- 83 - Dieser Geist gab sich so herzensgut und wohlwollend, daß ich alle Bitterkeit fahren ließ und mich bereit erklärte, mit ihm zusammenzuwirken. Sein Kommen merkte ich immer an einem eigentümlichen Druck. Er schrieb mit meiner Hand, und nach und nach entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen uns. Er war die Sanftmut selber und gleichzeitig der Unnachsichtigste, wenn es etwas zu rügen galt, was nach seiner Meinung nicht zu dem Vorsatz stimmte, keinen Finger breit von Gottes Wegen abzuweichen. Er lehrte mich einsehen, daß gar vieles im Menschenherzen ausgerottet und manches Opfer gebracht werden müsse, ehe man in Wahrheit Gottes Wege ginge. Er kam Tag und Nacht, tröstete mich, wenn ich bedrückt war und teilte meine Freuden. Es war eine Freundschaft, so ideal, wie ich sie nicht für möglich gehalten hätte. Er erzählte mir mehrmals, er habe von höheren Geistern den Befehl erhalten, mich so zu entwickeln, daß ich seinerzeit den mir bestimmten Platz in der Arbeit zur Förderung des Reiches Gottes ausfüllen könne. Er brauchte ausdrücklich die Worte "Förderung des Reiches Gottes", und ich hielt dies damals gleichbedeutend mit Förderung der spiritistischen Prinzipien. Er schrieb, ich sei dazu ausersehen, Bücher über diese Dinge zu schreiben und ich würde die nötige Eingebung aus hohen Geistessphären erhalten. Mein Einwand, daß ich hinreichender Medialität ermangele, wurde liebevoll aber entschieden zurückgewiesen; ich brauchte nur ein gehorsames Werkzeug zu sein und zu warten, bis der Befehl zum Beginn der Arbeit komme. Hand in Hand mit diesem gottseligen Einfluß arbeiteten andere Geister, die ich für böse hielt, kräftig daran, mich zu ganz entgegengesetzten Anschauungen zu bringen, vor allem dahin, den Geisterverkehr aufzugeben. Dieser Feldzug war ein Meisterwerk satanischer Bosheit, das sah ich nur zu spät ein. Ich fand indessen Trost bei dem mir befreundeten Geist, der vom Werk des Bösen schrieb, von dessen Anstrengung, den erreichten Erfolg zunichte zu machen usw. Er war unermüdlich in seinen Bestrebungen, kein Engel konnte reiner und sanfter sein als er. Aber eines Tages, ohne jeden Anlaß, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ließ er die Maske fallen (durch Verdrehung intimer Familienverhältnisse), und das in einer Weise und unter Umständen, die so bösartig ausgedacht waren, wie es ähnlich von Menschen kaum ausgeführt werden konnte. Darauf verschwand er. Wie meine Stimmung danach war, brauche ich nicht auszumalen; es war mir, als stürzte alles zusammen und hinterließe eine gähnende Ruine. Ich konnte nicht verstehen, daß so etwas geschehen durfte, daß sogar im Namen Gottes ungehindert so gehandelt werden durfte gegen einen Menschen, dessen Absichten waren, wie ich sie beschrieben habe. Mein Verstand stand still bei einer so frechen und grauenhaften Verspottung Gottes - denn das war die ganze mehrmonatige Verbindung mit diesem Geist gewesen. Unheimliche Vorfälle. Gefühl beginnender Besessenheit Einige Zeit nach jenem schweren Vertrauensbruch hatte ich ein äußerst bösartiges Erlebnis. Ich hatte mich zum zweiten Male entschlossen, das automatische Schreiben aufzugeben; mit wem hätte ich schreiben sollen, nach solchen Betrügereien? Andreas wollte ja nicht, jedenfalls noch nicht. Ich wollte den Zeitpunkt abwarten, wo er selber mir durch sein Medium das Amt übertragen würde - aber, als ich eines Morgens einen auffallend starken Drang zu automatischer Schrift spürte, griff ich gleichwohl zu einem Bleistift. Der Bleistift begann zu schreiben, aber kaum stand das erste Wort auf dem Papier - der Name des Geistes, der mich betrogen hatte -, als ich die schreckliche Empfindung hatte, daß sich etwas Fremdes unwiderstehlich in mich eindrängte und meinen Leib in Besitz nahm; mir war buchstäblich so, als würde ich aus mir selber seitwärts hinausgedrängt. Von Grauen gepackt, fuhr ich empor und wollte ohne Zweck und Ziel davonstürzen, doch gelang es mir einigermaßen, mich zusammenzunehmen. Das Fremde - die einzige Bezeichnung, die ich dafür brauchen kann - drängte sich mir immer mehr auf und sog sich in mich ein. Kälteschauer durchfuhren mich, die Beine waren gelähmt und wurden bleischwer. Aber am schlimmsten war das Grauen, das ich empfand. Mit diesem schrecklichen Zustand kämpfte ich einen ganzen Tag für mich allein, dann verging er langsam. Ich verschwieg meiner Frau dieses Erlebnis, um sie nicht vom Spiritismus abzuschrecken; aber einige Tage darauf, als sie allein zu Hause war und einen Versuch machte, automatisch zu schreiben, hatte sie einen ebensolchen Anfall. Als ich nach Hause kam, erzählte sie mir voller Bestürzung das Geschehene - dieselbe Lähmung der Beine, dasselbe angstvolle Gefühl, daß sich etwas Unheimliches plötzlich in sie eindrängte - ein Zustand, der erst nach einem halben Tag aufhörte. Seitdem wagte sie nicht mehr, sich mit dem Spiritismus einzulassen. Ein ähnlicher Anfall traf einige Zeit danach noch einen langjährigen Spiritisten, ebenfalls bei dem Versuch, automatisch zu schreiben. Sein Erlebnis erschien sogar noch schlimmer als meines; er
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