frage 1975, 1976 und 1982 gleichgeartete Durchsagen. Über dieses Medium gab sich unter anderem ein Geistwesen kund, das sich uns Menschen gegenüber "Lene" nannte. Seine vielseitigen Jenseitsschilderungen trug dieser weibl iche Geist über viele Jahre bis zum Tode des Mediums einem großen Teilnehmerkreis vor. Seine Berichte können als weitere Ausgestaltung der Lehre angesehen werden, die Pfarrer Johannes Greber aus der jenseitigen Welt mitgeteilt wurde. Diese Lene erörterte z. B. am 19. Februar 1975 im Verlauf eines längeren Vortrages auch die irdische Wiedereinverleibung von Geistwesen und sagte damals (15, S. 252; die Worte in Klammern sind jeweils erläuternde Einfügungen des Ve rlegers und Ehemannes des Mediums): "Ich habe davon gesprochen, daß es göttliche Wesen gibt, deren Aufgabe es ist, gemeinsam mit ihren Geistgeschwistern sich der jenseitigen Wesen (der Abgefallenen) anzunehmen und zu beu rteilen, ob sie so weit gekommen sind, um sie in ein neues Erdenleben geleiten zu können, oder ob sie noch eines längeren Aufenthaltes in der geistigen Welt bedürfen. Damit möchte ich dies aber bewenden lassen und nun noch darauf zu sprechen kommen, wie sich der Geist zu einer Wiedereinverleibung verhält. Ihr habt euch schon selbst gefragt, wie es denn möglich ist für den Geist, sich in der mat eriellen Hülle mit der neuen Welt der Erde vertraut zu machen. Ich will versuchen, dies so gut als möglich zu erkl ären. Ich sagte, daß man Geister, die von ganz unten heraufkommen, nicht einmal davon unterrichtet, daß sie der Weg jetzt ins Erdenleben führt. Man sagt es ihnen nicht, weil man weiß, daß sie Widerstand leisten würden. Es liegt aber in der Ordnung Gottes, daß sie auf diese Weise gelenkt werden, weil es darum geht, ihren Aufstieg zu fördern. Andere Geister geben, wie ich sagte, ge rne ihr Einverständnis zur Menschwerdung, um so höher aufsteigen zu können. Sie alle holt man, und dann führt man diej enigen Geistwesen, die auf gleicher geistiger Entwicklungsstufe stehen, zusammen. Diese haben nun aber doch eine ganz verschiedene Geistgestalt. Sie sind ebenso verschieden groß wie ihr Menschen hier. Die einen sind größer, die anderen kleiner, die einen sind von Gestalt zarter, die anderen kräftiger - sie sind also ganz verschieden. Ich muß mich jetzt eines menschlichen Vergleichsbeispieles bedienen. Wenn ihr als Menschen krank seid oder wenn ihr fastet, nehmt ihr an Umfang, an Körpergewicht ab. Im Geistigen nun geht es so vor sich: Die Wesenheiten werden in einen Schlaf versetzt. Während dieses Schlafes muß ihr geistiger Leib umgestaltet werden, denn er muß ja zu gegebener Zeit in den kleinen irdischen Leib eines Kindes eintreten. Während der Zeit dieses Schlafes wird der geistige Leib einer Wesenheit - ich möchte es so ausdrücken: - immer etwas durchsichtiger. Er verliert an Substanz. Ist der Geistesleib dann so weit, daß er in einen Kindesleib einziehen kann, dann begleitet man den betreffenden Geist zu der betre ffenden Mutter - einige Stunden vor der Geburt, vielleicht sogar einige Tage, um den Geistleib in ihrer Nähe zu halten. Die Substanz des Geistleibes geht aber bei dieser 'Durchsichtigwerdung' nicht etwa verloren, sondern sie zieht in die Seele ein. Nichts geht verloren, denn in dieser Substanz liegt ja die Kraft, liegen die Aufbaustoffe für das künftige Wachsen des Kindes-Leibes, der doch gegenüber dem ursprünglichen Geistleib so an Umfang und Größe eingebüßt hat. Die ganze Substanz wird von der Seele aufbewahrt; es ist ihr Eigentum und bleibt in ihr wie ein Samen, der aufgeht, sobald ihm die Möglichkeit dazu g egeben wird. Also gibt es aus der Seele heraus ein Wachsen (des Geistleibes). Ist der irdische Kindesleib organisch ganz in Ordnung, entstehen für den Geist keinerlei Schwierigke iten, in ihn einzutreten, und die Geisteswelt tut das Ihrige dazu. Der 'Kindesgeist' arbeitet sich (bei der Geburt) in den kleinen menschlichen Leib (des Neugeborenen) hinein. Ihr mögt nun denken, daß doch manchmal der kleine Körper organisch nicht gesund ist. Ich h abe euch gesagt, daß die werdende Mutter Stunden oder schon Tage vorher von dem zur Einverleibung b estimmten Kindesgeist begleitet wird, der sie zusammen mit einem Engel Gottes gewissermaßen umschwebt. Dieser und auch weitere Geister erkennen rechtzeitig, ob die Mutter, die man umschwebt, dem Geist auch die richtige körperliche Wohnung bieten kann (durch e in gesundes Neugeborenes). Auch kann die

- 7 - Geisteswelt erkennen, ob sich - aus dem menschlichen Willen heraus oder durch sonstige Ursachen - unvorhergesehene Schwierigkeiten ergeben werden. Vorsorglich wählt man daher nicht nur eine bestimmte Mutter aus, sondern eine ganze Gruppe von werdenden Müttern, die ebenfalls die Möglichkeit bieten, diesen Geist sich verkörpern zu lassen. Fällt also die eigentlich vorgesehene Mutter plötzlich aus, so wird der betreffende Geist dahin ve rbracht, wo die für ihn nächste beste Möglichkeit besteht und wo sich alles in ähnlicher Weise schicksalhaft vollziehen kann, das heißt, wo dieser Geist in ganz vergleichbare Ve rhältnisse hineingeboren werden kann. Mit anderen Worten: Man setzt nicht von allem Anfang an nur auf eine einz ige, bestimmte werdende Mutter, sondern man hält sich Ausweichmöglichkeiten offen. Fällt die erste werdende Mutter aus, sucht man eine zweite auf, welche für dieses Menschenkind die ähnlichsten Möglichkeiten für dessen Aufstiegsentwicklung bietet. So also geht dies vor sich." Bei einer späteren Gelegenheit am 16. März 1976 äußerte sich das Geistwesen Lene in ähnlicher Weise zu diesem Thema und insbesondere zu der Frage, wann der Geistkörper in den ird ischen Kindesleib eintritt (16, S. 92): "Oft wird gefragt: Wann tritt das Leben in das Kindlein ein? Tritt es erst dann ein, wenn es den ersten Schrei ausstößt, oder ist dieses Leben schon vorher vorhanden? Beides kann zutreffen, doch in dem Fall, wo das Leben schon vor dem ersten Schrei des Kindleins einge treten ist, handelt es sich stets nur um eine ganz kurze Zeit vorher." 