Leben nach dem irdischen Tod

- 71 - hatte er 1865 eine Sitzung, in der der verstorbene Sohn und seine Mutter sich ihm als Fragesteller gegenüber mitteilen. Kardec22 berichtet (9, S. 327): "Im Monat März 1865 hatte Herr C., Kaufmann in einem Städtchen bei Paris, bei sich zu Hause seinen 21jährigen Sohn, der schwer krank war. Als dieser junge Mann fühlte, daß es bei im ans Sterben gehe, rief er seine Mutter und hatte noch so viel Kraft, daß er sie umarmen konnte. Diese sprach unter heftigem Weinen zu ihm: 'Geh mein Sohn mir voran. Ich werde nicht säumen, dir zu folgen!' Anschließend ging sie hinaus, wobei sie den Kopf in den Händen verbarg. Die, welche bei diesem herzzerreißenden Auftritt zugegen waren, sahen die Worte der Frau C. als einen einfachen Ausbruch ihres Schmerzes an, welchen Zeit und Vernunft stillen müßten. Als indessen der Kranke verschieden war, suchte man sie im ganzen Hause und fand sie schließlich erhängt auf einem Speicher: Die Leichenbestattung der Mutter geschah zugleich mit der ihres Sohnes." Einige Tage nach dem Tod von Sohn und Mutter fand eine Sitzung mit dem Medium Roze statt, bei der sich der Sohn (Benjamin C.) und seine Mutter (Frau C.) medial bei Kardec (Fragensteller) meldeten und mit ihm folgendes Gespräch führten: Frage: Haben Sie Kenntnis vom Tode Ihrer Mutter, die sich ums Leben gebracht hat, da sie der Verzweiflung erlag, in welche sie der Verlust von Ihnen gestürzt hat? Sohn Ja, und ohne den Kummer, den mir die Ausführung ihres verhängnisvollen Entschlusses verursacht hat, würde ich vollkommen glücklich sein. Arme und vortreffliche Mutter! Sie hat die Prüfung dieser für Augenblicke geschehenen Trennung nicht ertragen können und hat, um mit ihrem Sohne, den sie so sehr liebte, wieder vereint zu sein, einen Weg gewählt, welcher auf recht lange Zeit sie davon fernhalten muß. So hat sie in unbestimmbarem Maße diese Wiedervereinigung verzögert, welche sich so rasch vollzogen haben würde, wenn die Unterwerfung unter den Willen des Herrn ihre Seele erfüllt hätte und wenn sie in reuiger Demut sich in die Prüfung ergeben hätte, welcher sie sich unterziehen sollte, und in die Sühne, welche sie läutern sollte! Betet, o betet für sie! Und vor allem ahmet ihr nicht nach, ihr Mütter, die ihr gerührt werdet durch den traurigen Bericht von ihrem Tode! Glaubet nicht, daß sie mehr als andere Mütter diesen Sohn liebte, der ihre Freude und ihr Stolz war! Nein, sie liebte nicht mehr, aber ihr fehlten Mut und Gottergebung. Ihr Mütter, die ihr auf mich hört, wenn ihr den Todeskampf eurer Kinder sehen werdet und wie sich ihre erloschenen Augen verschleiern, dann erinnert euch, daß ihr gleich Christus den Gipfel Golgathas besteigt, von dem ihr euch in die ewige Herrlichkeit erheben sollt! Anschließend trat die Mutter (Frau C.) in das Medium ein, und es wurde mit ihr folgendes Gespräch geführt: Mutter: Ich will meinen Sohn sehen! Habt ihr die Macht, ihn mir wiederzugeben? Die Grausamen! Sie haben ihn mitgenommen, um ihn einzuführen in das Licht und haben mich in der Nacht gelassen! Ich will ihn haben, er gehört mir! Gilt denn die Mutterliebe nichts? Was? Neun Monate getragen zu haben, genährt mit seiner Milch, Fleisch vom eigenen Fleische, Blut vom eigenen Blute, gelenkt zu haben seine ersten Schritte, ihn gelehrt zu haben, den heiligen Gottesnamen und den süßen Mutternamen zu stammeln, daraus gemacht zu haben einen Mann voll Tätigkeit, Einsicht, Ehrbarkeit, Geradheit, Kindesliebe - und ihn zu verlieren zu der Zeit, wo er die Hoffnungen verwirklichte, die man auf ihn gesetzt hatte, wo eine glänzende Zukunft sich vor ihm auftat! Nein, Gott ist nicht gerecht! Er ist kein Gott der Mütter! Er versteht ihre Verzweiflung und ihren Schmerz nicht. Und wenn ich mir den Tod bereite, um mein Kind nicht zu verlassen, so raubt man es mir von neuem! Mein Sohn, mein Sohn, wo bist du? Frage: Arme Mutter, wir haben Mitleid mit Ihrem Schmerz. Aber Sie haben ein trauriges Mittel ergriffen, um mit Ihrem Sohn wieder vereinigt zu werden. Der Selbstmord ist in Gottes Augen ein Verbrechen, und Sie hätten daran denken sollen, daß Gott jede Verletzung sei- 22 Allan Kardec, Pseudonym des französischen Arztes und Pädagogen Hippolyte Léon Denizard Rivail (1804 - 1869). Er war Schüler Pestalozzis, Begründer der romanischen Form des Spiritismus und Verfasser zahlreicher Bücher, die in großen Auflagen in alle Weltsprachen übersetzt wurden.

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