Leben nach dem irdischen Tod

- 20 - und sie ihrerseits erzählten mir viel über alte Freunde und die Besonderheiten des Lebens in ihrem jenseitigen Lande. Etwas anderes, das mir auffiel, war die besondere Färbung der uns umgebenden Landschaft. Es ist schwierig zu sagen, welchen Gesamteindruck die spezifische Farbschattierung der englischen Landschaft bei einem Besucher hinterläßt. Man würde sie wohl im allgemeinen als graugrün bezeichnen. Hier aber gab es gar keine Ungewißheit bezüglich dieser Frage: unzweifelhaft war die Farbe der Landschaft hellblau, in verschiedenen Schattierungen. Ich will damit nicht sagen, daß nun Häuser, Bäume, Menschen usw. alle blau waren, aber der Gesamteindruck war ohne Zweifel: eine blaue Landschaft. Ich machte meinem Vater gegenüber eine diesbezügliche Bemerkung, der übrigens viel vitaler und jünger aussah, als auf Erden in der letzten Zeit vor seinem Tode. Wir sahen jetzt fast wie Brüder aus. Ich sprach also von der auffallend blauen Färbung der Landschaft, und er erklärte mir, daß meine Wahrnehmung durchaus richtig sei. Das Licht enthielte eine besonders starke blaue Strahlung, was diesen Ort auch gerade für den Aufenthalt erholungsbedürftiger Seelen besonders geeignet mache, da diese blaue Lichtschwingung wunderbar heilkräftig sei. Nun werden einige Leser wahrscheinlich einzuwenden haben, daß das ein ausgemachter Unsinn wäre. Ihnen möchte ich sagen: Habt ihr nicht auch auf Erden bestimmte Kurorte, die aufgrund ihrer Lage zur Heilung bestimmter Krankheiten hervorragend geeignet sind? Nutzt doch euren gesunden Menschenverstand und begreift endlich, daß der Schritt von der irdischen in die jenseitige Welt nur ein sehr kleiner ist. Demnach müssen sich doch auch die Lebensverhältnisse in diesen beiden Bereichen sehr ähnlich sein. Wie sollte denn ein gleichgültiger Mensch nur durch seinen Tod plötzlich zu vollendeter Göttlichkeit gelangen? So etwas gibt es nicht! Alles ist Entwicklung, Aufstieg und Fortschritt. Und wie mit den Menschen, so auch mit den Welten. Die 'nächste' Welt ist nur eine Ergänzung eurer jetzigen. Jenes Land wurde bewohnt von einer seltsam gemischten Bevölkerung. Es waren Menschen aller sozialen Schichten, Rassen, Farben und Größen. Man lebte zwar miteinander, aber jeder hielt vor allem Einkehr bei sich selbst. Jeder war mit sich selbst ausreichend beschäftigt und in seine eigenen Belange vertieft. Für die Erde eine zweifelhafte Sache, hier aber Notwendigkeit sowohl zum Guten für die Allgemeinheit als auch für jeden einzelnen. Ohne diesen Zustand gäbe es hier keinen Fortschritt und keine Gesundung. Als Resultat dieser allgemeinen Verinnerlichung herrschte hier ungestörter Frieden, was besonders bemerkenswert ist bei der oben beschriebenen Vielschichtigkeit der hiesigen Bevölkerung. Ohne eine solche Selbsteinkehr wäre dieser Zustand wohl unmöglich. Jeder hatte eben mit sich selbst genug zu tun und wurde des anderen kaum gewahr. Es waren deshalb nicht viele, die ich kennenlernte. Diejenigen, die mich bei der Ankunft begrüßt hatten, waren bis auf meinen Vater und den einen Freund wieder verschwunden. Es war mir auch gar nicht leid darum. Ich hatte so Gelegenheit, die wunderbare Landschaft ungestört zu genießen. Wir trafen uns häufig und machten dann ausgedehnte Spaziergänge entlang des Ufers. Nichts erinnerte an die irdischen Badekurorte mit Jazzbands und Promenaden. Es war alles ruhig, friedlich und lieblich. Zu unserer Rechten säumten große Gebäude unseren Weg, zur Linken lag ruhig die See. Alles atmete Helligkeit und Licht und widerspiegelte das wunderbar tiefe Blau der Atmosphäre. Ich weiß nicht, wie lange wir so gingen. Wir sprachen ununterbrochen miteinander über all das für mich Neue, das Leben und die Menschen in diesem Land, über die Verwandten zu Haus und die Möglichkeit, mit ihnen in Verbindung zu treten und sie wissen zu lassen, wie es mir in der Zwischenzeit ergangen war. Ich glaube, daß wir dabei einen sehr weiten Weg zurücklegten. Wenn ihr euch eine Welt vorstellt, etwa von der Größe Englands, in der alle möglichen verschiedenen Menschen, Tiere, Häuser und Landschaften auf engstem Raum zusammengedrängt sind, so könnt ihr euch einen ungefähren Begriff vom Aussehen jenes Landes machen, in dem ich mich damals befand. Es mag vielleicht unwirklich und phantastisch klingen, aber glaubt mir: Es war wie ein Aufenthalt in einem ganz fremdartigen irdischen Land, und sonst gar nichts, außer, daß es ungeheuer interessant für mich war." William Stead beschreibt in weiteren Abschnitten sehr ausführlich die neue Umgebung und seine Erlebnisse darin. Für den, der an Einzelheiten interessiert ist, lohnt es sich, das ganze Werk (22) zu lesen. Man darf aber nicht glauben, daß jeder Verstorbene in eine derartige Umgebung kommt. Wenn es aber doch der Fall sein sollte, so bedeutet es nicht, daß er sich bis in alle Ewigkeit in diesem Bereich auf-

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