1975 fuhr Lene wie folgt fort: "Der Geist hat sich nach seiner Einverleibung allmählich mit diesem Kindesleib vertraut g emacht. Ihr könnt euch aber selbst ein solches Kleinkind vorstellen: In ihm hat der Geist zunächst noch keine Möglichkeit zu wirken. Er ist vielmehr eingeengt, und es beginnt nun ein langsames Wachsen dieses irdischen Körperchens. Von Tag zu Tag wächst die Wahrnehmungsfähigkeit des ihm innewohnenden Geistes. Inwendig in diesem Kindesleib wächst und entfaltet sich der inkarnierte Geist. Denn der Geist ist das Ewige, das diesen Menschen lebendig macht. Andererseits übt die Umwelt ihren Einfluß auf dieses heranwachsende Kind aus. Es muß genährt und erzogen werden, wobei wir annehmen wollen, daß es eine sorgfältige Erziehung erfährt. Mit dem Wachstum des Körpers wächst auch der ihm einverleibte Geist heran. Dabei gibt die Seele ihrerseits von ihrer Substanz. Nur so ist es möglich, daß nicht nur der irdische Leib des heranwachsenden Menschen seine von der Erde genommene Nahrung erhält, sondern zugleich auch die Seele ihm die Nahrung für seinen geistigen Leib, für dessen geistige Gestaltung gibt. Denn der geistige Leib eines Menschen hat genau dieselbe Gestalt wie dessen i rdischer Leib. Doch besitzt dieser irdische Körper seit dem Zeitpunkt, da ein geistiger Leib in ihn eingezogen ist, eine über ihn hinausreichende Aura. Die seelische Substanz geht also über den Erdenleib hinaus, weil der geist ige Leib sozusagen größer ist als der irdische. Das ist beim Kind so, beim Heranwachsenden wie auch beim älteren Menschen. Ein jeder besitzt eine solche Aura, selbst das Tier, ja sie ist auch in der Natur überall vorhanden, und sie ragt über die äußere Gestalt des betreffenden Wesens hinaus. Das Wachstum des Menschen geht, wie ich es euch schilderte, von innen nach außen bis zur Gestalt des Erwachsenen. Wenn nun ein Kind stirbt, wird sein Geist im Kinderparadies erzogen, in das er mit einem Geistleib einzieht, wie er eben einem Kinde entspricht. Manche Freunde können das nicht so recht verstehen, doch hoffe ich, es durch meine heutigen Darlegungen erklärt zu haben. Denn es ist Gesetz, daß die Seele alle 'Substanz' an sich zieht, um sie dann beim Wachstum allmählich wieder herzugeben, bi s das betreffende Wesen erwachsen ist.

- 8 - Wenn also ein Wesen im Kindesalter stirbt, so hat es in seinem Geistleib genau Alter und Auss ehen der Zeit seines menschlichen Lebens. Stirbt ein Kind schon wenige Tage oder Wochen nach der Geburt, so ist es eben wirklich noch ein Kleinkind und muß also im geistigen Reiche demen tsprechend gehegt und gepflegt werden. Es wird dort heranwachsen und auch erzogen. Wiederum gibt seine Seele von ihrer Substanz, damit das kleine Wesen in der geistigen Welt heranwachsen kann. Dort wird es von Stufe zu Stufe geführt, und entsprechend seinem Heranwachsen erhält es die notwendigen Belehrungen. Ein Wesen, das als Kindesgeist in ein Kinderparadies eintritt, bleibt zwar auf derselben Stufe der ge istigen Welt, von der es zur Menschwerdung ausgegangen war; aber jetzt wird es von Engeln Gottes erzogen. Auch zieht man Geistwesen aus derselben Stufe heran, damit sie mithelfen, di eses Kindlein zu pflegen. Eine solche Tätigkeit bewirkt für manche Geistwesen - seien sie weibliche oder männliche Wesen - eine Beschleunigung ihres geistigen Aufstieges, nämlich dann, wenn sie solche KindGeistchen lieben und es ihnen liegt, sich mit ihnen abzugeben. Denn auf diese Weise kommen sie in nähere Beziehung zu Engeln Gottes, und dadurch hebt sich allmählich auch ihr eigenes inneres Wesen und Denken, was ihren Aufstieg beschleunigt. Wenn also ein Kind von der Erde abscheidet, hat sein Geist - ich wiederhole es - in der Geisteswelt die Möglichkeit heranzuwachsen, und zwar von innen heraus, weil seine Seele die Substanz wieder abgibt, die sie vordem in sich zusammengezogen hatte, als der Geistkörper vor der Ei nverleibung in die kleine Gestalt eines Erdenkindes eingeengt, gewissermaßen verkleinert worden war. Genau entsprechend ist es, wenn ein erwachsener Mensch stirbt. Dann sind in seinem irdischen Körper noch viele odische Kräfte vorhanden. Sie werden nun sogleich von der Seele ang ezogen, aufgesogen. Alle Substanzen nimmt die Seele in sich auf, sie entzieht sie dem irdischen Körper, so daß dieser jetzt wirklich der Erde und damit der Vergänglichkeit anheim gegeben werden kann. Der verwesliche Leib besitzt also nichts mehr von diesen durchdringenden Kräften, welche die Seele zu Lebzeiten auf den ganzen Körper hatte ausfließen lassen. Auch beim Tod eines (erwachsenen) Menschen nimmt die Seele alle diese Kräfte in sich hinein." So weit ein Auszug aus den Darlegungen des Geistwesens Lene. Wir können diesen Bericht zwar nicht nachprüfen oder gar beweisen, aber es ist doch der Überlegung wert, ob es nicht so oder so ähnlich bei einer Inkarnation tatsächlich ablaufen könnte, ja ablaufen müßte, denn irgendwie muß der jenseitige Geistkörper in den eines Säuglings umgewandelt werden, wenn es so etwas wie Reinkarnation wirklich gibt.

