Leben nach dem irdischen Tod

- 66 - dabei keine Gedanken, welche Rückwirkungen möglicherweise auf den Verstorbenen entstehen. Sie sind der Meinung, der ist ja tot, der spürt nichts mehr. Aber bedeutet der Begriff "tot", daß der Verstorbene überhaupt nichts mehr von dem spürt, was auf dieser Erde geschieht? - Die folgenden Berichte sollen zeigen, daß das nicht unbedingt so sein muß. Sehr starke Gedanken von Menschen dieser Erde können durchaus Verstorbene erreichen und sie entweder froh oder tieftraurig stimmen und sie dann auch in ihrer weiteren Fortentwicklung hemmen. Das Wissen um diese Tatsache war in früheren Zeiten auch einzelnen Menschen bekannt und fand seinen dichterischen Niederschlag in dem Märchen "Das Tränenkrüglein". Seine Ausdrucksweise erscheint uns heute zwar sehr gefühlsbetont und seine Sprache nicht mehr zeitgemäß, aber der geschildete Sachverhalt könnte sich tatsächlich so oder so ähnlich abgespielt haben oder heute noch abspielen. Das Märchen lautet: Es war einmal eine Mutter und ein Kind, und die Mutter hatte das Kind, ihr einziges, lieb von ganzem Herzen und konnte ohne das Kind nicht leben und nicht sein. Aber da sandte der Herr eine große Krankheit. Die wütete unter den Kindern und erfaßte auch jenes Kind, daß es auf sein Lager sank und zu Tode erkrankte. Drei Tage und drei Nächte wachte, weinte und betete die Mutter bei ihrem geliebten Kinde, aber es starb. Da erfaßte die Mutter, die nun allein war auf der ganzen Gotteserde, ein gewaltiger und namenloser Schmerz, und sie aß und trank nicht, weinte wieder drei Tage lang und drei Nächte lang ohne Aufhören und rief nach ihrem Kinde. Wie sie nun so voll tiefen Leides in der dritten Nacht saß, an der Stelle, wo ihr Kind gestorben war, tränenmüde und schmerzensmatt bis zur Ohnmacht, da ging leise die Tür auf, und die Mutter schrak zusammen, denn vor ihr stand ihr gestorbenes Kind. Das war ein seliges Engelein geworden und lächelte süß wie die Unschuld und schön wie in Verklärung. Es trug aber in seine Händen ein Krüglein, das war schier übervoll. Und das Kind sprach: "O lieb Mütterlein, weine nicht mehr um mich! Siehe, in diesem Krüglein sind deine Tränen, die du um mich vergossen hast; der Engel der Trauer hat sie in dieses Gefäß gesammelt. Wenn du nur noch eine Träne um mich weinest, so wird das Krüglein überfließen, und ich werde dann keine Ruhe haben im Grabe und keine Seligkeit im Himmel. Darum, o lieb Mütterlein, weine nicht mehr um dein Kind, denn dein Kind ist wohl aufgehoben, ist glücklich, und Engel sind seine Gespielen." Damit verschwand das tote Kind, und die Mutter weinte hinfort keine Träne mehr, um des Kindes Grabesruhe und Himmelsfrieden nicht zu stören. Die Annahme, daß sich die in dem Märchen geschilderte Begebenheit tatsächlich einmal so ähnlich abgespielt haben könnte, gründet auf Mitteilungen Verstorbener, die entweder selbst durch die starke Trauer ihrer zurückgelassenen Angehörigen festgehalten wurden oder aber die als Geistwesen in der jenseitigen Welt entsprechende Beobachtungen an anderen Verstorbenen machen konnten. Dazu möge ein erster Bericht dienen, den der bereits auf Seite 29 erwähnte Geist Josef 1965 durch den Mund des Mediums Beatrice Brunner an seine Zuhörer durchgab. Er lautet (24, S. 263): "So bringe ich euch ein Bild von meinem Erleben und meiner Aufgabe in der geistigen Welt: Ich begegnete einer Seele, die sehr traurig und im Begriff war, in das Haus ihrer Lieben auf Erden zurückzukehren. Ich begleitete sie, und dort angekommen fragte ich sie: 'Was willst du hier in diesem Haus?' Und sie antwortete: 'Siehst du nicht, daß man jeden Tag über mich weint und von mir spricht? Ich hätte hier doch noch so vieles zu erledigen, und ich spreche so viel mit meinen Kindern und zu meinem Mann, doch sie hören mir nicht zu. Ich habe nur Gelegenheit mich mit ihnen zu unterhalten, wenn sie schlafen, aber tagsüber befolgen sie meinen Rat doch nicht. Immer sind sie traurig und weinen mir nach. So bin ich nicht fähig, dieses Haus ganz zu verlassen, denn mit jeder Träne, die sie um mich vergießen, ziehen sie mich wieder in ihr Haus zurück und binden mich um so fester daran. Was soll ich denn nur tun?' Da riet ich ihr: 'Komm, begleite mich, du sollst nun dieses Haus nicht wieder betreten.' Die Seele wollte mir aber nicht gehorchen und zeigte mir die viele Arbeit und Not im Hause. Doch ich sprach ihr zu: 'Du kannst auf andere Weise mit deinen Lieben verbunden sein. Begleite mich einmal!' Sie folgte mir, und ich konnte sie durch himmlische Gärten führen, wobei ich versuchte, ihr alle die verschiedenen Blumen und die Herrlichkeit, die daselbst zu erleben waren, mit großer Geduld zu erklären. Darüber hatte sie ihr irdisches Haus etwas vergessen, doch bald fühlte sie sich

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