Das große Warum

8 Das große Warum Wir saßen wieder einmal zusammen am Küchentisch meiner Freundin. Wieder hatte sie mir ihre Not geklagt, ihre Krankheit, ihr Alter, ihre Ängste, ihre Unsicherheit. „Das muss doch einen Grund haben, dass das bei mir so ist“, klagte sie. „Was habe ich bloß falsch gemacht?!“ Sie ist wirklich bemüht, im Sinne ihres Glaubensverständnisses alles richtig zu machen. Trotzdem sprach sie von Schuld und Strafe. Wie so oft habe ich ihr die Gedanken an Schuld und Strafe auszureden versucht, auch diese ständigen Selbstanklagen. Und ich habe ihr aufs Neue meine eigene Sicht vom Sinn unseres Daseins und unseres Leids zu erklären versucht. Sie stellte dazu ihre Fragen und war wohl einverstanden mit dem, was ich vorbrachte. Als ich geendet hatte, fragte sie: „Was du jetzt alles gesagt hast, kannst du das nicht mal aufschreiben?“ „Das wäre aber viel Arbeit“, sagte ich darauf. „Und du liest es sowieso nicht.“ Ich weiß nämlich, dass meiner guten alten Freundin, krankheitsbedingt, oft die Konzentration fehlt, um längere Zusammenhänge zu lesen. „Wenn du mir das aufschreibst, dann werde ich es auch bestimmt lesen“, versprach sie mir. Na ja, so habe ich ihr versprochen, dass ich schreibe. „Aber dann werde ich noch etwas weiter ausholen“, sagte ich. „Dann musst du mir Zeit lassen, das geht nicht so schnell.“ Sie war einverstanden und wollte sich auch gedulden. Und ich habe nun ein Versprechen einzulösen. Ich will so schreiben, dass meine Freundin es gut verstehen kann. Ich denke dabei auch an meine anderen Mitmenschen, denen mein Schreiben vielleicht eines Tages hilfreich sein könnte. Denn es herrscht ja eine große Ratlosigkeit in Bezug auf Krankheit, Leid und Sterben. Immer schon, und besonders jetzt in diesen Zeiten. Es ist das große Warum. * Wie komme ich als alte Frau dazu, dass ich oft „die Trösterin“ bin, im Pflegeheim nebenan und auch anderswo? Es hat sich so entwickelt aus meinem

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