- 9 - Der frühe Tod eines mißgebildeten Kindes Als nächstes Beispiel berichte ich über den jenseitigen Entwicklungsgang eines Kleinkindes, das mit einer seltenen Mißbildung geboren und nur 10 Tage alt wurde. Es ist der Bericht einer Engländerin, die ihre zehn Tage alte Tochter durch den Tod verlor und diese danach über mehrere Jahre hinweg vielmals voll ausgebildet auf dieser Erde wiedersehen konnte. Da hierbei die ve rschiedenartigsten paranormalen Vorgänge in Erscheinung traten und die Berichterstatterin ihre Erlebnisse eingehend beobachtet und sehr genau aufgezeichnet hat, ist die Schilderung besonders eindrucksvoll und soll hier fast vollständig wiedergegeben werden (9, S. 125 f). Die Berichterstatterin Florence Marryat2 lebte 1860 mit ihrem Mann und Kindern in Indien. Das Ehepaar war mit einem in der britisch-indischen Armee dienenden jungen Offizier John Powles eng befreundet. Unter tragischen Umständen starb dieser am 4. April 1860. Mrs. Marryat sagt dazu: "Sein Tod und die Art, wie er starb, riefen in mir eine große Erschüt terung hervor. Er war mir und meinem Mann über Jahre hinweg ein echter Freund gewesen, so daß wir seinen Tod sehr betrauerten." Weiterer Kummer kam hinzu und beeinträchtigte ihre Gesundheit. Die folgenden Begebenheiten werden nun durchgehend mit Mrs. Marryats Worten (aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt) wiedergegeben: "In demselben Jahr 1860, in dem John Powles starb, hatte ich den größten Kummer meines Lebens. Es ist für meinen Bericht unwesentlich, worin der Kummer bestand, aber ich litt schreckl ich, sowohl geistig als auch körperlich. Hauptsächlich wegen des Rates meiner Ärzte kehrte ich nach England zurück, wo ich am 14. Dezember ankam. Am 30. Dezember 1860 gebar ich eine Tochter, die ihre Geburt nur zehn Tage überlebte. Das Kind wurde mit einer seltsamen Mißbildung geboren, die sehr wesentlich für das ist, was ich zu schildern vorhabe. Auf der linken Seite der Oberlippe befand sich ein Mal, als ob ein halbkuge lförmiges Stück Fleisch mit einer Gewehrkugelgießform herausgeschnitten worden sei. Dadurch wurde ein Teil des Zahnfleisches freigelegt. Auch war der Schlund3 im Hals versenkt4, so daß das Kind während seines kurzen Lebens künstlich ernährt werden mußte. Der Kiefer seinerseits war so deformiert, daß die Backenzähne nach vorne gestanden hätten, wenn das Kind bis zum Zahnen am Leben geblieben wäre. Die Mißbildung wurde als so bemerkenswert angesehen, daß Dr. Frederick Butler von Winchester, der mich behandelte, mehrere Kollegen aus Southampton und anderen Orten einlud, um zusammen mit ihm das Kind genau zu untersuchen. Sie stimmten alle darin überein, daß sie einen ähnlichen Fall vo rher noch nicht gesehen hatten. Das ist ein sehr wichtiger Punkt in meinem folgenden Bericht. Ich wurde eingehend befragt, ob ich irgendeinen physischen oder seelischen Schock erlitten hätte, der zur Mißbildung meines Kindes geführt haben könnte. Man entschied sich dafür, daß der Kummer, den ich gehabt hatte, ausreichend war, sie hervorzurufen. Der Fall wurde unter Pseudonym als etwas ganz Außerordentliches in der medizinischen Zeitschrift Lancet ausführlich berichtet. Mein kleines Baby, das auf den Namen Florence getauft wurde, lebte bis zum 10. Januar 1861. Dann verschied es ganz ruhig, und als mein erster ganz natürlicher Kummer vorüber war, dachte ich nur noch an sie als etwas, was gewesen sein könnte, was aber nie wieder sein würde. In di esem Zustand großer Not ist der Verlust des Kindes bald versunken in einer mehr aktiven Unruhe. Trotzdem vergaß ich mein armes Baby niemals völlig, da es zu jener Zeit glücklicherweise das einzige 'tote Lamm' meiner kleinen Kinderschar war. – 2 Florence Marryat, 1837-1899, verh. in erster Ehe "Ross-Church", in zweiter Ehe "Lean", englische Verfasserin mehrerer parapsychologischer Bücher. Sie kannte die meisten bedeutenden Medien des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 3 Schlund = hinter dem weichen Gaumen und dem Gaumensegel liegende Höhle, die als Verbindungsstück zwischen Mundhöhle, Nasenhöhle und Speiseröhre dient. 4 Also nach unten verschoben.

- 10 - Bezüglich der Ereignisse meiner ersten Sitzung mit (dem Medium) Mrs. Holmes habe ich erwähnt, wie ein junges Mädchen erschien, das Mund und Kinn verhüllt hatte und zu verstehen gab, daß es f ür mich käme, obwohl ich es nicht wiedererkennen konnte.5 Ich war in jener Zeit so unwissend über das Leben jenseits des Grabes, daß es mir überhaupt nicht in den Sinn kam, daß mein Baby, das mich im Alter von zehn Tagen verließ, seit unserer Trennung herangewachsen war und jetzt ein Alter von zehn Jahren erreicht hatte. Diese erste Sitzung machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich zwei Abende später wi eder in Mrs. Holmes Raum zugegen war, diesmal allein, um einer weiteren Sitzung beizuwohnen. Es war en ungefähr 30 Personen anwesend, die einander alle unbekannt waren. Daher waren die Erscheinungen oder Vorgänge verhältnismäßig einfach. Es war aber noch ein anderes professionelles Medium anwesend, eine Mrs. Davenport, ebenso wie ihr Kontrollgeist, den sie 'Bell' (Glocke) nannte. Dieser hatte ihr versprochen, ihr, wenn möglich, sein Gesicht zu zeigen. Deshalb rief Mrs. Davenport, sobald das erste Phantomgesicht erschien (es war das desselben kleinen Mädchens, das ich zwei Tage zuvor gesehen hatte): 'Das ist 'Bell', 'Aber wieso!', sagte ich, das ist die kleine Nonne6, die wir am Montag sahen.' O nein', beharrte Mrs. Davenport, das ist meine 'Bell.' Aber Mrs. Holmes ergriff meine Partei und war sicher, daß die Wesenheit me inetwegen kam. Mrs. Holmes sagte mir, daß sie versucht habe, mit der Wesenheit seit der vorherigen Sitzung in Verbindung zu kommen. Sie sagte: Ich weiß, daß sie sehr eng mit ihnen verbunden ist. Haben sie nicht einen Ve rwandten in diesem Alter verloren?' Auf keinen Fall', antwortete ich. Auf diese Äußerung hin verschwand das kleine Geistwesen, traurig wie schon zuvor. Einige Wochen später erhielt ich eine Einladung von Mr. Henry Dunphy (der Herr, der mich bei Mrs. Hohnes eingeführt hatte), einer Privatsitzung in seinem Hause am Upper Gloucester Place beizuwohnen, die von dem sehr bekannten Medium Florence Cook7 gegeben wurde. Die zwei Wohnzimmer waren durch Samtvorhänge getrennt, hinter welchen Miss Cook in einem Lehnstuhl saß. Die Vorhänge waren in halber Höhe zusammengesteckt und ließen eine große Öffnung in V-Form frei. Ich war für Miss Cook völlig fremd. Daher war ich überrascht, die Stimme ihres Kontroll -Geistes zu hören, der anordnete, daß ich nahe den Vorhängen stehen und, während oberhalb die Phantome erschienen, die unteren Teile zusammenhalten sollte für den Fall, daß die Nadeln sich lösten. 5 Hier wird Bezug auf eine vorangegangene Schilderung von Mrs. Marryats Teilnahme an ihrer ersten Materialisationssitzung genommen, bei der die erschienene "Florence" wegen Nichterkennens zurückgewiesen wurde. Man sagte dieser damals, sie müsse sich geirrt haben, es sei kein Verwandter von ihr anwesend. 6 Wegen der seltsamen Vermummung nennt sie sie "Nonne". 7 Florence Cook, 1856-1904, seit 1874 verh. Corner, bedeutendes englisches Materialisationsmedium, mit dem u. a. der hervorragende britische Chemiker Prof. Sir William Crookes eingehend experimentierte. In dem Band "Zeugnis für die jenseitige Welt" wird darüber ausführlich berichtet. Florence Cook war bei den Phänomenen nicht immer bewußtlos.

- 11 - Infolge meines Standortes konnte ich jedes Wort verstehen, das zwischen Miss Cook und ihrem Kontrollgeist gewechselt wurde. Das erste Gesicht, das sich zeigte, war das eines mir unbekannten Mannes. Dann folgte eine entsetzte Unterhaltung zwischen dem Medium und seinem Kontroll-Geist. Ich hörte Miss Cook ausrufen: 'Nimm es weg! Geh weg! Ich mag dich nicht. Berühre mich nicht. Du erschreckst mich. Geh weg!' Die Stimme des Kontroll-Geistes entgegnete: 'Sei nicht albern, Florrie8 sei nicht herzlos. Sie will dir keinen Schaden zufügen.' Unmittelbar danach sah ich dasselbe kleine Mädchen in der Öffnung der Vorhänge erscheinen, das ich schon bei Mrs. Holmes gesehen hatte, verhüllt wie zuvor, aber mich mit seinen Augen anlächelnd. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Verbindung mit ihr und nannte es wieder meine kleine 'Nonne'. Ich war überrascht darüber, wie Miss Cook ihre offensichtliche Abneigung gegenüber dem Geistwesen zu erkennen gab. Als die Sitzung beendet war und Miss Cook wieder in ihren normalen Zustand gelangt war, fragte ich sie, ob sie die Gesichter, die sie in ihrem Trance-Zustand gesehen habe, in ihr Bewußtsein zurückrufen könne. Sie antwortete, daß das manchmal möglich sei. Ich erzählte ihr nun von der kleinen Nonne und fragte sie, warum sie sich denn vor dieser so fürchte. 'Das kann ich ihnen eigentlich nicht sagen', antwortete Miss Cook, 'ich weiß ja gar nichts von ihr. Sie ist für mich völlig fremd. Aber ihr Gesicht ist nicht voll ausgebildet, glaube ich. Da ist etwas mit ihrem Mund nicht in Ordnung. Sie beängstigt mich.' Obwohl diese Bemerkung mit größter Gleichgültigkeit gemacht worden war, machte sie mich sehr nachdenklich. Nachdem ich nach Hause zurückgekehrt war, schrieb ich an Miss Cook und bat sie, ihre Kontroll-Geistwesen zu fragen, wer dieses kleine Geistwesen gewesen sei. Sie antwortete folgendermaßen: Liebe Mrs. RossChurch, ich habe 'Katie King'9 gefragt, aber sie kann mir nichts Genaueres über das Geistwesen sagen, das neulich abends durch mich erschien, als daß es ein junges Mädchen ist, das mit Ihnen eng verbunden ist.' Ich war jedoch von der Identität des Geistwesens immer noch nicht überzeugt, obwohl 'John Powles'10 mir beständig versicherte, daß es mein Kind sei. Ich versuchte angestrengt, bei mir zu Hause mit ihm in medialen Kontakt zu kommen, aber ohne Erfolg. Ich finde in den Aufzeichnungen dieses Zeitabschnittes mehrere Durchgaben von 'Powles', die sich auf 'Florence' bezogen. In einer sagte er: 'Der Wunsch deines Kindes, mit dir in Verbindung zu treten, rührt nicht daher, daß es zu fehlerfrei ist, sondern daher, daß es zu schwach ist. Es wird aber eines Tages mit dir sprechen. Es ist noch nicht im Himmel.' Diese letzte Feststellung verwirrte und betrübte mich, da ich so wenig von unserem zukünftigen Zustand wußte. Ich konnte nicht glauben, daß ein unschuldiges Kind sich nicht in einem Zustand der Glückseligkeit befinden könnte. Auch konnte ich nicht verstehen, welchen Beweggrund mein Freund haben könnte, mich in die Irre zu führen. Ich hatte noch zu lernen, daß ein Geistwesen, das erst einmal in den Himmel11 aufgestiegen ist, nicht zur Erde zurückkehren kann, und daß jedes Geistwesen sich einer 'Schulung'12 unterziehen muß, selbst wenn es niemals eine Todsünde begangen hat. Ein weiterer Beweis, daß mein totes Kind in Wirklichkeit gar nicht gestorben war, erreichte mich an einem Ort, an dem ich es am wenigsten erwartet hätte. Ich war damals Herausgeberin einer Zeitschrift 'Londoner Gesellschaft' (London Society), und unter meinen Mitarbeitern war ein Dr. Kenningale Cook. Er war verheiratet mit Mabel Collins, der bekannten Verfasserin spiritualistischer Romane. Eines Tages überbrachte mir Dr. Cook eine Einladung seiner Frau (mit der ich vorher noch nie zusammengetroffen war), sie von Sonntag bis Montag in ihrem Wochenendhaus bei Redhill zu besuchen. Ich nahm die Einladung an, wußte aber weder etwas über ihre Neigungen noch sonst etwas von ihnen. Sie wußten ebenso wenig von meinen privaten Verhältnissen, wie ich von ihnen. - 8 Das ist die Kurzform von Florence. 9 Eines der Kontrollgeistwesen, das von Prof. Crookes mehrfach photographiert wurde. 10 Der in Indien verstorbene Freund. 11 Damit sind höhere Entwicklungssphären gemeint. 12 Im Sinne einer Läuterung oder Aufwärtsentwicklung.

- 12 - Ich muß bemerken, daß ich zu jener Zeit mein verlorenes Kind niemals zum Thema einer Unterhaltung machte, selbst mit meinen engsten Freunden nicht. Die Erinnerung seines Lebens und Todes und der Kummer, der dadurch verursacht wurde, waren nicht sehr glücklich für mich und gingen niemand etwas an, außer mich selbst. Ebensowenig wurde dieser Punkt in unserer Familie erörtert, bis 'Florence' wieder zum Leben zu erwachen schien. Meinen älteren Kindern war unbekannt, daß ihre Schwester im Unterschied zu ihnen in irgendeiner Weise gezeichnet war. Es kann daher die Wahrscheinlichkeit unterstellt werden, daß völlig Fremde oder die öffentlichen Medien keine Andeutung der Angelegenheit bekommen konnten. Ich fuhr also nach Redhill und saß nach dem Dinner mit den Cooks zusammen. Dabei kam das Thema des Spiritismus zur Sprache, und ich erfuhr, daß Frau Cook ein leistungsfähiges Trance-Medium war. Das interessierte mich sehr, denn zu damaliger Zeit hatte ich noch keine Erfahrung mit dieser besonderen Art der Mediumschaft. An jenem Abend veranstalteten wir zusammen eine Sitzung, und Mrs. Cook fiel dabei in Trance. Ihr Mann stenographierte das mit, was sie sagte. Mehrere alte Freunde der Familie sprachen durch sie. Ich hörte dem allen völlig uninteressiert zu, wie man die Unterhaltung von Fremden anhört. Meine Aufmerksamkeit wurde aber aufgerüttelt, als das Medium plötzlich von seinem Stuhl aufstand, vor mir auf die Knie fiel und mir meine Hände und mein Gesicht küßte. Dabei schluchzte es eine Weile heftig. Ich harrte erwartungsvoll zu hören, was das alles bedeuten sollte. Doch das Medium hörte plötzlich mit seinem Tun auf und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Einer seiner Kontroll-Geister sagte, daß das vorher eingetretene Geistwesen infolge starker Gemütsbewegung nicht in der Lage gewesen sei zu sprechen. Später aber, im Verlaufe des Abends, wolle es das erneut versuchen. Ich hörte nun den anderen Durchgaben zu und hatte die vorherigen Einzelheiten schon fast vergessen, als ich stutzig wurde, wie ich das Wort 'Mutter' hörte, mehr geseufzt als gesprochen. Ich war daran, eine erregte Antwort zu geben, als das Medium seine Hand erhob und Schweigen gebot. Die folgende Unterhaltung wurde, sobald das Medium die Worte aussprach, von Mr. Cook niedergeschrieben. Die Sätze in Klammern sind meine Antworten der Wesenheit gegenüber. 'Mutter! Ich bin Florence. Ich muß ganz still sein. Ich möchte so gerne spüren, noch eine Mutter zu haben. Ich bin so einsam. Warum muß ich so sein? Ich kann nicht gut sprechen. Ich wäre so gerne wie einer von euch. Ich würde so gerne spüren, eine Mutter und Schwestern zu haben. Ich bin jetzt so weit weg von euch allen!' ('Aber ich denke immer an dich, mein liebes, verstorbenes Baby.') ,Das ist es ja gerade - dein Baby. Aber ich bin jetzt kein Baby mehr. Ich soll näherkommen. Sie sagen mir, ich soll. Ich weiß nicht, ob ich kommen kann, wenn du allein bist. Es ist alles so dunkel. Ich weiß, daß du da bist, aber so verschwommen. Ich selbst bin gewachsen. Ich bin nicht wirklich unglücklich, aber ich möchte gerne näher zu dir kommen. Ich weiß, daß du an mich denkst. Aber du denkst an mich als ein Baby. Du weißt nicht, wie ich bin. Du hast mich gesehen, aber in meiner Liebe habe ich mich dir aufgedrängt. Ich bin noch nicht inmitten der Blumen gewesen, aber ich werde es jetzt sehr bald sein. Ich wünschte, ich könnte meine Mutter dorthin mitnehmen. Alles, was möglich war, ist mir gegeben worden, doch ich kann es nicht in Empfang nehmen, außer in so weit...' Hier schien sie nicht fähig zu sein, sich auszudrücken. ('Hat der Kummer, den ich vor deiner Geburt hatte, deinen Geist in Mitleidenschaft gezogen, Florence?') 'Nur wie Dinge einander beeinflussen, Mutter, ich war mit dir während der ganzen Zeit des Kummers. Ich wäre gerne näher bei dir als jedes deiner anderen Kinder. Wenn ich doch nur ganz nahe bei dir sein könnte!' ('Ich kann es gar nicht ertragen, dich so traurig sprechen zu hören, Liebling. Ich habe immer geglaubt, daß du wenigstens im Himmel glücklich wärst.')

- 13 - 'Ich bin nicht im Himmel, aber es wird ein Tag kommen - und wenn ich das sage, kann ich sehr froh sein -, an dem wir zusammen in den Himmel gelangen werden. Dann pflücken wir blaue Blumen - blaue Blumen. Sie13 sind hier so gut zu mir, aber wenn dein Auge das Tageslicht nicht ertragen kann, kannst du auch nicht die Butterblumen und die Gänseblümchen sehen.' – Ich lernte erst später, daß in der geistigen Sprache blaue Blumen kennzeichnend für Glück sind. Die nächste Frage, die ich ihr stellte, war, ob sie durch mich schreiben könne, falls sie die Absicht dazu habe. 'Es hat nicht den Anschein, daß ich das kann, aber warum, weiß ich nicht.' ('Kennst du deine Schwestern Eva und Ethel?') 'Nein, nein', sagte sie mit einer müden Stimme. 'Das Band der Schwesternschaft besteht nur über die Mutter. Diese Art der Schwesternschaft hat keine Dauer, weil es etwas Höheres gibt.' ('Hast du jemals deinen Vater gesehen?') 'Nein, er ist weit, weit entfernt. Ich ging nur einmal zu ihm, nicht mehr. Mutter, Liebes, er wird mich auch lieben, wenn er hierher kommt. Das haben sie mir hier gesagt, und sie sagen hier immer die Wahrheit! Ich bin nur ein Kind, aber nicht mehr so sehr klein. Ich scheine aus zwei Teilen zusammengesetzt zu sein, aus einem unwissenden Kind und einer erwachsenen Frau. Warum kann ich nicht an anderen Orten sprechen? Ich habe es gewünscht und versucht. Ich bin dir sehr nahegekommen, doch jetzt scheint das Sprechen sehr leicht zu sein. Dieses Medium erscheint mir ganz anders als die anderen.' ('Ich wünschte, du könntest zu mir kommen, wenn ich allein bin, Florence.') 'Du wirst mich kennenlernen. Ich werde kommen, liebe Mutter. Es wird mir immer möglich sein, hierher zu kommen. Ich komme zu dir, aber nicht in derselben Weise!' Sie sprach mit solch einer traurigen, melancholischen Stimme, daß Mrs. Cook, die dachte, sie stimme das Geistwesen traurig, sagte: 'Mache deinen Zustand nicht trauriger, als er wirklich ist.' Ihre Antwort war sehr bemerkenswert: 'Ich bin, wie ich bin! Freundin, wenn du hierher kommst und wenn du diese Traurigkeit findest, wirst du nicht fähig sein, sie dadurch zu ändern, daß du dich in materielle Vergnügungen stürzt. Unsere Traurigkeit verursacht die Welt, in der wir leben. Es sind nicht die Taten, die uns schuldig machen, es ist der Zustand, in dem wir geboren werden. Mutter, du sagst, ich sei ohne Sünde gestorben! Das bedeutet nichts. Ich wurde in eine bestimmte Lage hineingeboren. Hätte ich weitergelebt, würde ich dir mehr Schmerzen bereitet haben, als du jetzt wissen kannst. Ich bin besser hier aufgehoben. Ich war nicht für den Lebenskampf geschaffen, und deswegen nahmen sie mich von der Erde weg. Mutter, laß dich das nicht traurig machen. Du darfst nicht traurig sein!' ('Was kann ich tun, um dich näher zu mir zu bringen?') 'Ich weiß nicht, was mich näher zu dir bringen kann. Aber mir wird schon geholfen, wenn ich jetzt mit dir sprechen kann. Da ist eine Stufenleiter voller Glanz - jede Stufe. Ich glaube, ich habe gerade jetzt eine Stufe erklommen. Oh, die göttlichen Lehren sind so geheimnisvoll! Mutter, scheint es dir nicht seltsam, dein Baby Dinge sagen zu hören, als ob sie es verstünde? Ich muß nun gehen. Lebe wohl!' Und so ging Florence davon. 13 "Sie" bezieht sich nicht auf die Blumen, sondern auf andere Geistwesen.

- 14 - Die nächste Stimme, die dann sprach, war die von einem Kontroll-Geist des Mediums. Ich bat ihn um eine Personenbeschreibung meiner Tochter, wie sie ihm erschienen sei. Er antwortete: 'Ihre Gesichtszüge sind niedergeschlagen. Wir haben versucht, sie aufzuheitern, aber sie ist sehr traurig. Sie ist in dem Zustand, in dem sie geboren wurde. Jede körperliche Mißbildung ist das Zeichen einer entsprechenden Verfassung. Ein schwacher Körper ist nicht notwendigerweise das Zeichen eines schwachen Geistes, aber er ist sein Gefängnis, weil der Geist sonst zu leidenschaftlich sein könnte. Aus der Mißbildung des Körpers kannst du aber nicht auf die Mißbildung des Geistes schließen. Ein Lippengeschwür des Körpers hat nicht ein Lippengeschwür des Geistes zur Folge. Aber ein Geist, der vielleicht zu überschwänglich ist, braucht möglicherweise ein Lippengeschwür, um ihn in Schranken zu halten!' Ich habe diese Unterhaltung Wort für Wort abgeschrieben von den stenographischen Aufzeichnungen während der Zeit der Aussprache. Es muß noch einmal in die Erinnerung zurückgerufen werden, daß weder Mrs. Florence Cook noch ihr Ehemann wußten, daß ich ein Kind verloren hatte, daß sie niemals in meinem Haus gewesen waren, noch daß sie mit einem meiner Freunde Verkehr hatten. Selbst der größte Skeptiker muß es als ein sehr bemerkenswertes Zusammentreffen anerkennen, daß ich solch eine Mitteilung von den Lippen einer völlig Unbekannten erhielt. Später kam Florence nur noch einmal durch dieselbe Quelle mit mir in Verbindung. Sie fand gleichgute Medien näher bei meinem Wohnsitz, und natürlich waren sie ihr von Nutzen. – Doch das zweite Ereignis war fast noch überzeugender als das erste. Ich ging eines Nachmittags in festem Vertrauen zu meinem Rechtsanwalt, um ihn zu fragen, was ich unter gewissen sehr unangenehmen Umständen tun sollte. Er gab mir dazu seinen Rat. Als ich am nächsten Morgen beim Frühstück saß, kam Mrs. Cook, die noch in Redhill lebte, in mein Zimmer geeilt und entschuldigte sich für ihre unübliche Besuchszeit wegen der Nachricht, die sie letzte Nacht für mich erhalten hatte. Florence hatte sie gebeten, diese ohne Verzug an mich zu überbringen. Die Nachricht besagte folgendes: 'Sagen Sie meiner Mutter, daß ich gestern Nachmittag mit ihr beim Rechtsanwalt war. Sie soll auf keinen Fall seinem Ratschlag folgen, denn es würde ihr schaden, anstatt zu nützen.' Mrs. Cook fügte hinzu: 'Ich weiß nicht, auf was sich Florence bezieht, aber ich dachte, es ist das beste, wenn ich sofort in die Stadt komme und Sie das wissen lasse.' Die Überzeugungskraft dieses Berichtes liegt nicht in seinem Sinnzusammenhang. Das Geheimnis ist in der Tatsache begründet, daß eine verborgene Besprechung erlauscht und erläutert worden ist. Die Wahrheit ist aber auch, daß ich zu dem Ratschlag meines sichtbaren Ratgebers größeres Vertrauen hatte als zu dem meines unsichtbaren Ratgebers. Ich blieb also dem ersten treu und bedauerte es später für alle Zeiten. Meine erste Unterhaltung mit Florence hatte einen großen Einfluß auf mich. Ich wußte zwar vorher, daß mein ungezügelter Kummer die Ursache für den vorzeitigen Tod ihres Körpers war, aber es ist mir nie eingefallen, daß ihr Geist die Auswirkungen mit in die unsichtbare Welt hinübertragen könnte. Es war eine Warnung für mich und sollte es für alle Mütter sein, nicht die schwerwiegende Verantwortung der Mutterschaft auf sich zu nehmen, ohne darauf vorbereitet zu sein, die eigenen Gefühle um der Kinder willen zu zügeln. Florence versicherte mir, daß der Gedankenaustausch mit mir in meinem jetzt gebesserten Zustand der Zufriedenheit auch ihren Geist bald aus dem Zustand der Niedergeschlagenheit emporheben würde. Ich ergriff folglich jede günstige Gelegenheit, um sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Während der folgenden zwölf Monate wohnte ich zahlreichen Sitzungen mit den verschiedensten Medien bei, und mein Geist-Kind, so nannte es sich selbst, unterließ es nie, sich durch die wirkende Kraft jedes dieser Medien auf die verschiedenste Weise kundzugeben. Bei einigen berührte sie mich nur, immer mit einer Kinderhand, damit ich sie als die Ihre erkennen möchte, oder sie legte ihren Mund gegen meinen, damit ich die Narbe auf ihrer Lippe fühlen sollte. Durch andere Medien sprach sie oder schrieb sie oder zeigte ihr Gesicht. Aber niemals wohnte ich einer Sitzung bei, in der sie es versäumte, ihre Anwesenheit kundzutun.

- 15 - Einmal war ich bei einer Dunkelsitzung, die von Mr. Charles Williams14 abgehalten wurde. Dabei wurden ich und meine Nachbarin Lady Archibald Campbell mehrere Male an unserer Kleidung gezogen, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Danach lichtete sich die Dunkelheit, und vor mir stand mein Kind und lächelte uns an wie in einem schönen Traum. Seine blonden Haare wellten sich über seine Schläfen, und seine blauen Augen waren auf mich gerichtet15. Es war weiß gekleidet, doch wir sahen nur seinen Kopf und seine Brust, über welcher seine Hände das Tuch der Kleidung zusammen hielten. Lady Archibald Campbell sah es genau so vollständig wie ich. Bei einer anderen Gelegenheit schlug mir William Eglinton16 vor zu versuchen, eine Geister-Schrift auf seinem Arm zu erzielen. Er wies mich an, in ein anderes Zimmer zu gehen und den Namen eines besonders geliebten Freundes in der jenseitigen Welt auf ein Stück Papier zu schreiben. Das hatte ich dann mehrfach zusammenzufalten und ihm zurückzubringen. Ich folgte seinen Anweisungen und schrieb 'John Powles' auf. Als ich zu Mr. Eglinton zurückkehrte, entblößte er seinen Arm und hielt das Papier in eine Kerzenflamme, bis es zu Asche verbrannt war. Mit dieser rieb er dann seinen Arm ein. Ich wußte, was folgen sollte. Der auf das Papier geschriebene Name sollte in roten oder weißen Buchstaben auf dem Arm des Mediums erscheinen. Der Skeptiker wird sagen, daß es ein Trick von Gedankenlesen war und daß das Medium, welches wußte, was ich geschrieben hatte, während meiner Abwesenheit die Schrift auf seinem Arm vorbereitet hatte. Aber als er die letzte Asche von seinem Arm geschüttelt hatte, lasen wir zu seiner und meiner Überraschung in einer deutlichen und klaren Handschrift die Worte: 'Florence ist die Liebste', als wenn mir mein Geist-Kind einen leichten Tadel dafür geben wollte, daß ich einen anderen Namen als ihren aufgeschrieben hatte. Es erscheint mir heute seltsam, wenn ich jetzt zurückblicke und mich erinnere, wie niedergeschlagen sie war, als sie das erste Mal zu mir kam. Sobald sich aber eine ununterbrochene Verbindung zwischen uns eingestellt hatte, entwickelte sie sich zu dem fröhlichsten kleinen Geistwesen, das ich je kennengelernt habe. Obwohl ihre Kindheit nun vorüber ist und sie ernsthafter, nachdenklicher und fraulicher auftritt, erscheint sie immer froh und glücklich. Sie hat sich mir umfassend durch die Mediumschaft von Mr. Arthur Colman mitgeteilt. Ich erlebte sie während einer Dunkelsitzung in einem sehr kleinen privaten Kreis. Dabei wurde das Medium die ganze Zeit festgehalten und angebunden. Florence lief im Zimmer umher wie ein Kind, das sie ja war, küßte und sprach mit jedem Teilnehmer in der Runde, zog die Sofa- und Sesselbezüge herunter und stapelte sie in der Mitte des Tisches auf, tauschte das modische Beiwerk jedes Anwesenden aus, indem sie die Schlipse der Herren den Damen um den Hals legte und die Ohrringe der Damen in die Knopflöcher der Herrenjacken hängte. Das tat sie alles gerade so, wie sie es getan haben könnte, wenn sie hier bei uns auf der Erde ein fröhliches und verwöhntes Kind gewesen wäre. Ich habe sie erlebt, wie sie kam und sich auf meinen Schoß setzte, mir dabei Gesicht und Hände küßte und mich den Defekt an ihrem Mund mit meinem eigenen fühlen ließ. An einem hellen Abend am 9. Juli, meinem Geburtstag, stattete mir Arthur Colman völlig unerwartet einen Besuch ab. Da ich einige Freunde bei mir hatte, kamen wir überein, eine Sitzung abzuhalten. Es war unmöglich, das Zimmer zu verdunkeln, da die Fenster durch Jalousien nur beschattet werden konnten. Wir ließen sie herunter und saßen dann im Halbdunkel. Zuerst hörten wir die Stimme von Florence flüstern: 'Ein Geschenk zum Geburtstag der lieben Mutter.' Dabei legte sie mir etwas in meine Hand. Dann ging sie auf die andere Seite zu einer anwesenden Dame und legte ihr ebenfalls etwas in die Hand mit den Worten: 'Und ein Geschenk für die Freundin meiner lieben Mutter.' Ich fühlte sofort, was Florence mir gegeben hatte. Es war ein Perlenkranz, ein Rosenkranz. Da ich wußte, wie oft unter ähnlichen Umständen Dinge nur von einem Zimmer in das andere getragen werden, folgerte ich, daß es der Rosenkranz war, der auf dem Kaminsims meines Wohnzimmers gelegen hatte und sagte das auch gleich. Ich erhielt jedoch sofort durch die Stimme von 'Aimée', des Mediums engstes Kontrollgeistwesen, die Antwort: 14 Englisches Materialisationsmedium der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts. 15 Das Phantom war also selbstleuchtend, wie es oftmals bei Materialisationssitzungen beobachtet wurde. 16 Englisches Materialisationsmedium ab 1874, geb. 1857.

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